125 Jahre Waldeisenbahn Muskau

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Das Große Interview mit Heiko Lichnok

Ihre Geschichte ist untrennbar mit den Umwälzungen in der Oberlausitz verknüpft: Die Waldeisenbahn Muskau (WEM) blickt auf eine wechselvolle Vergangenheit zurück. Mehr als einmal sollte sie sogar komplett abgebaut werden, doch immer wieder wurde sie gerettet – und heute ist sie mit ihren 20 Kilometern Strecke sogar die längste 600 mm-Schmalspurbahn der Republik. HERMANN sprach mit WEM-Geschäftsführer Heiko Lichnok über die Historie der Waldeisenbahn und über ihr großes Jubiläumswochenende im Herbst.

Sie feiern heuer das 125-jährige Bestehen der Waldeisenbahn. Was wissen Sie über die Entstehungsgeschichte?

Der damalige Standesherr Muskaus, Graf Hermann von Arnim, ließ die Bahnstrecke 1895 anlegen, um hier die Industrie, die sich im Gebiet seiner Standesherrschaft entwickelte, mit einem damals modernen Verkehrsmittel zu verbinden. Er entschied sich für den Bau einer Schmalspurbahn und innerhalb recht kurzer Zeit entstand so zwischen Spree und Neiße ein Gleisnetz von über 50 Kilometern Länge. Diese „Gräflich von Arnimsche Kleinbahn“ verband damals Braunkohlegruben, Kiesgruben und Tonabbaustellen mit den entsprechenden Industriebetrieben zur Verarbeitung – wie eine Brikettfabrik; Glaswerke waren ebenso angeschlossen, wie Ziegeleien und andere Fabriken. So wurden also die Rohstoffe direkt zu den Betrieben gebracht. Bald fuhren hier bis zu zehn Dampfloks und – zu Spitzenzeiten – über 500 Güterwagen.

Führte die ursprüngliche Strecke auch über die Neiße und in das Gebiet, das heute zu Polen gehört?

Nicht wirklich. Es gab zwar in Pechern mal ein Gleis, das über ein Wehr ans andere Ufer der Neiße führte, doch dieses Wehr war praktisch unmittelbar an eine Papierfabrik angeschlossen. Und nach dem ersten Weltkrieg wurde das Wehr aufgelassen und die Fabrik hatte keinen Anschluss mehr ans Gleisnetz.

Wie entwickelte sich die Waldeisenbahn im 20. Jahrhundert?

Die Bahn entwickelte sich bis 1945 sehr positiv. Dann kam ein großer Einschnitt: Ursprünglich sollte die gesamte Waldeisenbahn als Reparation zurückgebaut werden. Doch das konnte man Gott sei Dank verhindern.

Seit 125 Jahren tuckert die Waldeisenbahn Muskau durch die Oberlausitz Foto: WEM

Weiß man noch, wer oder was die Bahn damals gerettet hat?

Nein, das konnten wir nicht herausfinden. Wir denken, dass damals politischer Druck entstanden ist, denn die hiesigen Industriebetriebe waren existenziell auf diese Bahn angewiesen. Die Bahn fuhr direkt in die Gebäude hinein, die Kohle wurde beispielsweise bis ins Kesselhaus gebracht. Man hat die ganze Be- und Entladetechnologie vollständig auf die kleinen hölzernen Wagen der Bahn ausgerichtet. Und nach dem Krieg galt es, die Betriebe wieder zum Laufen zu bringen, ohne erst neue Technologien zu entwickeln. Der Beschluss der sowjetischen Besatzungsmacht stand zwar, doch offenbar wurde er weitgehend ausgesetzt.

Nur ein kleiner Streckenabschnitt wurde tatsächlich abgebaut. Zudem sind zwei Lokomotiven und eine größere Anzahl Wagen an die Sowjetunion gegangen. Doch das Gros der Fahrzeuge und der Hauptteil der Strecke blieben erhalten.

Bald darauf wurde die Bahn verstaatlicht und ab 1951 gehörte sie sogar zur Deutschen Reichsbahn, war also Teil der Staatsbahn der DDR.

Damals war die Waldeisenbahn mehr oder weniger im Originalzustand von 1895 erhalten. Das heißt, die Züge waren handgebremst und bespannt mit Dampflokomotiven. Man kann sich vorstellen, dass das längst nicht mehr dem Stand der Technik entsprach. Es ist nur der Mangelwirtschaft der DDR zuzuschreiben, dass diese Bahn überhaupt noch gefahren ist und nicht vollständig durch zeitgemäßere Verkehrsmittel, etwa durch Lkw und moderne Züge, abgelöst wurde.

Erst 1978 beschloss die Reichsbahn, die Waldeisenbahn stillzulegen, die Gleise abzubauen und Transporte künftig per Lkw durchzuführen. Doch diese Rechnung ging nicht auf – und zwar wiederum wegen der Mangelwirtschaft. Man hat zwar die Bahn an sich formal stillgelegt und auch Strecken abgerissen, aber eine Strecke mit einer Länge von rund 12 Kilometern musste erhalten bleiben. Sie verband die Ziegelei in Weißwasser mit der Tongrube in Mühlrose. Der Grund: Man war schlicht nicht in der Lage, all den Ton, den die Ziegelei benötigte, mit Lastkraftwagen zu transportieren. Und diesem Umstand ist es geschuldet, dass eine Reststrecke der Waldeisenbahn noch bis 1990, bis zur politischen Wende, in Betrieb war.

Was geschah seit der Wendezeit?

Bald stellte die Ziegelei ihre Produktion ein. Und eigentlich wäre das auch das Ende der Waldeisenbahn gewesen – eigentlich schon zum dritten Mal nach 1945 und 1978!  Doch wieder kam es anders. Denn schon in den 80er-Jahren hatten sich zahlreiche Eisenbahnfans zusammengefunden, die meinten: Dieses technische Kleinod gilt es zu erhalten. Noch in der DDR-Zeit bargen und restaurierten sie mit viel Fleiß Fahrzeuge. Sie führten schon erste Sonderfahrten auf der Reststrecke durch – und läuteten so das neue Zeitalter der Waldeisenbahn ein, das bis heute fortdauert: nämlich das Zeitalter als Museumseisenbahn. Mit der politischen Wende war man in der Lage, die Kommunen für die Idee  zu begeistern, eine Museumseisenbahn aufzubauen. Im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden dann zwei Strecken der früheren Güterbahn wieder aufgebaut. Es handelt sich dabei um zwei Strecken, die touristische Attraktionen an das Netz anbinden, nämlich erstens die Strecke nach Kromlau in den größten deutschen Rhododendron- und Azaleenpark – die Strecke ging 1992 in Betrieb. Und 1995, genau im 100. Jahr der Bahn, folgte die heutige Hauptstrecke. Sie bindet den Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau in das Streckennetz ein. Und so verbindet die Waldeisenbahn Muskau heute diese berühmten Parkanlagen mit der Großen Kreisstadt Weißwasser. Wir haben seit 1992 einen regulären touristischen Fahrbetrieb, immer von Frühjahr bis Herbst. Der Zuspruch ist groß: Mittlerweile befördern wir pro Jahr rund 50 000 Gäste.

… und noch in jüngster Zeit konnte die Waldeisenbahn ihr Angebot ausbauen.

Vom ursprünglichen Netz blieb ja die Reststrecke übrig, die zur Tongrube Mühlrose führte. Diese Strecke stand zwar unter Denkmalschutz, nur führte sie nicht zu einem touristischen Ziel hin, deshalb gab es auf ihr keinen Regelverkehr. Doch auch diese Strecke hat eine positive Entwicklung genommen. Ein Teil dieser Linie wurde zunächst durch den Tagebau Nochten in Anspruch genommen. 2013 fuhr hier der vorerst letzte Zug, danach erfolgte der Rückbau des hinteren Abschnitts – ungefähr 2,5 Kilometer von den ursprünglich 12 Kilometern. Dafür entstand aber bis 2017 ein neuer Abschnitt und der führt jetzt zum Aussichtsturm am Schweren Berg. Dort ist auch das Kommunikations- und Naturschutzzentrum. Und damit hat nun auch diese Strecke ein touristisches Ziel bekommen. Allerdings fahren wir auf dieser Strecke nicht permanent im Regelbetrieb. Vielmehr bieten wir an ausgewählten Tagen dreistündige Rundfahrten an. Los geht’s jeweils 10 oder 14 Uhr. Man fährt zunächst eine Stunde hinaus und erlebt dabei eine sehr abwechslungsreiche Landschaft, denn die Fahrt führt direkt durch den UNESCO-Geopark Muskauer Faltenbogen. Das ist eine durch die UNESCO geschützte besondere Landschaft, die sich durch ein markantes Gelände, versunkene Wälder und bunte Seen, auszeichnet. Ursprünglich haben eiszeitliche Gletscher diese Landschaft geformt – doch auch der Bergbau hat hier einen deutlichen Fingerabdruck hinterlassen.

Bergbauinteressierten bietet diese Strecke zudem den Blick in den Tagebau Nochten mit seiner großen Abraumförderbrücke. Von diesem Aussichtspunkt aus fährt der Zug dann direkt in das Rekultivierungsgebiet des Tagebaus Nochten bis hinauf zum Turm am Schweren Berg. Dort kann man dann sehen, wie Landschaft nach dem Bergbau neu entsteht. Diese Fahrt zeigt eindrucksvoll den Kontrast zwischen dem historischen Bergbau einerseits, wie er bis zum Ende des zweiten Weltkriegs betrieben worden ist – davon zeugen ja die versunkenen Wälder und bunten Seen – und andererseits dem modernen Bergbau, der eine vollständig rekultivierte und nutzbare Fläche hinterlässt. 

Die Besucher haben am Schweren Berg eine Stunde Aufenthalt, um den Aussichtsturm zu besteigen und einen kleinen Imbiss zu sich zu nehmen. Danach geht es wieder eine Stunde zurück.

Die Waldeisenbahn Fotos: WEM

Mal zur Person: Wie sind Sie selbst eigentlich zur Waldeisenbahn gestoßen?

Schon als Jugendlicher war ich begeistert von Schmalspurbahnen. Eigentlich stamme ich aus dem Erzgebirge und dort gab es eine große Vielzahl solcher Bahnen. Meine berufliche Entwicklung hat mich dann nach Weißwasser geführt – ich habe hier eine Ausbildung bei der Laubag angetreten. Und als ich von der Idee hörte, hier eine Museumseisenbahn aufzubauen, habe ich mich gleich gemeldet und gesagt, dass ich mich gerne in meiner Freizeit daran beteiligen wolle. So war ich ab 1990 ehrenamtlich dabei. 1993 wurde dann die Betriebsgesellschaft gegründet und übernahm die Verantwortung für den touristischen Betrieb der Waldeisenbahn. Und seit dem Abschluss meiner Lehre im Jahr 1994 arbeite ich da jetzt hauptamtlich.  Schließlich, im Jahr 2001, habe ich die Verantwortung als Geschäftsführer und Betriebsleiter übernommen.

Welche Events haben Sie fürs Jubiläumsjahr geplant?

Eigentlich wollten wir übers Jahr verteilt mehrere große Veranstaltungen durchführen. Viele davon hatten wir für die erste Jahreshälfte angesetzt – doch dann holte uns die Corona-Situation ein.

Der Höhepunkt kann aber stattfinden: nämlich die Jubiläumsveranstaltung. Die geht vom 11. bis 13. September. Als Auftakt gibt es am Freitag eine große Fahrzeugparade.  Dann werden wir einen Großteil unserer historischen Fahrzeuge vorführen. Wir besitzen ja rund 30 Lokomotiven und weit über 100 Wagen. Dazu gehören auch zahlreiche Feldbahnfahrzeuge, die mit der Waldeisenbahn ursprünglich nichts zu tun haben. Und dann gibt es einen Sonderfahrplan: Am Jubiläumswochenende fahren unsere Bahnen auf allen drei Strecken, auf den Hauptstrecken Weißwasser – Muskau und Weißwasser – Kromlau sogar im Stundentakt. Dabei kommen fünf Dampflokomotiven zum Einsatz, darunter auch zwei Gastlokomotiven – und bei denen handelt es sich um ganz besondere historische Fahrzeuge: Die erste Maschine wurde 1918 für die Deutsche Heeresfeldbahn bei der Breslauer Firma Linke-Hofmann gebaut und ist seit 1954 bei der Cottbuser Parkeisenbahn beheimatet. Vorher gehörte sie zum Bestand der Kohlebahnen der Grube „Frieden“ bei Weißwasser, einem Anschlussbetrieb der Waldeisenbahn Muskau. Die zweite Maschine wurde von Hanomag (Hannover) hergestellt. Sie ging nach Java und zog dort jahrzehntelang Güterwaggons auf einer Zuckerrohrplantage. Sie gehört heute zur Parkeisenbahn in Berlin. Und diese einzigartigen Loks können an unserem Jubiläumswochenende aus nächster Nähe bestaunt werden. In unserem Waldbahnmuseum am Bahnhof Teichstraße wird es zudem eine große Fahrzeugausstellung sowie eine Modelleisenbahn-Ausstellung mit Motiven der Waldeisenbahn geben. Und selbstverständlich ist auch fürs leibliche Wohl bestens gesorgt. Es wird ein buntes Treiben.

Interview: Jasper Backer

 

Weitere Infos:

www.waldeisenbahn.de

 

 

 

 

 

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