Acht Neißfische im wilden Osten

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Das 17. Neißefilmfestival erleuchtet das Dreikulteck – 2020 leicht verkürzt

Schon seit langem wird im Dreiländereck – gelegen am oberen Ende der F96 – nicht mehr viral gebibbert, sondern gut gelaunt geglotzt. Und nun auch geklotzt, denn im Kunstbauerkino Großhennersdorf, dem kleinsten Duoplex der Republik, wartet nun wirklich vom 24. bis 27. September die 17. Auflage vom Neißefilmfestival. Und das als „Wild-Edition“, weil es die Medizinerfrauen und -männer des Landkreises für hygienisch zulässig befanden. Auch gibt es in deutschen Kinos dermaßen Frischluft – also bis dato noch keinen überlieferten „Fall“. 

So wird die um zwei Tage verkürzte Festivalvariante wie geplant mit Wettbewerben für Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilm sowie der Fokus-Reihe „Films for Future“, den Regionalia sowie dem Kinderprogramm und einem kleinen Rahmenprogramm mit Ausstellungen, Gesprächen und Konzerten aufwarten, dafür aber von weniger Filmreihen und überwiegend Spielorten auf der deutschen Seite im „Border Triangle“ aufwarten.

Denn die Neiße als späterer Grenzfluss verbindet – von ihrem Born im Isergebirge herabplätschernd – ja nicht nur Liberec, Zittau und Görlitz/Zgorzelec und stiftet Namen wie Fisch (als Siegerpokale). Sondern es liegen auch Bogatynia, Sienawka und Varnsdorf von den deutschen Hotspots wie Großhennersdorf, Mittelherwigsdorf und Zittau aus gesehen, wirklich gleich um die Ecke und liefern nicht nur Benzin und Zigaretten, wie man kürzlich missend bemerkte.

Umweltwandel und Strukturschutz

An nun vier Festivaltagen erwarten das Publikum trotzdem 62 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme in drei Wettbewerben, also jene exklusive Mischung, mit der man zwischen den Festivals Cottbus, Chemnitz, Leipzig und Dresden geschickt seine Nische gefunden hat und nebenher die Lage – das Oberlausitzer Grenzland mit Nordböhmen im Süden und Polen im Osten. Das ist der eigentliche Reiz des Festivals, mutig zur Marke erhoben: grenzübergreifend und trinational – eine europäisch einmalige Dreiecksfestivalbeziehung. Der Hauptwettbewerb um den besten Spielfilm wird, so wie gewohnt, unter je drei frischen Werken aus Tschechien, Polen und der Bundesrepublik gekürt und mit zehn sächsischen Riesen plus „Drei-Länder-Filmpreis“ der sächsischen Kunstministerin geehrt.

Neben dem Wettbewerb stehen der Umweltwandel und Klimaschutz, also spät- oder turbokapitalistische Ressourcenausbeutung samt Weltverschmutzung im Fokus – dazu gehört auch die sensationelle Fotoausstellung „Markus Mauthe – An den Rändern der Welt“, die schon seit Mitte September im Rathaus Zittau gezeigt wird.  Ein weiterer Höhepunkt: Nach Grit Lemkes Doku „Gundermann Revier“ am 27. September (14 Uhr) im Filmtheater Ebersbach wird es eine offene Bühne für Texte und Lieder von oder über Gundermann geben – nicht nur für Engel aus oder überm Revier.

Dort findet am 26. September (17 Uhr) auch erstmals die feierliche Preisverleihung statt. Mit den acht Neiße-Fischen, als jährliches Unikat von Andreas Kupfer kreiert, werden hier neben den besten Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen auch zwei Publikumslieblinge und die beste darstellerische Leistung, das beste Drehbuch und das beste Szenenbild prämiert. Natürlich von einer dreifachen trinationalen Dreijury aus den Triangelländern. 

Die Schmerzen der Lausitz

Die Zahl der Sitzplätze ist bekanntermaßen arg begrenzt. So darf das Görlitzer „Camillo“ als einziger wilder Austragungsort in der östlichsten BRD-Stadt nur zwölf (von 38 Plätzchen) anbieten – hier finden insgesamt elf Veranstaltungen statt. Darunter eine der fünf begehrten Extrashows am Sonntag (20 Uhr), in dem die Preisträger gewürdigt werden, die genaue Zuordnung der acht Preisträger wird am Sonnabend ab 20 Uhr nach deren feierlichen Verleihung veröffentlicht. Soll heißen: Frühbucher sind klar im Vorteil, wobei jede Anreise mit öffentlichen Nahverkehr echt nachhaltig mit Drei-Euro-Eintritt belohnt wird. Ein Kombiticket der anderen Art!

Dies ist ganz im Sinne des Festivals. Denn der Eröffnungsfilm, eine oppulente Schweizer Zweieinhalbstundenode an Bruno Manser als Kämpfer für die Ureinwohner von Borneo (am 24. September ab 19 Uhr in vier Kinos gleichzeitig), gehört zum Fokus „Films for Future,“ eine von drei Extra-Reihen (neben „Regionalia“ und Kinderkino), die wie geplant stattfinden werden und dabei wichtige historische Umweltfilme zeigen, darunter „Schmerzen der Lausitz“, Brězans „Hochwaldmärchen“ oder „Bitteres aus Bitterfeld“ aus dem DDR-Untergrund, aber auch „Coal in the Soul“, eine 2010er Doku vom Gewissenskonflikt zweier nordböhmischer Frauen, die sich eigentlich sympathisch sind.

Kleiner Grenzverkehr als Lebenselexier

Eigentlich sollte ja deren 17. Edition, wie im April-Hermann verkündet, schon am 12. Mai starten und das Beste aus mehr als 600 eingesandten Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme zeigen. Damals hatte die Region, das Oberland, schon seit sechs Wochen keine Neuinfektionen mehr zu verzeichnen und darob schon zwei Wochen lang zornige Demonstranten am Sonntagvormittag statt Gottesdienst eine Stunde lang stumm an der Fernverkehrsstraße gen Mukran und Saßnitz stehen, was die größeren, aber derzeit arg schrumpfenden Leidmedien schon im Sommer, also rund acht bis zehn Wochen später, bemerkten. 

Nun bleiben vom fertigen Programm für Mai vier statt sechs pralle Festivaltage – die Zahl der Veranstaltungen ist mit 75 bei rund bei der Hälfte, ebenso wie jene der Filme (62 von 130), jene der bespielten Ortschaften sinkt um zwei auf 12, jene der beteiligten Spielstätten um zehn auf 15. Man kann also nur hoffen, dass die Grenzen und Türen weithin offen bleiben und Reisewarnungen nur für längere Aufenthalte gelten. Dennoch gilt für die Organisatoren wie schon Anfang März: Man beobachte stets und intensiv die weiteren Entwicklungen und sei im Austausch mit den zuständigen Behörden und den Partnern in allen drei Ländern. Denn die Lage ist im Dreiländereck so ganz ohne „kleinen Grenzverkehr“ noch wesentlich prekärer als in Cottbus, Bautzen oder Dresden. Nicht nur kulturell.

Andreas Herrmann

Netzinfos: www.neissefilmfestival.de

 

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