Albanien – das unterschätzte Juwel

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Eine absurde Situation: Eine Übernachtung im Spreewald ist verboten, eine Reise nach Mexiko oder Spanien hingegen nicht. Nun gut, dachte ich und suchte mir für eine Erkundungstour im März Albanien aus. Und kam dort aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

Funky Kids umringten mich in der Hafenstadt Vlorë

Was für ungute, ja düstere Vorstellungen haben wir von dem südeuropäischen Land. Wir denken an Armut, Kriminalität und Blutrache. Stattdessen begrüßt uns der touristisch noch recht weiße Fleck als ein „normal“ funktionierendes Land mit pulsierenden Städten und atemberaubenden Landschaften. 

Natürlich gibt es noch viele der Bunker, die Staatschef Enver Hodscha ab den 70er-Jahren für einen „Volkskrieg“ gegen „Feinde“ von allen Seiten bauen ließ. Tragisch: Nach Josep Bros Tito-Jugoslawiens Bruch mit der Sowjetunion schlug er sich auf die Seite Stalins, der das Land mit Hilfslieferungen unterstützte. Doch mit der Tauwetter-Periode verbündete er sich mit China. Diesem wiederum kehrte er wegen seiner Reformen 1978 den Rücken  – das isolierte Land verarmte völlig und steckte alle übriggebliebenen Mittel in eben die Bunker.

Das Museum für Nationale Geschichte in Tirana wird gerade umgebaut. Doch auf dem riesigen Platz davor flanieren die Hauptstädter gern und ausgelassen

Heute sind sie Museen (so in Tirana), Speicher oder Weinkeltereien. Oder auch Orientierungspunkte in der Landschaft, weithin sichtbar, weil ihre runden Dächer inzwischen mit riesigen Smileys bemalt wurden.

Auch in den Städten sieht man deutlich die Tendenz, das triste Grau mit viel Farbe zu übertünchen. Der Neubau-Boom dieses Jahrhunderts hat dem Land in keiner Weise geschadet. Originelle und bunte Gebäude prägen die Innenstädte, wie zum Beispiel das Zentrum der Hafenstadt Vlorë mit ihren großzügigen Boulevards und Palmen-Promenaden.

Wer auf Geschichtsträchtiges aus ist, besucht die Weltkulturerbe-Orte Berat und Gjirokastra, in denen sich das Flair von dreihundert Jahren osmanischer Besatzung erhalten hat. Steinerne Gassen kriechen die Berge hinauf, gesäumt von weißgekalkten Villen mittelalterlicher Würdenträger, die mit Schießscharten und Ausguck wie kleine Wehrburgen wirken.  

Frische Farbe auf alten Neubau-Blocks in Tirana. Das wäre doch was für Sandow oder Hoyerswerda.

Doch das Land von der ungefähren Größe Brandenburgs hat noch mehr Trümpfe im Ärmel. Fast überall finden sich zauberhafte Gebirgsketten, die dem Wanderer das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.

Ganz im Südosten versteckt findet sich das Tal der Vjosa, eines Flusses, der nie durch Menschenhand reguliert wurde. Wie im Kaukasus liegen vereinzelte Gehöfte über spektakuläre Hänge verstreut, treiben einsame Schäfer ihre Herden über die Wiesen. Bis in den Juni hinein liegt auf den Gipfeln noch der Schnee. Hier kann sich der Naturfreund vom Tagesausflug bis zur Fünf-Tages-Wanderung beliebig lang amüsieren.

Ich habe mich in diesem Gebiet für einen „Spaziergang“ im Lengarica-Canyon entschieden. Seine schroffen Wände werden an einer engen, tiefen Stelle von einer osmanischen Brücke verbunden, sodass ein echter Rundgang möglich ist. Anschließend gab’s ein Bad in einer heißen Heilquelle – wunderbar.

Am einsamen Strand von Gjipë

Ein ähnliches Naturparadies sind die „Verwunschenen Berge“ im Norden, die Albanischen Alpen, die allerdings nur für den Sommer zu empfehlen sind. Aber auch entlang der Küste gibt es jede Menge Bergkämme, in denen man jederzeit von einer Wolke eingehüllt werden kann. Die verzieht sich jedoch rasch wieder und gibt den Blick auf das grünlich schimmernde Meer frei.

Mit einer Küstenlänge von 360 Kilometern gibt es in Albanien natürlich Strände zuhauf. Und das Schöne ist, dass sie nie überlaufen sind. Dabei hatten sich die Tourismus-Zahlen jedes Jahr mindestens verdoppelt, und 2019 wurde ein Rekord von sechs Millionen Besuchern aufgestellt. Trotzdem gab es auch damals keine Überfüllungen und lange Sandtreifen ohne jede Menschenseele.

Corona hat dem Aufwärts-Trend natürlich einen heftigen Schlag verpasst. Das spiegelt sich auch in der Infrastruktur nieder. Die Frequenz der Minibusse (Furgons), die jeden Winkel des kleinen Paradieses anfahren, wurde stark ausgedünnt. So fuhr ich an der Küste jeden Tag mit demselben Gefährt; statt zwölf gab es nur noch den einen Bus, der sich ab Morgengrauen nach Norden arbeitete – genug für die Einheimischen, Touristen sind mir nicht begegnet.

Die heiße Quelle am Lengarica Canyon

Die Abfahrtszeiten erfährt man übrigens nicht an irgendeinem Fahrplan oder im Internet, man muss unbedingt einen Einheimischen fragen. Das ist aber überhaupt kein Problem. Die lebenslustigen Bewohner sind charmant und ausgesprochen hilfsbereit, auch wenn sie mitunter keiner Silbe Englisch mächtig sind. Der Fremde fühlt sich stets gut aufgehoben und wird auch immer da ankommen, wo er hinwill.

Nach dem Baden, dem Gipfelsturm oder dem Flanieren in der Stadt bekommt man natürlich Hunger. Und findet auch hier alles, was das Herz begehrt. Neben internationalen Standard-Angeboten wie Pizza und Burger gibt es allerorts Gaststätten und Tavernen, in denen einfache, gern auch deftige Gerichte kredenzt werden. Das Beste aber sind die Restaurants der Slow-Food-Initiative, die sich um eine Renaissance der albanischen Küche bemüht, die es so vielleicht nur vor den Weltkriegen gegeben hat, strikt regional, dabei gehoben – und bezahlbar.

Wie diese Gourmet-Stuben möchte ich das ganze herrliche Land (ohne Einreisebeschränkungen) dem Leser wärmstens ans Herz legen.

Henning Rabe

Mein Tipp: Vom orthodoxen Dörfchen Vuno durch Olivenhaine bis zum Strand von Gjipë wandern. Reine Gehzeit hin und zurück etwa drei Stunden. Das Dorf kann man mit dem Minibus von den Küstenstädten Vlorë und Saranda erreichen (zwei bzw. eine Stunde). Zum Übernachten im Ort nach der Villa Filipe fragen. (22 Euro Halb-Pension)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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