Die Macht des Staates, der Arbeiter und des Schicksals

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Zum Auftakt gibt es eine vierzigminütige Zugverspätung von Berlin. Hab ich so noch nicht erlebt. Das wirkliche Drama aber gibt es nach einem Sprint in den Weltspiegel. Es läuft

Leave no traces

von Jan P. Matuszynski aus Polen. Der hatte vor fünf Jahren mit „The Last Family“ für einen Paukenschlag gesorgt (wir berichteten), deshalb war sein neuer Streifen Pflichtprogramm. Es geht sofort bretthart ins Warschau der 80er Jahre, aus dem Publikum ertönt immer wieder mitfühlendes Ausstöhnen, zumal der Plot auf wahren Begebenheiten beruht: Grzegorz und Jurek haben gerade das Abitur bestanden und laufen übermütig durch die Altstadt. Dort werden sie von einer Polizeistreife aufgegriffen und gewaltsam auf ein Revier verbracht. Grzegorz wird so heftig verprügelt, dass er kurz darauf an inneren Blutungen stirbt.

Das Ministerium des Innern tut alles dafür, die Sache zu vertuschen. Die Presse bringt eine völlig verdrehte Version der Vorkommnisse, Jurek, der einzige Zeuge, wird von der Opposition versteckt und will für die Wahrheit kämpfen.

Der Vorhang öffnet sich

Der Zuschauer ist in ein Wechselbad der Gefühle getaucht und will sich nicht von der Idee verabschieden, dass die Schuldigen verurteilt werden. Es gibt auch immer wieder Stimmen innerhalb des Apparats, die sich für eine ehrliche Aufklärung einsetzen, doch die Betonköpfe, die mit perfidesten Methoden und Denunziationen Gegner und Beteiligte in die Enge treiben, setzen alle Hebel in Gang, die Geschehnisse umzudeuten. Jurek steht schließlich allein gegen einen übermächtigen Staatsapparat …

Selbst sein Vater will ihn ununterbrochen dazu bewegen, seine Aussage zu ändern. Dieser Teilstrang ist es allerdings, der den Film am Beginn der dritten Stunde an Intensität und Dramatik verlieren lässt. Hier lässt die Geschichte zu sehr los, was die (vor allem emotionale) Wirkung des Films jedoch insgesamt nicht zu sehr schmälert. 

Dann wird es lustig. Ich kenne Cottbus ja nun wie meine Westentasche. Laufe zum nächsten Film zum Stadthaus. Frage dort nach dem Kinosaal. Erfahre: „Filme gibt’s im Alten Stadthaus. Das hier ist das Neue.“ Oh, da muss ich mich aber sputen! Wegen des 3G-Check Ins kann ich aber noch kurz nach dem Gong in den Saal flitzen. In

Factory to the Workers

Zagreb. Die Heimat des Regisseurs Srđan Kovačević

geht es um die ITAS-Werkzeugmaschinen-Fabrik in Kroatien, die von den Arbeitern selbst verwaltet wird. Als im ehemaligen Jugoslawien Anfang unseres Jahrhunderts viele Fabriken privatisiert werden sollten, wurden viele Betriebe von den Belegschaften besetzt. Dies ist die einzige Fabrik, die durch diesen Kampf in die Hände der Werktätigen überging. Zehn Jahre nach der Besetzung setzt der Dokumentarfilm von Srđan Kovačević aus Zagreb ein. Es gibt viele Probleme. Die Fabrik kann nicht profitabel arbeiten und so gegen die kapitalistische Konkurrenz bestehen. Gehälter werden immer wieder zu spät ausgezahlt. Der gewählte Direktor scheint Geld abgezweigt zu haben und muss herausgeschmissen werden. Doch das Tragischste ist, dass die jungen Arbeiter kein Interesse mehr daran haben, Mitbestimmer und Anteilseigner des Betriebes zu sein. Sie wollen lieber Stabilität und den Gehaltsscheck pünktlich …

Spiral

Spätes Zoom-Gespräch mit Cecilia Ferméri

Der ungarisch-rumänische Wettbewerbsbeitrag von Cecilia Ferméri zeigt Anklänge an eine ganze Reihe von Genres, etwa Thriller, Tier-Mystery und Ehe-Drama, legt sich dabei auf keines wirklich fest und kommt insgesamt auch recht verhalten daher. Mitunter beschlich mich der Gedanke, dass Subtilität und Fadheit doch ganz schön nahe beieinander liegen können. Doch umschifft der Film diese Längen im Verlauf durch neue Personen oder nicht erwartbare Wendungen.

Im Zentrum des Films steht Bence, der in idyllischer Landschaft eine Fischzucht betreibt. Seine Braut Janka will eigentlich die Einöde verlassen, muss dazu viel telefonieren. Guten Empfang hat man aber nur auf der Mitte des großen Teiches. Eines winterfrostigen Tages muss sie wieder unbedingt anrufen. Und muss, da Bence nicht hilft, das Wagnis eingehen, auf das dünne Eis des Sees hinauszugehen … Lobenswert ist auf jeden Fall, dass die Schleife, die das Schicksal für den Protagonisten bereithält, anders beschaffen ist als erwartet!

Wieder draußen ist es dann nicht ganz so eisig. Schalwetter, aber nicht ungemütlich. So, wie man Cottbus gewöhnt ist. Schön, dass einiges wieder in gewohnte Bahnen geraten ist!

 

 

 

 

 

 

 

 

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