Editorial Juni 2020

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Egal wie, der Spargel ist auch in der Lausitz an den Verkaufsständen angekommen. Unfassbar eigentlich. Nach den Schwierigkeiten mit den Erntehelfern, den merkwürdigen Witterungsverhältnissen und  Covid19. Und obwohl weißer Spargel den Nährwert einer länger nicht gespülten Suppentasse hat, unangenehme Gerüche verbreitet und mitnichten die Nieren reinigt, ist er bis 26. Juni neben Erdbeeren das Essen der Stunde. Trotz des vernachlässigbaren Nährwerts: Wenn man ein Tässchen zerlassene Butter mit leicht angerösteten Semmelbröseln – natürlich biologisch einwandfrei erzeugt – darüber kippt oder ihn mit frischen Schinken umwickelt, dann nehme ich auch gern ein Stängchen mehr. Wäre da nur nicht die Schälerei. Stundenlang arbeiten sich erwachsene Leute daran ab. Schälen, schnippeln, waschen und lassen schließlich die nährwertlosen Dinger in heißem Wasser vor sich hin blubbern. Wahrscheinlich würden viel mehr Leute Spargel essen, wenn er nicht so viel Arbeit verursachen würde. Als ich die Verkäuferin in der Pappschachtel fragte, was das für Spargel sei, der da in Plaste verpackt war, sagte sie: „Der ist geschält.“ Ich guckte auf die eben erworbenen zwei Kilo ungeschälten Spargel. „Kann ich nochmal tauschen? Ich hätte am liebsten drei davon, obwohl hier nur eine Packung rumliegt.“ „Ja“, sagte sie, bückte sich, öffnete die große dunkle Kiste, die ich in diesem Moment das erst Mal wahrnahm und zauberte zwei weitere Packen heraus. Lebenslektion: Wer nicht fragt, hat eine Menge mehr zu tun. Was anderes wäre es, wenn man mal Zeit hätte, zum Beispiel, wenn irgendetwas geschähe, das einen zur Ruhe zwingt und die Welt einfach mal halb so schnell drehen ließe, dann könnte man getrost fünf Kilo Spargel am Tag schälen.

 

Heiko Portale

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