Vom Aufblättern dunkler Kapitel

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Sughras Söhne

Zagreb; Der Konsum ist wichtiger als die Geschichte in Branko Schmidts Gesellschafts-Studie

Ilgar Najaf wirft einen galligen Blick auf sein Heimatland Aserbaidschan während des Zweiten Weltkriegs. In poetischen Schwarz-Weiß-Bildern fotografiert, zeigt der Film eine Familie in Auflösung. Sughras Mann war an der Front, ist inzwischen aber desertiert. Auch ihr Schwager hat sich dagegen entschieden, für die Sowjets sein Leben zu riskieren, und versteckt sich in den Bergen. Dorthin geht auch Sughras ältester Sohn, als er seine Einberufung erhält. Der jüngere wird zum Kurier zwischen der Mutter und den Geflohenen …
Der Film ist in der Aussage leider zu holzschnitt-artig, zu schwarz-weiß geraten. So ist der widerwärtigste Mensch des Dorfes auch gleich Kolchose-Vorsitzender, mutmaßlich der ganze Saal atmet auf, als er ermordet wird. Diese und andere Dinge sind überzogen und wenig ambivalent. Die politische Ambition drückt für mich das Berührende und die potenzielle Tiefe der Geschichte etwas zu sehr beiseite.

Ich treffe Claus vom Berliner Kino Brotfabrik und wir vertreten uns ein wenig die Beine. Die gelben Blätter auf den Gehsteigen werden heute nicht vom Regen getüpfelt, auch der Wind behelligt uns nicht. Er empfiehlt mir noch den Georgier im Wettbewerb, dann schlendere ich zum (richtigen) Stadthaus. Es läuft

Once we were good to you

Einlass im Gladhouse

In Zagreb hat man den Veteranen des Jugoslawien-Kriegs ein Museum versprochen. Dort, wo sie ihre ersten Schießübungen machten. Doch nun soll das Projekt wegen baulicher Probleme abgeblasen werden – die Statik. Die alten Kämpfer besetzen den Ort, eine alte Mühle im Herzen der kroatischen Hauptstadt. Sie fühlen sich zu wenig respektiert und aufs Abstellgleis der Gesellschaft geschoben, dazu von den Politikern verschaukelt. Sie sind bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Überdies haben sie sich noch mit meist jüngeren Anhängern der Neo-Ustascha auseinanderzusetzen, die sich in den Reihen der Unterstützer breit machen.
Das Ende vom Lied: Ein alter General, der beste Verbindungen in die Politik hat, bietet den Altkämpfern einen alternativen Ort außerhalb der Stadt an, der „bald“ gebaut werden soll. Wenn sie die Mühle räumen, erhalten sie dafür Gefälligkeiten, z. B. Auslands-Studienplätze für ihre Kinder. Sie rücken ab – und plötzlich ist die Statik auch gar kein Problem mehr, denn dort wird nun eine Shopping Mall einziehen …
Sehr direktes, engagiertes Zeitkino mit viel Handkamera und wilden Schwenks, das die Perspektivlosigkeit einer im Bruderkrieg verlorengegangenen Generation aufzeigt. Regie: Branko Schmidt

Mal richtig voll wird es im Gladhouse bei der Weltpremiere von

Der Auschwitz Report

Action in der Innenstadt

Ausgangspunkt des Spielfilms ist der Vrba-Wetzler-Bericht über die industriemäßigen Massentötungen in Auschwitz-Birkenau. Es ist immer ein schwieriges Unterfangen, die Hölle auf Herden, die sich in den Vernichtungslagern abspielte, darzustellen. Man darf hier nicht reißerisch vorgehen oder in obszönes Gewalt-Kino à la Mel Gibson verfallen. Der namenlose Schrecken muss visuell erfahrbar werden, ohne die Würde der Opfer anzukratzen oder für einen Schauwert zu missbrauchen. Diese Hürde umschifft der Film von Peter Bebjak, dem hochkarätigen Genre-Filmer aus dem slowakischen Partizánske, auf jeden Fall.
Zwei der Auschwitz-Insassen entkommen dem Inferno, die slowakischen Juden Freddy und Walter. Ihre Block-Kameraden stehen drei Tage draußen in der Kälte, doch keiner verrät ein Sterbenswörtchen. Die erste Begegnung der Geflohenen mit Menschen ist zu Tränen rührend: Eine polnische Frau findet sie im Wald und kehrt mit Schuhen zurück. Und Brot, das sie wie von Sinnen verschlingen … Sie gelangen über die polnisch-slowakische Grenze und treffen den slowakischen Untergrund. Der Zuschauer denkt, nun wird alles gut, doch diese Organisation ist faktisch machtlos. Erst der britische Rote Kreuz-Vertreter in Žilina könnte etwas bewirken – will den beiden Häftlinge aber zunächst nicht glauben. Als sie ihn endlich überzeugen, setzt auch er sich für einen Bombeneinsatz gegen Auschwitz ein. Doch der wird, wie wir leider gelernt haben, nie stattfinden …
Beeindruckender Film auf der Höhe des Themas. Hervorzuheben ist auf jeden Fall die Tongestaltung, die mit Anklängen an Klimows „Geh und sieh“ die schwierige Transition der Entkommenen auf dem Weg in die verantwortungsvolle Freiheit dokumentiert. Und die Kamera (Martin Žiaran), die vor allem bei den Außenaufnahmen immer wieder erstaunliche Register zieht. Gehört ins Kino!

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