Arno Schirokauer (1899-1954) – Eine Cottbuser Legende Teil 2

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Über den (fast) vergessenen Cottbuser Schriftsteller, Radio-Pionier, Kritiker, Germanisten, KZ-Überlebenden, Draufgänger, Emigranten, Genius…

Arno Schirokauer 1927 Foto: Schlesische Funkstunde

Man möge sich an jenen Satz aus „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque erinnern: „Erst das Lazarett zeigt, was Krieg ist.“ Der 18jährige Pilot Arno wird nach seinem Abschuss im April 1918 grob zusammengeflickt. „…am Ende konnte Dr. Schirokauer (sein Vater) ihn in ein Heimatlazarett bringen. Man hatte bei einer der Operationen eine Nadel in der Augenhöhle verloren. Er konnte kein Glasauge tragen.“ (aus Erna Schirokauers „Erinnerungen“.)  

Keine leichte Zeit bahnt sich an. Die spanische Grippe grassiert. Der Friedensvertrag von Versailles wirkt für viele Deutsche gleich einem Schlag ins Gesicht. Die alte Ordnung zerfällt vor einer sich spaltenden Gesellschaft. Politische Attentate gehören zur Normalität. In Deutschland tobt ein Kampf um die zukünftige Richtung, banal runtergebrochen: Rechts gegen Links (oder Alt gegen Neu). Es ist ein dunkles Kapitel in Schirokauers Leben, aber auch das gehört zu seiner ambivalenten Biografie dazu:

„Vergessen und retuschiert ist vor allem, dass ich von 1919 bis 1921 in Mitteldeutschland mit den Landesjägern des General Maerker, im Ruhrgebiet mit den Zeitfreiwilligen des General Epp, beim Kapp-Putsch mit der Schwarzen Reichswehr des Major Buchrucker und zwischendurch als regulärer Reichswehr-Feldwebel auf Leute schoss, die man daher Spartakisten nannte, und die im Wesentlichen dazu dienten, uns zu den im Felde nicht gegönnten Sieg zu verhelfen.“ (aus: „Lesebuch für Staatsbürger“, unveröffentlichtes  Manuskript von Arno Schirokauer.)

Gedenktafel am Spremberger Turm Foto: Stadtarchiv Cottbus

Dieses Geständnis birgt Sprengstoff in sich. Ausgerechnet er, der Jude Schirokauer, der musikalische, poetische, hochintelligente Denker, dessen Schriften im Mai 1933 brennen werden, läuft bei den nationalistischen Freikorps mit, die auf ihre Stahlhelme zur Erkennung Hakenkreuze malen. Major Buchrucker ist niemand anderes, als jener berüchtigte Kommandeur, der in den Märztagen des Kapp-Putsches 1920 den Umsturz in Cottbus mitträgt. Als die Gegenwehr der bewaffneten Arbeiterschaft sich versammelt, lässt Buchrucker seine „jungen Soldaten, die am Spremberger Turm fieberten, das Kommando „Feuer“ zu erhalten“ vom Kaiser-Wilhelm-Platz aus mit MGs schießen. Der Kaiser-Wilhelm-Platz ist der heutige Brandenburger Platz. Dort steht Arnos Geburtshaus. Sah sein Vater vom Fenster aus zu, wie der Sohn auf die politischen Gegner feuerte? Es ist nicht auszuschließen…

Zur Ehrenrettung: Der Junge war 20 Jahre alt, von preußischer Propaganda gehirngewaschen, Kriegsteilnehmer, traumatisiert, für den Rest seines Lebens halbblind und in seinem Kopf bohrte dies: „Als ich zerschossen und zerbrochen in einem Feldlazarett lag, liebte ich den Kaiser aus dem tiefen Grunde, weil eine Sache groß sein muss.“ Das eigene Weltbild zu erschüttern, fällt niemandem leicht. Arno gelingt die innere Befreiung:

 „Obgleich mich die Universität aufgrund meiner militärischen Auszeichnungen mit ihren wissenschaftlichen freigebig bedachte, verhalf sie mir zu der Erkenntnis, dass die Sache, der ich mich geopfert hatte, nichtswürdig war. Diese Erkenntnis traf mich mit der Schwere eines Einsturzes. Ich ergriff viele Fluchten, vor allem die aus der Jugend, denn ich begriff, dass niemand so kriegsverwendungsfähig ist wie Jugend; mit ihr, die allen Parolen blindgläubig folgt, lässt sich jeder Unfug und jede Niedertracht unternehmen. Ich stellte mir die törichte Aufgabe, darüber zu wachen, dass die neue Jugend von den Rattenfängern der Politik nicht eingefangen würde. Ich wurde einer jener unangenehmen Literaten, die Schlagworten, mit denen man die Vernunft erschlägt, heftig misstrauen, den Dünkel der großen Worte zu entlarven suchen, und die sich darauf verlassen, dass eine dünne Asbestschicht um das Herz gegen Brandlegungen schütze. Dieses Schutzmittel nannte ich Skepsis.“ (aus „Lesebuch für Staatsbürger“) 

Erna & Arno bei der Arbeit Foto: unbekannt

Schon zum Wintersemester 1918/19 fing er in Halle an der Saale sein Studium an: Philosophie sowie Deutsche und Klassische Philologie. Kurz darauf wechselt er an die Uni München zu Germanistik-Koryphäen wie Professor Carl von Kraus und Fritz Strich. Er genießt das Flair der bayerischen Metropole und verkehrt in neuen Kreisen. Die Münchner Szene aus Kunst- und Literaturschaffenden, Feministinnen, Theaterleuten oder Verlegern, war einfach etwas anderes, als die parallelen Anfänge der Nazis im Hofbräuhaus. Er lernt fleißig und lässt sein Talent aufblitzen: Das Studium beendet er mit magna cum laude. Seine Promotionsschrift „Studien zur mittelhochdeutschen Reimgrammatik“ wird mit einem Habilitations-Stipendium ausgezeichnet. An dieser Stelle schlägt das Schicksal zu – mal wieder: Die Inflation. löst nicht nur private Vermögen und deutsche Sozialkassen auf, sondern lässt auch das Preisgeld zerrinnen, es reicht gerade für eine Straßenbahnfahrt. Arno kann auf keine Karriere mehr als vollumfänglicher Germanist hoffen. Im Gegenteil, Er muss sich nun, wie Millionen anderer Mitmenschen auch, irgendwie durchschlagen.

Major Buchruckers Eigendarstellung 1920 Foto: Stadtarchiv Cottbus

Der Vater stirbt im Oktober 1921, die anderen fünf Geschwister haben Cottbus verlassen. Die meisten leben in Berlin. In der Hauptstadt lernt Arno die Frau seines Lebens kennen: Erna Moser, geboren in Brüssel/Belgien, in Berlin Grunewald aufgewachsen, aus gutem Hause, Tochter eines wohlhabenden Großhändlers. Arno ernährt sich bei fahrbaren Suppenküchen religiöser Gruppen (der Quäker). Er jobbt als Hauslehrer oder wissenschaftliche Hilfskraft. Er verlässt München endgültig und bekommt 1925 Arbeit als Bibliothekar an der Deutschen Bücherei Leipzig. 

Verordnungen vom 15. März 1920 Foro: Stadtarchiv Cottbus

1926 heiraten Arno & Erna – man könnte sich die Namensähnlichkeit nicht schöner ausdenken. Eine gute, eine glückliche Zeit bricht an. Arno verdient Geld mit seiner Schreiberei, genug um die feste Anstellung aufzugeben und „um als freier Schriftsteller von meinen wissenschaftlichen und publizistischen Arbeiten zu leben. (…) Ab 1926 publizistisch bei angesehen Zeitschriften und Zeitungen tätig und im zunehmenden Umfang als Vortragender und literarischer Mitarbeiter bei allen deutschen Radio-Gesellschaften. Schon damals bahnte sich eine enge Zusammenarbeit mit dem Mitteldeutschen Rundfunk an.“

Insgesamt starben bei den Unruhen im März 1920 über 50 Menschen Foto: Stadtarchiv Cottbus

Es läuft. Arno schreibt für Blätter wie die Frankfurter Zeitung oder Die Literarische Welt. Seine Artikel sind spitz, durchaus witzig und ohne Pardon. Gerade weil er ein hochdekorierter Frontkämpfer ist, leistet er sich seine Meinung gegen die „Alten Kameraden“. Der rechte Aufschrei lässt nicht lange auf sich warten. Es flattern böse Briefe in die Redaktionsstuben. Heute würde man von einem „Shitstorm“ sprechen. Der Grundton der Briefe ist sofort antisemitisch: „Der dritte Jude hatte sich 10 km vor dem Graben die Hose derart vollgeschissen, dass ich ihn aus Gründen der Sauberkeit zu seinen ,Gleichgesinnten‘ in die Etappe zurückschicken musste. Ob der letztgenannte ,Soldat‘, der übrigens mit Namen Schirokauer hieß, mit Ihnen identisch ist, entzieht sich leider meiner Kenntnis, nach dem politischen Aroma, das ihr ,Werk‘ ausströmt, scheint dies aber der Fall zu sein…“

Daniel Ratthei

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe über Arno Schirokauers aufregende Zeit beim neuen Medium Radio und der nächsten schicksalhaften Wendung: Die Machtübernahme der Nazis.   

 

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

 

Teil 5

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