Am 3. Juli 2020 wurde das Strukturstärkungsgesetz Kohleregion verabschiedet
– HERMANN sprach mit der Beigeordneten des Landkreises Bautzen, Birgit Weber, über Chancen und Aufgaben der nächsten Jahre
Frau Weber, die Kohleausstiegs- und Strukturstärkungsgesetze des Bundes sind beschlossen – entspricht das Gesetzespaket Ihren Erwartungen?
Wir haben uns darüber gefreut, dass die Bundesregierung ihre Versprechungen wahrgemacht hat und mit dem Investitionsgesetz für die Kohleregionen, dem Strukturstärkungsgesetz, umfangreiche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt hat.
Eine direkte Förderung von Unternehmen und deren Investitionen ist jedoch nicht möglich. Das ist und bleibt das große Manko des Gesetzes. Wir wissen aber auch, dass der Bund an verschiedenen zusätzlichen Bundesprogrammen arbeitet, um die im Strukturstärkungsgesetz definierten kommunalen Investitionen auch noch in den sogenannten nichtinvestiven Bereichen zu verstärken. Angesichts der aktuellen Corona-Entwicklung bleibt abzuwarten, wann der Bund diese Bereiche weiter ausgestalten wird. Deshalb konzentrieren wir uns zunächst auf die Fördermöglichkeiten für unsere Städte und Gemeinden. Wie können wir ihnen im Rahmen des Kohleausstiegs zur Seite stehen? Welche Möglichkeiten der Förderung gibt es? Hier wird es im Schwerpunkt um die Verbesserung der sogenannten weichen Standortfaktoren in den Kommunen gehen. Gerade auch vor dem Hintergrund der maßgeblichen Fragen zur Klimaanpassung, den Themen CO2-Neutralität, Energieeinsparung und alternative Energiemöglichkeiten. Dort gibt es noch vieles zu tun.
Welche Aufgaben und Chancen ergeben sich daraus für den Landkreis Bautzen?
Grundsätzlich hat natürlich jede Stadt oder Gemeinde in unserem Landkreis ganz unterschiedliche Herausforderungen. Einige Themen werden sich jedoch als Schwerpunkte herausstellen. So zum Beispiel das Thema einer gesicherten und zukunftsfähigen Ver- und Entsorgung. Hier wurde gerade nach der politischen Wende 1990 stark in unsere Ver- und Entsorgungssysteme beim Trinkwasser und Abwasser investiert. Diese Anlagen müssen vor dem Hintergrund der neuen Anforderungen nach Klimaanpassung und Energieeffizienz dringend anpasst werden. Ich hatte unter anderem ein Gespräch mit einer Gemeinde, die für ihre eine kommunale Kläranlage monatlich 5.000 Euro Stromkosten verausgabt. Wir wissen, dass bei der Abwasserklärung biologische Prozesse stattfinden. Diese können energetisch genutzt werden, so dass man die Anlage eigentlich völlig energieautark betreiben könnte. Aber das setzt natürlich einen Umbau und entsprechende Konzepte voraus.
Das Thema Energieeffizienz wird in der Zukunft in allen Bereichen eine große Rolle spielen, gerade auch bei den bestehenden Infrastrukturen. Viele kommunale Gebäude sind 50 Jahre alt oder älter und werden im Regelfall mit einer Ölheizung betrieben. Der Energieverbrauch hat bisher kaum eine große Rolle gespielt. Hier müssen energieeffiziente Lösungen umgesetzt werden. Daneben ist die Digitalisierung in den Verwaltungen auch ein wichtiges Thema für den Strukturwandel. Wir müssen Schritt halten können mit den wirtschaftlichen Entwicklungen. Nur so können wir ein kompetenter Partner für unsere Unternehmen sein. Aber auch der Öffentliche Personennahverkehr spielt eine große Rolle. Früher war es den Unternehmern nicht wichtig, wie der Mitarbeiter zur Arbeit kommt. Heutzutage sind wir auf jeden Arbeitnehmer angewiesen. Und da möchten wir natürlich auch sicherstellen, dass er, wenn er keinen Zugang zu einem motorisierten Fahrzeug hat, dennoch zur Arbeit kommt. Die Städte und Gemeinden sind hier gefordert, Maßnahmen vorzusehen, die die Nutzung des ÖPNV für viele Nutzer attraktiv und möglich machen.
Nach der Wende hat man viele Schienenverbindungen zurückgebaut oder einfach nicht mehr betrieben. Hier müssen wir ansetzen und alternative Lösungen anbieten. So wird der Landkreis zukünftig verstärkt Plus Busse etablieren, die jede Stunde fahren und als „schnelle“ Linie ein attraktives Angebot bietet.
Der weitere Ausbau von Verkehrsnetzen und die Elektrifizierung im Bereich der Bahn, im Zusammenwirken mit den Buslinien, ist für uns von großer Bedeutung.
Welche konkreten Erwartungen und Forderungen haben Sie an die Landesregierung Sachsen und die Bundesregierung im Umsetzungsprozess?
Die Prozesse die notwendig sind, um die Investitionen umzusetzen, müssen effizient und zielgerichtet sein. Der Freistaat Sachsen hat seine Förderrichtlinie zügig auf den Weg gebracht. Gleichwohl haben wir bislang noch kein einziges Projekt bewilligt bekommen. Mein Hauptanliegen ist daher, dass wir schnelle und unkomplizierte Abläufe sicherstellen können. Wir sehen das momentan ein bisschen mit Sorge, weil viele Prozesse stark administrativ gesteuert werden. Alle müssen hier wohl erst einmal Erfahrungen sammeln. Anfang des nächsten Jahres werden wir die ersten umfangreichen Projektanträge zur Beratung und Entscheidung dem Freistaat Sachsen vorlegen. Dann müssen wir abwarten, ob die Vorstellungen, die wir haben, deckungsgleich mit denen des Bundes sind. Ich denke hier insbesondere an die Investitionen in Kindertageseinrichtungen oder in Kultureinrichtungen.
Über allem steht die Aufgabe, die Städte und Gemeinden mit ihren Infrastrukturen zukunftsfähig zu machen. Als schwierig erweist sich, dass viele der Städte und Gemeinden nicht unbedingt optimal ausgestattet sind, wenn sie große Projekte umsetzen möchten. Es müssen ja mindestens 10 Prozent als Eigenmittel bereitgestellt werden. Es ist für manch eine Kommune eine wirklich große Herausforderung dieses sicherzustellen.
Darüber hinaus reden wir bei den Strukturstärkungsmaßnahmen ausschließlich von Investitionsförderung. Bei jeder Investition wird aber auch immer die Frage gestellt werden müssen, was das für die Zukunft heißt. Daher muss schon am Anfang klar sein, wer die neue Infrastruktur betreibt und unterhält. Wie können die Folgekosten finanziert werden? Ziel ist es, die Lasten für die Städte und Gemeinden gering zu halten. Denn auch Unternehmen werden sich nur erweitern oder neu ansiedeln, wenn der kommunale Bereich funktioniert. Die Anforderungen an die Städte und Gemeinden haben sich grundlegend gewandelt. Wir müssen bei jedem Projekt darstellen, welchen Anteil es für den Strukturwandelprozess leistet. Welche Wirkungen es für die Entwicklung leistet. Das ist eine Herausforderung, die uns allen obliegt. Da fehlen uns aber noch die Erfahrungen, was dort von Seiten des Bundes gefordert wird.
Was müsste ergänzend oder anders geregelt werden? Sichern all diese Maßnahmen, dass wir übermorgen noch Licht haben?
Die wichtigste Frage der Energieversorgung ist bisher nur angerissen worden. Das Schlimmste, was passieren kann ist, dass wir 2038 keine Alternative haben und unsere Unternehmen oder andere den preiswerteren Kohlestrom aus Polen oder Tschechien kaufen. Das ist eine Gefahr und hier müssen – die nächsten 18 Jahre Konzepte vorgelegt werden, die auch funktionieren. Wir wissen, dass der Freistaat Sachsen sein Energie- und Klimaschutzprogramm fortschreibt und anpasst. Letztlich auch vor dem Hintergrund des beschlossenen Kohleausstieges. Die Inhalte befinden sich gerade in der Prüfung. Wir sind gespannt, welche Möglichkeiten der Freistaat Sachsen sieht und wie diese dann umgesetzt werden sollen. Einige Bereiche sind bei uns fast ausgereizt, so zum Beispiel das Thema Wasserkraft. Für die Sonnen- und Windenergienutzung bestehen viele Restriktionen. Auch das Thema der Energiespeicherung steckt noch in den Kinderschuhen. Hier gibt es zahlreiche interessante Ansätze, die nun auf ihre nachhaltige Wirkung geprüft werden müssen.
Wir müssen natürlich auch unsere Energiebedarfe minimieren und mithilfe der Maßnahmen im Strukturstärkungsgesetz autarke Einrichtungen schaffen. Aber gerade für das produzierende Gewerbe, für unsere Industrie, ist eine konstant bereitstellbare und bezahlbare Energie erforderlich. Aus meiner Sicht gibt es bei dem Thema Energie oftmals eine zu stark ausgeprägte schwarz/weiß Diskussion. Ich glaube, in der Zukunft wird es für unterschiedliche Anforderungen auch unterschiedliche Lösungen geben müssen. Man hat da leider auch ein bisschen die Zeit verschlafen, wenn man das so sagen darf. Gerade das Thema der Speicherung von Energie ist ja unser größtes Problem.
Worin sehen Sie Ihre besondere Verantwortung als Ansprechpartnerin des Landkreises für den Strukturwandel?
Wir als Landkreis unterstützen in erster Linie unsere Städte und Gemeinden in der Beantragung der Mittel aus dem Strukturstärkungsgesetz. Gemeinsam mit der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung stehen wir beratend zur Seite, ab der ersten Projektidee. Unsere Aufgabe besteht weitergehend darin, unseren Bürgern Zuversicht zu geben, dass wir gemeinsam die Zukunft gestalten können und die Arbeitsplätze in unserer Region sicher sind. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Und da muss jeder in seinem Bereich Verantwortung übernehmen. Der Wandel wird uns nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Zuständigkeiten einbringen. Der Mitmach-Fonds des Freistaates Sachsen ist dafür ein sehr gutes und unbürokratisches Beispiel. Der Fonds soll genau da unterstützen, wo Menschen gemeinsam Projekte umsetzen wollen, um sich gesellschaftlich wieder einzubringen. Es geht nicht um rein private Projekte, sondern sie tun etwas für ihre Region, für ihren Ortsteil und ihre Gemeinde. Und ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, der in der zurückliegenden Zeit etwas vernachlässigt wurde. Deswegen haben wir jetzt auch viele Projekte von den Städten und Gemeinden vorliegen, die das gesellschaftliche Miteinander betreffen. Diese haben den Schwerpunkt, Räume für Kommunikation zu schaffen. Wir wissen alle, die klassische Kneipe, in der man sich in den Ortsteilen mal getroffen hat, existiert nicht mehr. Es gibt nur selten noch die Parkbank, wo sich die Menschen ungezwungen treffen können, um sich auszutauschen. Wir müssen in den Städten und Gemeinden Projekte umsetzen, die den Menschen zeigen, dass es sich lohnt, hier zu leben und zu arbeiten.
Interview: BEn