Durch den notorischen Regen stiefele ich zunächst zum Gladhouse. Dort gibt es aus der Rubrik Spotlight Slovensko zwei slowakische Filme zum Hundertjährigen Jubiläum des dortigen Filmwesens.
Der Drache kehrt zurück
Töpfer Martin kehrt nach Jahren in sein mittelalterliches Bergdorf zurück. Ein rauer, vernarbter Gesell. Sofort wird ihm von den Bewohnern die Schuld an der Dürre des Jahres und einem verheerenden Feuer angedichtet. Eine Braut hatte er hier auch zurückgelassen. Sie ist nun mit Šimon verheiratet, der um die Schöne fürchten muss und
den Heimkehrer töten soll. Das bringt er aber nicht über’s Herz. Im Gegenteil, zusammen brechen sie auf, um das vor der Feuersbrunst geflohene Vieh heimzutreiben. Schafft Martin das innerhalb von sieben Tagen, darf er bleiben, schafft er es nicht, wird sein Haus abgebrannt …
Bildlich starkes, streng und überzeugend komponiertes Historienspiel im Stil der tschechoslowakischen Nouvelle Vague, zu der Eduard Grečner 1967 (so steht es im Abspann im Gegensatz zum Programmheft) augenscheinlich einen ganz bedeutenden Beitrag geleistet hat. Genauso begeistert bin ich vom gänzlich anders gelagerten
Vor dem Ende der Nacht
von Peter Solan (1965). Der ganze Film begleitet nur eine einzige Nacht in einer Tanzbar und ist dabei vortrefflich unterhaltend ohne jede dramatische Leerstelle. Da ist zunächst der Wohlbetuchte, der den ganzen Abend Leute einlädt. Da ist der trockene Alkoholiker, der mit seiner Frau Saft trinkt; nur befindet sich ein heimlicher Gin in jedem. Und da sind die zwei Freunde, die Mädchen aufgabeln wollen – einer klein, dick und ulkig, der andere ein Frauentyp mit jeder Menge Schneid. Sie lernen schließlich zwei Sekretärinnen kennen, es wird getanzt und gebaggert. Doch die Blondine hat kein Interesse an dem Draufgänger. Wird sie dem schmierigen deutschen Handlungsreisenden anheimfallen?
Es passiert so viel und so wenig in dieser charmanten, liebenswerten Nachtschwärmer-Geschichte, die mitunter feine Anklänge an den frühen Miloš Forman zeigt. Der ganze Kinosaal ist beschwingt und erheitert!
Draußen geht es inzwischen ans Eingemachte. Wie der Wind dem „Flanierer“ die regennassen Böen um die Ohren klatscht, kann einem Angst und Bange vor einer Erkältung werden. Schnell ins Warme und den Wettbewerb.
In Limbo
porträtiert nach einer wahren Begebenheit ein 15-jähriges russisches Paar, das aufgrund eines miserablen Verhältnisses zum Elternhaus und der sozialen Beengtheit allgemein von Revolte träumt und den Ausbruch wagt. Der Film hat ziemlich viel Drive am Anfang, die Farbgestaltung ist poppig, die Musik wirklich cool – den Soundtrack besorge ich mir. Allerdings erlaubt er sich schnell einfach zu viele Sperenzien, die wie eingespielte Video-Clips wirken und die Dramaturgie holpern lassen. Da dachte ich, dass der Streifen von Alexander Chant besser im Jugendfilm-Wettbewerb aufgehoben wäre, er war schlicht zu Insta-affin.
Es wird dann aber wieder Thriller-haft, die Jugendlichen überwältigen den miesen Stiefvater des Mädchens, stehlen ihm die Dienstwaffe und den Wagen. Im Kofferraum finden sie noch ein Maschinengewehr. Der Junge, am Anfang noch ein Muttersöhnchen, kokettiert mit der Gewalt und der Macht, die Waffen verleihen. Doch auch hier kann sich der Film nicht so recht entscheiden, was er sein will, und verliert deutlich an Intensität. Ein Kritiker-Kollege von der Berliner bestätigte mir den Eindruck, dass hier zu viel kalkuliert worden ist und die Milieu-Studie daher einfach nicht stimmig werden will. Das Ende des Ausbruchs der beiden geht allerdings trotzdem zu Herzen …
Looking for Venera
aus dem Kosovo (Koproduktion mit Mazedonien) ist für mich der erste Aspirant auf die Goldene Lubina. Verenas beste Freundin in einem ruhigen kosovarischen Bergdorf hat eine Freundin, die schon etwas mit Jungs hat. Zufällig sieht sie ihr auch einmal beim ungestümen Sex im Wald zu. Das darf sich auf keinen Fall herumsprechen. Verena will auch ihren Anteil an Lebensfreude. Nicht gleich „das“, aber in der nahen Kleinstadt mal auf ein Indie-Konzert zu gehen, kann doch nicht so ein Problem sein. Schließlich gelingt es ihr auch mit einigen Kniffen, geschminkt und aufgekrückt auszugehen! Doch gibt es anschließend jede Menge Theater …
Wir sehen das Porträt einer Gesellschaft, in der die Reinheit des Namens und das Ansehen vor den Nachbarn unbedingt geschützt werden müssen. Doch Venera rebelliert gegen die Enge der Konventionen. Genauso eng geht es auch in der Bildgestaltung zu: In einem sehr breiten Format fehlen ständig Bildinformationen, die den Zuschauer herausfordern. Da sind Köpfe abgeschnitten oder das, worauf alle blicken, ist ausgespart. Genauso raffiniert ist die Distanz der Kamera zu den Akteuren. Sie holt sie aus großer Entfernung näher, was sie als objektiv- beobachtend charakterisiert, aber auch oft heißt, dass jemand, der im Bild-Vordergrund durchläuft und stehenbleibt, ganz viel vom Geschehen verdeckt. Umso mehr wird der Betrachter in die Beobachtung hineingezogen.
Regisseurin Norika Sefa war auch zu Gast im Weltspiegel – ein echter Mensch ist doch so viel mehr wert als eine Zoom-Gesicht – und hob heraus, dass sie die in überkommenen, patriarchalischen Mustern agierenden Männer in dem Film keinesfalls als schlechte Charaktere darstellen wollte, sondern eine Region und ihre sozialen Gefüge so porträtieren wollte, wie sie sie kennt. Gelungen!
Henning Rabe