Dreißig Jahre Filmfestival Cottbus und eine Handvoll Fragezeichen

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Unser Filmkritiker, Henning Rabe, wird wieder täglich exklusiv in unserem Blog  über seine Erlebnisse während des Filmfestivals in Cottbus berichten. Die Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren. Alle Texte zum FFC30 finden Sie ab 2. November* auf www.hermannimnetz.de/FFC30 – Kommentare sind dort gern erwünscht!

Das große und das kleine Kino

Beginnen möchte ich gleich mal mit einer richtig guten Nachricht: Alle Filme des diesjährigen Filmfestivals Cottbus können bundesweit ohne Einschränkungen angesehen werden – im Internet. Natürlich hat sich so mancher schon im Frühjahr gefragt, was er denn noch alles im virtuellen Raum erledigen soll, und stieß mitunter an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit. Andererseits bietet die duale Präsenz des Programms erstmals die Möglichkeit, einen ausverkauften Film garantiert erleben zu können.

Ich könnte mir zum Beispiel lebhaft vorstellen, dass der kasachisch-japanische Genre-Streifen „The Horse Thieves. Roads of Time“ auch unter normalen Umständen die Stadthalle mühelos ausverkaufen würde. Das Foto, auf dem ein junger Dschigit über die kasachische Steppe sprengt, sieht auf jeden Fall sehr verlockend aus.

Auch das Oben-Kino ist hinsichtlich seines Kontingents sicherlich Risiko-Gebiet. Es gehörte ja all die Jahre zum liebgewonnenen Ritual, dass Sekunden vor dem Gong noch ein paar Stühle in den Gang gequetscht wurden, um möglichst wenig Leute wieder nach Hause zu schicken. So ist es nur zu begrüßen, dass durch die parallele Online-Aufführung (für 3,99 Euro je Film) jeder seinen Wunschfilm sicher sehen kann. Ebenfalls bequem ist dieses Jahr, dass der Vorverkauf nur im Netz stattfindet, was so manchen Gang (oder Sprint) zur Stadthalle erspart.

Begegnungen

Unser Filmkritiker Henning Rabe in Aktion. Foto: TSPV

Gesichert ist in diesem Jahr der Ungewissheiten, dass ich, wie wohl alle Beteiligten, diese Ausgabe des Festivals mein Lebtag nicht vergessen werde. Es wird von allen Seiten Flexibilität, Improvisation und Gleichmut erfordern, das Filmfest so angenehm und fröhlich wie üblich über die Bühne zu bringen. Ich bin nach wie vor grenzenlos optimistisch, dass das auch funktionieren wird.

Schade ist allerdings, dass einige Fachbesucher nicht anreisen können. Fehlen wird es mir vor allem an den Begegnungen. Nichts geht über die Freude im Gesicht eines Filmschaffenden, wenn man ihn in seiner Sprache begrüßt. Oder ihm steckt, dass man gestern mit großem Vergnügen seinen Film gesehen habe. Vielleicht rücken jene, die das Glück haben, vor Ort zu sein, aber auch durch die Dezimierung des Teilnehmerfeldes noch näher zusammen. Es entsteht Heimeligkeit, wie etwa bei einer Party, in der sich ein kleiner Kreis in der schummrigen Küche vom Wohnzimmer-Geschehen separiert hat.

Auf jeden Fall wird aber wieder Knut Elstermann, der Filmexperte von radioeins, Cottbus bereisen. So wird man dem Kino King wohl hier und da im Zentrum der Stadt begegnen. Ich freue mich schon auf den einen oder anderen Film-Schnack mit ihm. Genauso wie auf das

Spotlight Česko

Kaum ein ausländisches Kino hat mich, wie viele Leser sicherlich auch, schon seit der Kindheit so begleitet wie das tschechische. Das fing schon mit der Flimmerstunde mit dem heißgeliebten Helmut Schreiber an, am Sonnabendnachmittag im DDR-Fernsehen. Ich erinnere mich noch an „Reise in die Urzeit“, bei dem wir Kinder allerdings die Tricks unglaubwürdig fanden, und „Eine Hauptrolle für Rosmaryna“. Ähnlich bezaubernd empfand ich (nicht nur) als Steppke auch die Märchenfilme, allen voran die von Juraj Herz und Václav Vorliček.  Letzterer konnte übrigens den Kult um seine „Drei Haselnüsse für Aschenputtel“ gar nicht recht nachvollziehen, das sei ein Film wie dutzend andere, die er gedreht hätte, ließ er einmal verlauten.

Kaum dem Elternhaus entwachsen entdeckte ich die wundersamen Puppentrick- und Knetfiguren-Filme von Jan Švankmajer. Auf kleinstem Raum lässt er fantastische Welten entstehen, so in seiner surrealistischen Carroll-Verfilmung „Alice“ und dem aberwitzigen „Food“, die neben anderen seiner Kommoden- (statt Kammerspielen) international gefeiert und mit Preisen überhäuft wurden.

Auf die tschechische Version der „Nouvelle Vague“ stieß ich Anfang der neunziger Jahre durch das normale Kino-Programm. Jiři Menzel hatte gerade den Goldenen Bären mit „Lerchen am Faden“ gewonnen, in dem er den sozialistischen Alltag mit beschwingter Heiterkeit kritisierte – und das 1969. So blieb der Film bis zu seinem Erfolg lange unter Verschluss. Beeindruckt wollte ich wissen, was er noch so geschaffen hätte, und fand u. a. „Liebe nach Fahrplan“. Václav Neckář, vielen wahrscheinlich besser als Schlagersänger bekannt („Krokodil Theophil“),  spielte hier einen tollpatschigen Bahnhofsgehilfen während des Zweiten Weltkriegs, der über allerlei, häufig erotische Missgeschicke noch zum großen, allerdings sehr tragischen Helden wird. Der hinreißende Streifen erhielt 1968 den Oscar als bester ausländischer Film.

Ähnliche Begeisterung erfüllte mein Video-Zimmer auch bei Věra Chytilová („Tausendschönchen“) und natürlich bei Miloš Forman (vor allem „Die Liebe einer Blondine“ und „Der Feuerwehrball“). Auch hier zeigt sich ein einnehmender, mitunter derber Humor gepaart mit cineastischer Finesse und der Fähigkeit, über äußerst widrige historische Umstände mit einer spielerischen Leichtigkeit hinwegzuerzählen.

Genau die Tugenden, die auch die Filme von Jan Svérak auszeichnen, der 1996 mit „Kolja“ in die deutschen Kinos kam und später mit dem Alltags-Drama „Leergut“ qualitativ sogar noch einen draufsetzte. Vor drei Jahren erhielt er in Cottbus den Publikums-Preis für den herzallerliebsten, rundum beglückenden Film „Barfuß“. Das war einer der schönsten Ausklänge, die ich beim Festival je erleben durfte.

Auf solche Erlebnisse – natürlich auch in den Rubriken „Russkij Djen“, „Polskie Horyzonty“ und dem stets spannend und wild durchmischten „Spectrum“ – hoffe ich auch dieses Jahr und freue mich auf ein Wiedersehen!

Henning Rabe

 

Das Wichtigste in Kürze:

Da sich die Corona-Lage und die Bestimmungen tagtäglich ändern können, entnehmen Sie bitte die aktuellsten Entwicklungen der Webseite des Festivals: www.filmfestivalcottbus.de

oder der Webseite unserer Freunde und Medienpartner www.radioeins.de.

Tägliche Festival-Berichte von Knut Elstermann gibt es ab Mittwoch, 4. November,   im Tagesprogramm und bei den Filmtipps auf radioeins.  Am 5. November, 19 bis 21 Uhr, gibt es ein radioeins-Spezial – ebenfalls mit Knut Elstermann. Dieses Jahr leider nicht öffentlich.

*Das 30. Filmfestival wurde auf 8. – 13. Dezember 2020 verlegt!

 

 

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