Der Nudeldampfer von Löbau

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Rundgang im Haus Schminke

Mit diesem Katzensprung reisen wir zurück in die 20er- und 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts und betreten die faszinierende Welt der Architektur. Das Ende des ersten Weltkrieges gilt heute als Epochenbeginn der Klassischen Moderne. Wobei wie überall gilt: Die zeitlichen Grenzen sind fließend und vor allem umfasste diese Ära (bis in die 1960er-Jahre) ganz verschiedene Stile der modernen Architektur.

Wintergarten Foto: Stiftung Haus Schminke

Expressionistische Objekte könnten gar nicht gegensätzlicher zur Neuen Sachlichkeit stehen, Bauhaus folgte einer anderen Philosophie als Organisches Bauen und trotzdem gehören jene Stile zur Klassischen Moderne. Was eint, ist die Verwendung der Baumaterialien Beton, Glas und Stahl und natürlich die Lust am Ausprobieren, weg vom (Neo-)Historismus. Was trennt, ist wohl die Frage nach Wirkung und Funktion oder schlicht, nach dem rechten Winkel oder der geschwungenen Form. 

Außenansicht Süd Foto: Stiftung Haus Schminke

Gebaut wurde alles. Kirchen, Observatorien, Bibliotheken, Bahnhöfe, Konzerthäuser, Museen, Einkaufszentren … und natürlich Wohnhäuser. Weltweit gelten heute vier Exemplare als die wichtigsten Wohnhäuser der Klassischen Moderne. Das Haus Tugend hat im tschechischen Brno von Ludwig Mies van der Rohe 1931, die Villa Savoye in Poissy bei Paris von Le Corbusier 1929, das Haus Fallingwater in Pennsylvania von Frank Lloyd Wright 1939 und – Trommelwirbel – das Haus Schminke von Architekt Hans Scharoun in Löbau in der Oberlausitz. Bämm!

Elternschlafzimmer Foto: Stiftung Haus Schminke

Schauen sie im Internet nach den genannten Häusern, sie werden feststellen, das Haus Schminke steht zu Recht in der Reihe dieser prominenten Top Vier. Benannt ist das Gebäude nach dem Bauherrn Fritz Schminke. Der Unternehmer führte in Löbau erfolgreich eine Teigwarenfabrik, die er 1920 in jungen Jahren gemeinsam mit seinem Bruder vom verstorbenen Vater übernahm. Wie damals üblich, besaß die Familie ein Grundstück neben der Fabrik, auf dem die klassische Fabrikantenvilla stehen sollte. Das Bauvorhaben scheiterte jedoch am Bauverbot während des 1. Weltkrieges. Das junge Ehepaar Fritz und Charlotte Schminke hatte Geld und Geschmack genug, sich nach einem Architekten umzusehen, der ihnen und ihren vier Kindern etwas Gewagteres, ja Passenderes bauen sollte, als den üblichen Direktoren-Kasten. Auf einer Bauausstellung wurden sie fündig. Die maritime Handschrift von Hans Scharoun gefiel. Der Architekt und die Schminkes – es wird eine lebenslange Freundschaft bleiben.

Frankfurter Küche Foto: Stiftung Haus Schminke

Scharouns Herangehensweise war auf den Nutzer fixiert. Welche Bedürfnisse haben die Wohnenden? Welcher Komfort wird erforderlich sein? Von innen nach außen verlief die Planung. Je nach Funktion sollten individuelle Formen entstehen. Die Vorgabe der Schminkes klang simpel: „Ein modernes Haus für zwei Eltern, vier Kinder und gelegentlich ein bis zwei Gäste.“ Aber auch: Blick auf den Garten, Nutzung der Südsonne, kindgerechte Freiräume und pflegeleichte Zimmer durch die einzige Hauskraft.      

Bullaugen in Kinderhöhe
Foto; Daniel Ratthei

1933 ist der „Nudeldampfer“ bezugsfertig und salopp gesagt, das Gesamtkunstwerk muss der Hammer gewesen sein. Auf alten Fotos bekommt man eine leise Ahnung davon, wie lässig und farbenfroh die Inneneinrichtung anmutete. Von außen wirkt der Stahlskelettbau bis heute wie ein Schiff mit Sonnendeck. Im Erdgeschoss liegt der transparente Wohnbereich mit Wintergarten, im Obergeschoss die spartanischen Schlafkojen. Alle Details sind durchdacht und verbinden Funktion mit Lebenslust. Besonders die Kinder waren vom abenteuerlichen Dampfer angetan. Die jüngste Tochter Helga (heute 90 Jahre alt) sagte im Rückblick mal, sie habe immer den Eindruck gehabt, das Haus wäre nur für sie gebaut worden. Ein beliebtes Fotomotiv sind die bunten Bullaugen in Kinderhöhe, um die Welt mit anderen Farben wahrzunehmen.

Nudeldampfer Ahoi! Foto: Stiftung Haus Schminke

Sprung auf 1945. Der Russe steht vor der Tür. Und zwar wortwörtlich. Die Rote Armee beschlagnahmt das Haus und nutzt es als Militärkommandantur. Ein Jahr später erhält die Familie das Haus zurück, die Nudelfabrik nebenan wird indes enteignet. Der spielerische, kinderfreundliche Charakter der Villa erfährt eine neue Wendung. Mutter Charlotte verwandelt das Haus in ein Erholungsheim für Kinder bombengeschädigter Familien aus Dresden. 1951 folgt sie ihrem Mann nach Celle in Niedersachsen, der dort inzwischen bei einer Keksfabrik eine neue Anstellung fand.

Der DDR diente das Anwesen als Pionierhaus. Frau Schminkes inoffizielles Vermächtnis, ein Ort für Kinder-und Jugendliche zu schaffen, geht also weiter. So ganz geheuer ist der SED-Führung die extravagante Fabrikantenvilla nicht – dieses Juwel in der Oberlausitzer Provinz bleibt ein versteckter Schatz im Dornröschenschlaf. Trotzdem steht das Haus Schminke ab 1978 unter Denkmalschutz. Die Pionierleitung nutzt und pflegt das Haus, wenn auch mit begrenzten Mitteln, aber es verwahrlost nie.          

Bei Nacht Foto: Stiftung Haus Schminke

Seit 2007 existiert die „Stiftung Haus Schminke“ und es ist viel erreicht worden. Das Anwesen wurde saniert und einige Originalgegenstände der Familie Schminke konnten zurückgeführt werden. Von Donnerstag bis Sonntag ist das Haus ganzjährig geöffnet. 2019 gab es den Rekord von 13.000 Besuchern. Die Führungen sind sehr zu empfehlen – auch (oder gerade) für Kinder. Haus Schminke ist der perfekte Bau, um Gespür für Architektur zu vermitteln. Die Corona-Regeln sehen momentan nur den Rundgang mit Audioguide oder angemeldete Führungen mit Mundschutz vor, aber es lohnt sich. Der Autor war jedenfalls begeistert.

Daniel Ratthei

Tolle Führung von Julia Bojaryn (Stiftung Haus Schminke) Foto: Daniel Ratthei

Mein Tipp: Man kann – bitte festhalten – im Haus Schminke übernachten. Der Basispreis für zwei Personen liegt bei 250,- Euro. Führung inklusive. Nicht billig, aber das soll es auch nicht sein. Es wäre diese eine ganz besondere Nacht…

 

 

 

 

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