Ermunterung zum Gedichtelesen

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Kristian Pechs „Platanenwolken” mit Grafiken von Hans Scheuerecker

Gedichte haben eigentlich keine Konjunktur. Wo Verständigungen per SMS geschehen oder schaumfeuchte Hassparolen über Social Media versendet werden,  da verschließen sich Ohren vor Rhythmus, Wohlklang, fantasievollem Bildreichtum. Verse gelten  als altmodisch, anstrengend, abgehoben. Da regiert Heute-Ton: „Kann der nicht kurz und  verständlich sagen, was er will?”

Grafiken: Hans Scheuerecker

Schade, sage ich. Anlass dafür ist Kristian Pechs neuer Gedichtband „Platanenwolken”. Es gibt darin einen Text mit dem Titel „Ermunterung”. Es geht darum, sich den schönen Dingen des Lebens zuzuwenden. Die das tun  „sind auf den geruch vollblütiger frauen  aus und frischer gemälde und druckfeuchter bücher”. Und vielleicht auch auf hintergründige, verschmitzte Gedichte. Da steckt wirklich Ermunterung drin. Das gilt auch für die Verse vieler anderer Dichter, aus denen man sich Vergnügen, Rat, Bestätigung, Lebensansätze holen kann. Bleiben wir aber bei Pech.

 Pech (Jahrgang 1946; u.a.   „Abschweifungen über Bäume”, „Reyn pflantzlicke liebe” und „Der Heißatem, der Augenblitz”) hat ein unbestechliches Auge für den Alltag,   für Situationen, für den Moment. Wer Pech kennt oder auch nur liest, hat Glück; denn sein Blick auf die Dinge durchdringt, was da ist, und zeigt manches, was man in diesem Zusammenhang nicht vermutet. Ja, zuweilen entdeckt man darin sich selbst und früher oder später Erlebtes. Immer ein Geschenk für den Leser, unbedingt ein Gewinn.

Das Schicksal von Pflaumenbäumen in ihrer Plantage am Tagebaurand spricht uns genauso an, zumal der Dichter bei diesen Früchten „anzügliche Assoziationen” hat, wie Müllkippen, Zigarettenkippen, Schnapskippen. Ja, selbst Fußballspiele „kippen” in der Umgangs- und Fachsprache. Ist etwa alles um uns herum dabei zu kippen? Zuweilen könnte man dies glauben. Pech sieht uns in einer Konfettiwelt mit dem Konfetti der Mülltonnen, der Briefkästen und der Banken. Er erinnert an „die ausforscherinnen die teufelsbräute”, die mit ihrem Lustversprechen und ihrer Freudenspende sich Material verschafften, um Berichte schreiben zu können. Wegen des Waldfrevels richtet der Dichter unseren Blick darauf: „Wälder müssen wenn sie sterben im stehen sterben”. Manche Texte widmen sich Fernreisen, erweitern, vertiefen, erneuern, was wir selbst schon erlebt haben.

Aus den „Platanenwolken” regnet es auch sonderbare Wortschöpfungen: den „Gebügelthemdigen”, heute wohl mehr ein Einzelgänger. Die Landschaft um Trakehnen sei „helles lindiges land bestorcht und lupinig”. Entdeckungen für den Wortschatz und Anregung, aus wuchtigen Substantiven kleine eingängige Worte zu formen, die nicht unbedingt im Duden stehen.

Es gibt in dem Band auch einige Gedichte, die außer dem verschmitzten Hintergrund wunderbar humorig sind. Dazu zählt „Fahriges Rätsel” über unseren wichtigsten Gebrauchsgegenstand. Welcher das ist, sage ich nicht. Ich könnte hier auch sieben Fragezeichen setzen, mit denen Pechs Katze endet, wenn sie ihre Texte in die  Computertastatur drischt. Ohne Punkt und Komma, es darin ihrem Meister gleichtuend, der uns mit keiner Interpunktion vollschüttet. Wir können uns die Ordnung in seinen Zeilen selbst schaffen.

Dem Gedichtband beigegeben sind 24 Grafiken von Hans Scheuerecker, den eine lange Freundschaft mit Kristian Pech verbindet. Sie sind abstrakte gedankliche Ergänzungen, ich denke sehr wohl im Sinne des Lyrikers. Es sind gezeichnete Gedichte, deren Deutung uns viele Möglichkeiten eröffnet.  Vielleicht sind sie uns Spiegel. Einige weisen mich auch daraufhin, von welcher Reizüberflutung und was für einem Info-Tsunami Zeit und Welt gegenwärtig geprägt werden. Sind Gedichte und Zeichnungen gar ein Appell zur Entschleunigung?

 Der Leipziger Schriftsteller Volker Ebersbach kommt mit einem Essay über Pechs Gedichte zu Wort. Er meint, die Sprache der Poesie sei so „trefflich”, dass es unverständlich klänge, wenn man versuchte, dasselbe prosaisch, also alltäglich zusagen. Der Heute-Ton: „Kann der nicht kurz und verständlich sagen, was er will?” kommt dagegen nicht an.

Wenn sie sich haben ermunter lassen, diese Gedichte zu lesen: Den Band, der in Kooperation mit dem Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst entstanden ist, haben Autor und Grafiker in Eigenproduktion, hergestellt in der Druckzone Cottbus,  veröffentlicht. Er kann für 16 EUR in der Buchhandlung Hugendubel und nach Ende des Lockdowns auch im Landesmuseum bezogen werden.

Klaus Wilke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                                 

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