„Gundi wollte dem Begriff ‚Seilschaft’ wieder das Positive geben“

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In einem Ostrock-Buch sprechen bekannte Ostmusiker über ihre Erlebnisse und Erfahrungen seit der Wende, und eine Musikerin über Gundermann 

Im Ostseestädtchen Kröpelin gibt es ein kleines Ostrock-Museum, das sehr anschaulich die Rockmusikentwicklung in Ostdeutschland, als das noch DDR hieß, zeigt. Es ist nicht so, dass sich vor der Ausstellung lange Schlangen bilden würden, wie man sie zum Beispiel vor Plattenläden auch in der Lausitz zu DDR-Zeiten kannte. Das könnte auch daran liegen, dass Ostrock als Marke ähnlich klingt wie Knusper-Flocken oder Kessel Buntes, wie etwas nostalgisch Ostdeutsches, das mit dem Heute nicht so viel zu tun hat. Oder zu tun, aber keine Bedeutung im aktuell-zeitgenössischen Sinne hat.

Christian Hentschel „Das vermutlich allerletzte Ostrock-Buch“, Eulenspiegel Verlag, 20 Euro

Insofern ist es ein wenig erstaunlich, dass nun ein Ostrock-Buch erscheint, obwohl es schon viele gab und man nach diversen Ostrock-Revivalwellen seit Anfang der 90er eigentlich nichts Neues über das abgeschlossene Themengebiet erwarten kann. Der Berliner Autor hat selbst schon mehrere Bücher zum Thema geschrieben. Zu Recht wirft er im Vorwort die Frage auf, warum es dann noch eines „vermutlich allerletzten“ Ostrock-Buches (so der komplette Titel) bedürfe.

 Simple Antwort: Weil Zeit vergangen ist und es neues zu erzählen gibt, aus einer anderen Perspektive. Die Ostrocker, die noch unterwegs sind, sind das jetzt länger im vereinten Deutschland als in der DDR. In 15 Interviews hat Christian Hentschel Ostrocker und (lediglich) eine Ostrockerin danach befragt, wie ihre Karrieren nach der Wende verliefen.

Bei den Gesprächspartnern handelt es sich durch die Bank um Künstler, die eher Mainstream als Alternative, geschweige denn Punk waren. Die hätten sich auch kaum in einem Ostrock-Buch sehen wollen, denn der Begriff ist natürlich doppelt belegt: Als eher positive Verkaufsmarke, aber auch als Etikett für Bands, die eher konventionellen Rockpop lieferten, jedenfalls weit weg von Indie und Underground. Die Interviewten entstammen bekannten Ostbands wie Puhdys, Karat, Rockhaus, Silly, Stern Meißen oder Metropol.

 Und bei der einzigen befragten Rockerin handelt es sich um Tina Powileit, die gerade für die Fans von Gundermann (und damit wohl für besonders viele Leser aus unserer Region) interessante Dinge zu erzählen weiß.  Die Berlinerin war von 1982 bis 1989 Drummerin von Mona Lise, der einzigen renommierten Frauenband in der DDR. Seit 1992 ist sie Schlagzeugerin der Seilschaft, jener Band, die von Gerhard Gundermann ins Leben gerufen worden war. Im Buch berichtet sie, wie sie zur Gruppe dazu stieß, welche prägenden Erlebnisse sie mit ihr hatte und warum sie noch heut glücklich ist, mit der Band zu arbeiten. Schon der Einstieg sei etwas besonders verlaufen, denn zunächst hatte sie den Schlagzeuger Delle Kriese hin und wieder in seiner Band Die Wilderer, die Gundermann ab und zu begleitete, vertreten. Nach einem dieser Vertretungskonzerte habe Gundi sie mit dem Auto nach Hause gefahren und ihr gesagt, dass er eine neue Band gründen wolle und ob er sie dann anrufen könne. Das habe er auch gemacht, allerdings erst zwei Jahre später. Dafür hatte er gleich einen Bandnamen parat. Er wollte seine Begleitmusiker nicht „& Band“ nennen, sondern Seilschaft. Es war ein Wort, das damals, kurz nach der Wende, einen ziemlich negativen Touch hatte, weil es mit alten Seilschaften von einstigen SED-Funktionären verknüpft war. „Gundi wollte dem Begriff ‚Seilschaft’ wieder das Positive geben.“ Sprich an den Ursprung anknüpfen, an die Seilschaft im Bergsteigen, wo sich die Kletterer durch ein Kletterseil gegenseitig vor dem Absturz bewahren. In einer Truppe, die zusammenhält, in der niemand fallen gelassen werde. 

 So sei es dann tatsächlich auch in der größten Krise der Band gewesen,1994, als sich Gerhard Gundermann gegenüber den Bandkollegen  – ein Jahr vor der Enthüllung in der Öffentlichkeit – als früherer Stasi-IM outete. „Da stand die Frag im Raum, ob und wie es weiter geht. Einige von uns sagten, gib uns ne Woche… Letztlich entschieden sich alle für ihn, also für uns, denn wir waren ein festes Gefüge, das sich gerade musikalisch zusammenraufte, eine in Freundschaft verbundene Band – eine Seilschaft eben.“ Durch die IM-Enthüllung 1995 war auch ein Plattendeal mit einem Major-Label geplatzt, aber die schlimmste Phase sei für Gundermann offenbar gewesen, als der Tagebau schloss, in dem er arbeitete. „Gundi hing mental in den Seilen und konnte keine Songs mehr schreiben. Auf seinem Bagger fand er die Muße, da schrie er sein Lieder laut hinaus und niemand hörte ihn. Es war der beste Ort, einen Song auszuprobieren.“  Seine Umschulung zum Tischler habe er letztlich wohl doch nicht als die beste Entscheidung empfunden, glaubt Tina Powileit. Seinen plötzlichen Tod 1998 erinnert sie als einen absoluten Schock. Umso befriedigender sei es, dass die Band Seilschaft seit 2008 mit dem neuen Sänger Christian Haase wieder auf den Bühnen zu erleben ist. Das letzte Lebenszeichen auf Tonträger war die 2020 erschienene Doppel-CD und DVD „Live in Berlin“. An neuen Songs hat die Seilschaft zuletzt auch gearbeitet, allerdings hat Corona die Veröffentlichungsidee in Unklarheit verschoben.       

 Der offenherzige Rückblick von Tina Powileit auf die Nachwende-Irrungen und -Wirrungen ist durchaus stellvertretend die der anderen von Christian Hentschel befragten Kollegen. Es fällt auf, wie sehr die üblichen, ost-west-unabhängigen Probleme von Bands zur Sprache kommen: Streitereien, Enttäuschungen, Verbitterungen, die zuweilen (nicht immer) mit der DDR-Vergangenheit zu tun haben. So fühlte Thomas „Monster“ Schoppe seine Band Renft nach der Wende teilweise wieder ausgeschlossen, wie beim Projekt Ostrock-Klassik Er zeigt sich traurig über das Diktat der Medien, „dass es nur drei zu repräsentierende Ostbands gibt“. Interessant ist übrigens, dass er mal Mitglied einer Band war, die man als unbekannte Ostrock-Supergroup bezeichnen könnte. Sie hieß Windminister und bestand Ende der 80er in Westberlin aus den ausgereisten DDR-Rockern Olaf Wegener und Eberhard Klinker (beide Hansi Bibl Band), Christiane Ufholz (Lift) und en beiden Ex-Renftlern Klaus Jentzsch und ihm.

Die offizielle Ostrock-Supergruppe, die Puhdys, findet im Buch besondere Erwähnung durch das Gespräch mit Dieter „Maschine“ Birr. Er erzählt letztlich die Geschichte des Scheiterns eines Bandkollektivs am Ende einer sehr erfolgreichen Karriere. Inzwischen sieht man sich vor Gericht. Dahin hat es auch die Band Karat vor einigen Jahren „geschafft“, im Zuge eines unsäglichen Streits um den Bandnamen. Wenn daran etwas ost-west-divers ist, dann, dass die öffentliche Austragung solcher Geldverteilungskämpfe ein Nachwendephänomen sind.

Die typische Nachwendeerfahrung, als ehemals umschwärmter Künstler nicht mehr groß gefragt zu sein, kommt in etlichen Interviews zur Sprache. Auch bei Mike Kilian, der mit Rockhaus nach wie vor aktiv ist. Er erzählt von seinem unermüdlichen Weiter, immer weiter als Musiker und der lehrreichen und schmerzhaften Erfahrung zum Beispiel mit seinem Soloprojekt „Wagnerama“ 1994, das sich international gut verkaufte, aber wohl doch zur falschen Zeit erschien. „Ich musste mehr Interviews über die Liebe Hitlers zu Wagners Musik führen als über das Projekt selbst.“ Nebenher spielt er bis heute in einer Stones-Coverband Stones, auch aus wirtschaftlichen Gründen, aber vor allem aus Liebe zur Musik mache. Auch Rockhaus lebt, nur: „Für die (Platten)firmen sind wir tot. Wir sind fast alle 60 und da investiert niemand mehr in einen Künstler.“

Dass das Interesse an (von früher bekannten) Ostmusikern noch nie allzu sehr ausgeprägt war, berichtet auch Ex-Amiga-Manager Jörg Stempel, der nach 1990 u.a. beim einem Major-Label als unermüdlicher Ostrock-Promoter agierte. Als besonders reflektierender Musiker zeigt sich „Prinz“ Sebastian Krumbiegel, der viel Interessantes über persönliche und gesellschaftliche Veränderungen sagt, die nicht nur mit seiner Band und dem Musikbiz zu tun haben. Es sind Erfahrungen, die auch (Ost)menschen aus seinem Publikum gemacht haben. Sein Fazit: „Wichtig ist, neue Wege zu gehen, sich ausprobieren, wenn man nicht stehen bleiben will.“

Thomas Lietz

 

 

 

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