70 Jahre Hans S.

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Der Maler und Grafiker Hans Scheuerecker wird im August 70 Jahre alt. Einen Gratulationsartikel will er nicht. Schreib einfach auf, was war, sagt er.

Schreib’ bloß nicht diesen üblichen Geburtstagsschmus. Das passt nicht zu mir. Halt dich lieber an die Fakten! Der Empfang im Atelier von Hans Scheuerecker an diesem heißen Julitag ist freundlich, aber mit klarem Wunsch verbunden. Eigentlich ist es auf den ersten Blick wie früher, vor der Pandemie. Die Atelierwohnung ist gut sortiert, alles hat seinen Platz. Klare Strukturen, wie es bei Scheuerecker immer schon war. Eigene Arbeiten an den Wänden, einige haben gewechselt, manche sind verkauft. Neu aber ist eine Büste des italienischen Malers Amadeo Modigliani, ein Frauenkopf aus Bronze, der auffällt. Eine Replik natürlich, aber dennoch. Dass Scheuereckers Entwicklung mit Modigliani anfängt, wird er im Laufe des Besuchs erklären. Und noch etwas fällt auf. Wodka oder Rotwein bekommt nur der Gast beim Atelierbesuch angeboten. Scheuerecker selbst trinkt Wasser. Seine kürzlich eingeleitete Ernährungsumstellung nimmt er ernst.

DIE FAKTEN
Der Anfang. Hans Scheuerecker wird am 7. August 1951 im thüringischen Römhild geboren, er wächst bei den Großeltern auf. Nach deren Tod siedelt er mit der Mutter und deren zweitem Mann nach Eisenhüttenstadt über. Im Alter von 16 Jahren verlässt er das Haus der Eltern über Nacht. Aus dieser Zeit bleibe, so der Maler, der erlernte Beruf des Elektrikers und eine wichtige Begegnung mit dem Deutschlehrer, in dessen Bibliothek er einen Kunstband mit Malerei des italienischen Malers Amedeo Modigliani findet. Die Darstellungen des Künstlers machen ihm seinen Berufswunsch klar, den er zunächst nur für sich formuliert: „Ich will Maler sein“. Er verlässt Eisenhüttenstadt Richtung Cottbus, um als Praktikant am Cottbuser Theater zu arbeiten. Das Theater lernt er von allen Seiten kennen. Eine wichtige Lehre, weiß er heute. Im Malsaal des Hauses lernt er auch das Handwerkszeug für die Malerei kennen. Ein strenger Meister ist ihm Hans-Herbert Beyer, Chef des Malsaals und heute Ehrenmitglied des Staatstheaters. Er war unentbehrlich für Scheuereckers künftiges Leben als Künstler. Er verlässt nach vier Jahren das Theater und es verblassen die Erinnerungen an den zuvor geleisteten Militärdienst. Was bleibt von dieser Zeit ist ein gewachsenes Selbstbewusstsein: Wer mir etwas sagen will, muss noch geboren werden!, sagt er damals. Ein Hass aufs Militärische und eine große Abneigung gegen den totalitären Staat kommen auf und werden stärker. Scheuerecker schlägt sich durch. In etlichen Nebenberufen wie Babysitter, Pförtner, Handlanger auf dem Bau, zuletzt als Kinokartenabreißer. „Ich hab das alles gemacht, um Zeit zu haben fürs Malen – und zu lernen.“
Die Meister. In diese 70er-Jahre fällt auch die Bewerbung beim Verband Bildender Künstler der DDR. Er lernt zuvor wichtige Mentoren kennen: die Maler Stefan Plenkers, Veit Hoffmann, Rainer Zille, Dieter Zimmermann und den Kunstwissenschaftler Dr. Dieter Schmidt. Sie stellen ihn fachlich und menschlich auf die Füße. Denn, so Scheuerecker: „Ich war ein arroganter Fatzke.“ Bei der Aufnahme in den Verband bildender Künstler der DDR tut sich die Cottbuser Sektion schwer, sie muss es aber durch einen Entscheid des Zentralvorstandes doch tun. Die Bilder aus dieser Zeit bewahrt er bis heute auf. Doch der Verband lässt ihn wirtschaftlich hängen. Harte Jahre beginnen. Er arbeitet als Bühnenbildner an verschiedenen Häusern. Am Theater Anklam inszeniert der Regisseur Hermann Schein „Fisch zu viert“. Scheuerecker zeichnet verantwortlich für die Ausstattung – Bühnenbild, Kostüme, Programmheft und Plakat – alles aus einem Guss.

Keramik, Faltrollos und Performance. Und seine Talente sind vielfältig. Doch noch immer geht es auch um die nackte Existenz. Er entdeckt die Keramikmalerei und kooperiert mit verschiedenen Töpfern. Mit der Cottbuser Keramikern Ilona Möbert verbindet ihn eine 25-jährige Zusammenarbeit, in der sie einmal wöchentlich zusammenarbeiten. Tausende Gefäße gehen in den Verkauf. Bald wird die Kirche auf den Außenseiter aufmerksam. Kirchenmann Norbert Joklitschke unterstützt ihn in den 80er-Jahren. Zwei spektakuläre Ausstellungen in der Cottbuser Oberkirche und in der Schlosskirche bleiben in Erinnerung. Von dort geht auch die Aktion „Faltrollo“ aus. Namhafte Künstler bemalen Rollos, die ihnen zugesandt werden. Die Aktion findet viele Nachahmer, war sehr erfolgreich und geht in die Kunstgeschichte der DDR ein.
Darüber hinaus tritt Scheuerecker immer mal wieder auf Kirchentagen auf. Dort malt er vor Publikum 2 mal 7 Meter große Bilder. Ein Höhepunkt dieser Zusammenarbeit ist die Gestaltung der Kirche in Neuhausen.

Das Großformat gibt es nun häufiger. Bei einer Performance am Brandenburger Tor in Berlin entsteht ein 12-mal-14-Meter-Bild, das die Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele im Jahr 2000 unterstützten sollte. Das Projekt Berlin scheitert. In Cottbus macht er mit einem Bild – erneut gemalt vor Publikum – aufmerksam. Das Riesenbild wird später in gleiche Teile zerschnitten und verkauft. Der Erlös dient zur Erhaltung der Glocken des Spremberger Turms. Die Glocken der Turmuhr erklingen bis heute.

Hans Scheuerecker Foto: TSPV

Die Stasi. Scheuereckers Stasi-Akte ist 2250 Seiten dick. 78 Informelle Mitarbeiter zählte die Stasi-Unterlagenbehörde in den 90er-Jahren. Die relativ hohe Zahl geht zurück auf einen besonderen Umstand. In den frühen „Hungerjahren“, so Scheuerecker, ist er mit einer Regisseurin verheiratet. Er lernt spielen und tourt mit Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“, einem Brecht- und einem Neruda-Programm sowie Villon-Texten durch die DDR. Und überall ließ die Stasi nachgucken, wer dieser Scheuerecker ist und was er denkt und will.

Logos und Skulptur. Angeregt durch eine Ausstellung der Natursteinfirma Winzer & Trinks in Hoyerswerda, arbeitet er an „grafischen Skulpturen“. Doch die Arbeit an der Skulptur hält sich in Grenzen, findet aber mit der Aufstellung der meterhohen „Skulptur 2000“ am Zugang der Cottbuser Flaniermeile Sprem einen Höhepunkt. Erregte sie damals die Gemüter, gehört sie heute wie selbstverständlich zum Stadtbild. Die Arbeit ist aus schwarzem Stahl, wurde privat initiiert und von der Sparkasse Spree Neiße wesentlich unterstützt. Die Cottbuser Kulturszene verdankt ihm etliche Logos, die bis heute ihre Wirksamkeit nicht verloren haben. Das Gladhouse und die Szenekneipe „Marie 23“ sind zwei Beispiele.

Illustration. Hans Scheuerecker illustriert seit Jahren Bücher. Die langjährige Zusammenarbeit mit dem Dichter Steve Sabor brachte 22 Bände in Umlauf. Ein besonderes Exemplar brachten Sabor, Scheuerecker und der Drucker Thomas „Trümmel“ Lehmann 2010 heraus. „Ambivalenzen“ enthält 36 Seiten,    und ist bis auf 120 cm ausklappbar. Die Stiftung Buchkunst ehrte den Band auf der Frankfurter Buchmesse mit der Auszeichnung „Schönste deutsche Bücher 2001“.
Mit seinem Malerfreund Dieter Ladewig aus Magdeburg entwirft er frühzeitig grafische Bücher, etwa zu Texten des US-amerikanischen Schriftstellers Charles Bukowski. Bücher entstanden auch in der Regie von Sascha Andersson und weiteren Dichtern der Ostberliner Lyrik-Szene. Erneut ist Kristian Pech, einer der langjährigen Freunde, mit im Boot. Zwei Gedichtbände sind gemeinsam entstanden, der aktuelle mit dem Titel „Platanenwolken“ wird in den nächsten Tagen präsentiert.

Die Absage. Ein Höhepunkt seines malerischen Schaffens wäre eine geplante Ausstellung in Cottbus gewesen. Die Ausstellung sollte sein Lebenswerk widerspiegeln und von einem umfangreichen Kunstband begleitet sein. Diese wohl bisher größte Bilderschau Scheuereckers    war für das Jahr 2013 im Dieselkraftwerk (jetzt Brandenburgisches Landesmuseum) geplant, eine ungewöhnlich große Menge an Arbeiten stand bereit. Zur Ausstellung kam es nicht. Zwei missglückte Ausstellungsversuche, ein Kunstband, der nicht erschien, das ist die negative Bilanz, die Scheuerecker zieht.

Malerei und Körperkunst. In der Malerei, seinem wichtigsten Betätigungsfeld, bringt es Scheuerecker auf 55 Einzelausstellungen im In- und Ausland, darüber hinaus gibt es kaum noch zählbare Ausstellungsbeteiligungen. Er zeigt vorwiegend Malerei, Grafik und Zeichnungen. Nahezu von Beginn an kultiviert er die Körperkunst. Für Aufregung sorgen Performances, in denen nackte Frauen, als lebende Skulpturen in schwarz-weiß bemalt, durch Kunsträume und Klubs wandeln.
Die Körperkunst erhält ihren Höhepunkt in einer Aktion, mit der das Willy-Brandt-Haus im Jahre 1999 in Berlin eröffnet wird. Der Titel: „Im Sommer sterb’ ich nicht so leicht“. Mit dabei waren die Tänzerin und Sängerin Momo und der Jazzpianist Ulrich Gumpert. Höhepunkte seiner malerischen Aktivitäten sind Ausstellungen in Paris und Rio de Janeiro. Als ein „reisender“ Künstler, der die Inspiration in der Ferne sucht, sieht er sich dennoch nicht.

Sandow. Mit der Punkband Sandow, besonders mit den Cottbuser Gründern Kai-Uwe Kohlschmidt und Chris Hinze, verbindet Scheuerecker eine lange Freundschaft. Er entwirft Plattencover, erledigt die Ausstattung, macht Bühnenentwürfe und gemeinsam mit Sandow Life-Performances auf der Bühne. Die Zusammenarbeit findet ihren Höhepunkt in dem Theaterstück „KänGuru“ am Theater Senftenberg. Es hatte 1991 Premiere.

Hinwendung nach Dresden. Scheuerecker hat, wie er es sagt, die „Schnauze voll von dieser Stadt“ und wendet sich nach Jahren erneut Dresden zu. Dort, in der Stadt seiner Meister, fühlt er sich wohl. In der Galerie „Ines Schulz/ Contemporary Art“ sieht er sich gut aufgehoben. Zwei große Ausstellungen und Beteiligungen gab es dort bisher. Eine weitere folgt im Jahr 2022.

Privates. Mitten in der Pandemie heiratet Hans Scheuerecker im Jahre 2020 seine Partnerin, die frühere Cottbuser Kabarettistin und Sozialarbeiterin Bianca Noack.

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Nach ein paar Stunden bei Scheuerecker im Atelier fühlt sich der Besucher wieder vertraut mit der Atmosphäre. Ein Blick auf die Modigliani-Büste lässt erkennen, dass sich hiermit auch der Bogen einer langen künstlerischen Entwicklung schließt. Vorerst. Sein Atelier hatte Scheuerecker in der Pandemie monatelang geschlossen gehalten. Er selbst hat kaum gearbeitet, nutzte die Zeit aber für eine Bestandsaufnahme und ein persönliches Gesundheitsprogramm, das er, der Genussmensch, sich auferlegt hat. Doch nun geht es weiter. Er hat Ideen entwickelt für die Zukunft, seine langjährige, künstlerische Mitarbeiterin ist in Hochform, auch die alte Rauflust ist wieder da. Diese Stadt ist nicht mehr meine Stadt, sagt er. Ob Cottbus und Scheuerecker noch einmal zueinander finden, bleibt ungewiss. Die Kränkung über die abgesagte Ausstellung, die sein Lebenswerk widerspiegeln sollte, sitzt noch immer tief. Aber viele sind sich sicher: Die Stadt braucht Scheuerecker so, wie Düsseldorf Joseph Beuys brauchte. Aber braucht nicht auch Hans Scheuerecker seine Stadt? Ein Cottbuser Künstler, noch immer ein Bürgerschreck, soll ein künstlerisches Zuhause finden in diesem schicken Dresdner Barockviertel? Dieser Bruch verärgert manche der Zurückgebliebenen, die ihn seit langem unterstützen und es bis heute tun.
Woran arbeitet Hans Scheuerecker aktuell? Das Thema soll eine typische, bekannte Cottbuser Landschaft sein, mehr will er nicht verraten. Es fällt das Wort Branitz. Lässt sich ein solches Landschaftsthema mit den ästhetischen Methoden des Plakativen und Abstrakten umsetzen? Vielleicht. Scheuerecker redet nicht über Halbfertiges. Ein Kleinformat, so viel ist sicher, kann es nicht sein. Groß muss es sein und wirken muss es. Kann man es als eine Annäherung des zweifachen brandenburgischen Kunstpreisträgers an Cottbus sehen? Ganz auszuschließen ist das nicht. Zum Geburtstag wäre es doch ein ungewöhnlich harmonisches Zeichen. Alles Gute zum Siebzigsten.

Albert Clemens

 

 

 

 

 

 

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