Ich wünsche mir, dass der Mensch einfach wieder im Mittelpunkt steht

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Das Große Interview mit Andreas Berger-Winkler

Der Regionalverband Südbrandenburg der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. feiert in diesem Jahr, genau am 30. Juni, sein 30-jähriges Bestehen. Seit 28 Jahren ist Regionalvorstand Andreas Berger-Winkler (48) dabei und hat damit mehr als die Hälfte seines Lebens bei den Johannitern verbracht. Seit knapp vier Jahren ist er einer der Regionalvorstände. Der gebürtige Cottbus-Sachsendorfer wohnt seit vielen Jahren im Spreewaldort Burg. Wir trafen uns mit ihm zum großen HERMANN-Interview.

Wie sind Sie zu den Johannitern gekommen?

Andreas Berger Winkler [Foto und Copyright: Andreas Schoelze]

Ich hatte eigentlich etwas ganz anderes gelernt – Schienenfahrzeugschlosser im RAW Cottbus. Als 1989 die Wende kam, war ich 18 Jahre alt, wusste nicht, wie mir geschieht und was nun werden soll. Irgendwann sagte ein Freund zu mir: Komm zu den Johannitern, dort werden Fahrer gesucht. Ich beschloss, nach der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, meinen Zivildienst dort abzuleisten. Das habe ich nie bereut. Damals waren wir ein kleiner Standort mit 30 Mitarbeitern. Die Johanniter in Cottbus haben mit dem Behindertenfahrdienst angefangen und Kinder mit Handikcap früh in die Schulen oder Erwachsene zur Arbeit gefahren und nachmittags wieder abgeholt. Wir hatten vier „schicke“ Fahrzeuge aus dem „Westen“ mit denen wir montags bis freitags unterwegs waren. Zu dieser Zeit wurden auch Leute gesucht, die sich zum Rettungssanitäter ausbilden lassen wollten – den Bereich hatten die Johanniter von der Schnellen Medizinischen Hilfe (SMH) übernommen. Ich habe das gemacht und bin dabeigeblieben.

… und wie sind Sie Regionalvorstand geworden?

Im Laufe der Jahre habe ich an allen internen Aus- und Weiterbildungen teilgenommen, die bei uns angeboten wurden. Jahre später wechselte ich vom Rettungsdienst in den administrativen Bereich, arbeitete dann als Vorstandsassistent und wurde schließlich zum Regionalvorstand berufen. Im Vorstand sind mit Matthias Rudolf und Dr. Hans Arndt noch zwei weitere Kollegen – letztgenannter ehrenamtlich – tätig.

Was ist denn eigentlich die Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. und welches Gebiet umfasst die Beschränkung „Südbrandenburg“?

Wir sind eine der fünf großen Hilfsorganisationen in Deutschland. Unser Regionalverband startete 1990 in der Stadt Cottbus, 1991 kam Königs Wusterhausen dazu. Inzwischen umfasst die Organisation die Stadt Cottbus, die Landkreise Spree-Neiße, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz und Dahme-Spreewald. Nördlichste Dienststelle ist die Rettungswache auf dem BER, die südlichste Dienststelle befindet sich in Senftenberg und die westlichste in Elsterwerda. Wir haben über 600 hauptamtliche Mitarbeiter, werden dieses Jahr auf die 700 zugehen. Wir sind im Bevölkerungsschutz und in vielen karitativen Diensten aktiv, engagieren uns in der Kinder- und Jugendarbeit und sind Leistungserbringer im sozialen Dienstleistungsbereich. Wir bieten zum Beispiel in Finsterwalde eine warme Mittagsversorgung für Kinder aus sozial schwachen Familien in den Ferien an, machen in Groß Köris Schulsozialarbeit, Trauerarbeit (Lacrima) für Kinder und Jugendliche und sind aber genauso im klassischen Dienstleistungssektor tätig. Den Fahrdienst für Menschen mit Handikap und die ambulante Altenpflege haben wir dagegen nicht mehr im Programm. Das haben inzwischen private Anbieter, wie Taxiunternehmen und private Pflegedienste, übernommen. Da wir unsere Mitarbeiter nach Tarif bezahlen, können wir solche Dienste nicht mehr kostendeckend wahrnehmen.

Wir müssen uns immer wieder neu aufstellen. Seit mehr als zehn Jahren sind wir im ambulanten Kinderhospizdienst und in der ambulanten Kinder- und Jugendkrankenpflege aktiv. Allein in diesem Bereich zum Beispiel arbeiten über 80 Schwestern und Pfleger, die häuslich unterwegs sind, um Kinder und Jugendliche medizinisch zu versorgen. Durch das Kinderhaus Pusteblume in Burg (Spreewald) werden etwa 50 neue Arbeitsplätze entstehen, es kommt eine neue Rettungswache im Dahme-Spreewald-Kreis mit etlichen neuen Mitarbeiter hinzu. Und wenn irgendwann einmal der BER in Betrieb geht, werden wir auch dort die Mitarbeiterzahl auf der dortigen Rettungswache erhöhen.

Drei Kollegen sind im Regionalvorstand tätig, das klingt nach einer Menge Arbeit, die zu bewältigen ist …?

Unsere Aufgaben haben sich beständig weiterentwickelt. Wir haben uns breiter aufgestellt. Neben den Fahrdiensten mit knapp 100 Autos, die Patienten von A nach B bringen und der schon genannten Kinder- und Jugendarbeit, betreiben wir Kindertagesstätten, Horteinrichtungen, machen Erste-Hilfe-Ausbildung, sind im Hausnotruf für knapp 2000 Kunden, die einen Notrufsender bei sich tragen, aktiv. Wir fahren Essen aus, übernehmen die Mittagsversorgung, sind Leistungserbringer in betreuten Wohnanlagen, in Cottbus haben wir eine Tagespflege für Pflegebedürftige. Unser jüngstes Steckenpferd ist eine Ergo-Therapie-Praxis mit inzwischen schon drei Ergo-Therapeuten an unserem Cottbuser Standort, die wir im dritten Quartal 2019 eröffnet haben und die bereits voll ausgelastet ist. Dazu kommt natürlich die Absicherung von Veranstaltungen mit Sanitätsdiensten. Unser Einsatzgebiet reicht dabei von Volksfesten über Konzerte bis Sportveranstaltungen. Wir sind bei Energie Cottbus genauso wie beim Sandbahnrennen in Lübbenau oder bei Events an der F 60 in Lichterfeld im Einsatz.

Wo sehen Sie die Johanniter in zehn Jahren?

Da wir uns flexibel auf Ausschreibungen bewerben, werden wir uns sicher am Markt halten können. Wir haben dann mindestens 1000 Mitarbeiter. Die Johanniter haben eine spezielle Struktur. Wir sind mit unserem Bundesverband im Vereinsregister eingetragen und deshalb für viele Geschäftspartner attraktiv. Da muss keiner Angst haben, dass wir, salopp gesagt, die Rechnung nicht bezahlen können.

Wo bekommen Sie Ihre Mitarbeiter her?

Bei uns sind viele Ehrenamtler tätig. Wir entwickeln sie oft zu hauptamtlichen Mitarbeitern weiter. Lange Zeit blieben viele Mitarbeiter bei uns, die hier ihren Zivildienst ableisteten. An deren Stelle sind es nun oft Leute, die ein freiwilliges soziales oder Bundesfreiwilligenjahr machen. Viele bewerben sich auch direkt auf unsere Ausschreibungen. Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber, weil wir nach Tarif und pünktlich bezahlen. Und natürlich stimmt bei uns das Umfeld.

30 Jahre gibt es den Regionalverband Südbrandenburg der Johanniter-Unfall-Hilfe. Welche Bedeutung hat das für Sie?

Von den 30 Jahren bin ich natürlich erst einen Bruchteil in Verantwortung. Aber über die gesamte Zeit betrachtet sind wir ein guter Partner in der Lausitz und für viele unserer Geschäftspartner geworden. Wir sind in vielen Netzwerken aktiv. Kommunen und Verwaltungen greifen gern auf unsere Hilfe und unser Expertenwissen zurück. Wir sind in der Gesellschaft verankert. Für mich gilt: Ich habe hier immer gern gearbeitet und wollte auch nicht mehr weg. Mir macht es Spaß, bei den Johannitern zu sein. Mir gefällt die Entwicklung, die hier vollzogen wurde und auch, wie wir in Anspruch genommen werden. Und genau so wollen wir das.

Sie erwähnten das Kinderhaus Pusteblume in Burg (Spreewald). Was ist das? Was passiert da?

Durch unsere Erfahrungen in der Kinder- und Jugendmedizin, unsere Arbeit mit Familien im ambulanten Kinderhospizdienst und der Kinder- und Jugendkrankenpflege ist folglich der Bedarf entstanden, eine stationäre Einrichtung zu schaffen. Ein Gedanke war, da es brandenburgweit bisher nicht ein Hospiz für Kinder und Jugendliche gibt, ein solches zu errichten. In Deutschland gibt es zwar 17 solcher Hospize, die aber weit entfernt sind. Familien, die Bedarf an einem Aufenthalt in einer solchen Einrichtung haben, müssen derzeit sehr weit reisen. Einen Anspruch auf einen Aufenthalt im Hospiz haben nur Kinder und Jugendliche, die eine, so schlimm das klingt, lebensverkürzende Krankheit haben. Daher entwickelten wir einen weiteren Gedanken, eine Wohngruppe für Kinder und Jugendliche zu schaffen, die dennoch eine hohe Lebenserwartung haben und einen Pflegeplatz benötigen.

Vor etwa vier Jahren begannen wir uns intensiver damit auseinanderzusetzen, einen festen Ort für ein solches Hospiz in Brandenburg zu schaffen. Wir gaben eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, um das Vorhaben auch gegenüber den Kostenträgern  mit Zahlen zu untermauern. Da auch die Gespräche mit den Kostenträgern positiv verliefen, sahen wir den Zeitpunkt gekommen, den Bau der Einrichtung zu beschließen. Es sollte nun eine Unterbringungseinrichtung in Form einer Wohngruppe geschaffen werden und das in Verbindung mit einem Kinder- und Jugendhospiz. Diese Kombination ist für Deutschland bisher einmalig.

Es gibt zwar Kinder- und Jugendhospize, aber keines zusätzlich mit einer ambulant betreuten Wohngruppe. Brandenburg hat zwar in Petershagen eine ambulante Wohngruppe – aber nur mit sieben Plätzen und die sind hoffnungslos ausgebucht. Eins soll betont werden: Kinder- und Jugendhospiz bedeutet nicht, dass die Kinder und Jugendlichen zum Sterben dorthin gehen. Die Aufenthalte dienen der Entlastung – ab dem Tag der Diagnosestellung haben Kinder und Jugendliche das Recht auf Entlastungsaufenthalte von knapp 30 Tagen. Dabei geht es aber auch um die Erholung der Eltern und Geschwisterkinder.

Um nun einen geeigneten Standort für die Einrichtung zu finden, haben wir uns ganz Südbrandenburg angeschaut. Es musste ja auch eine Klinik in der Nähe sein. Denn falls Komplikationen auftreten, dürfen keine langen Wege anfallen. Wir sind schließlich mit unseren Gedanken im Spreewald gelandet und Burg kristallisierte sich als unser Zielort heraus. Unsere Anfrage nach einem geeigneten Grundstück verlief unkompliziert. Der damalige Wirtschaftsförderer im Amt Burg, Sven Tischer, vermittelte uns ein Grundstück, für das es schon einen B-Plan gab und sagte uns dazu, dass er es toll finde, wenn diese Einrichtung nach Spree-Neiße komme.

Nach der obligatorischen Ausschreibung haben wir uns für den Entwurf des Architekturbüros PPS aus Cottbus entschieden. Der Spatenstich erfolgte im September 2018, im November dann die Grundsteinlegung. Das Richtfest war im April 2019. Am 1. Mai wollen wir nun das Haus in Betrieb nehmen. Wir liegen damit auch im Plan. Die ersten Gebäudeteile sind fertig. Die ersten Möbel sind da, derzeit werden die Außenanlagen gestaltet.

Die Einrichtung ist im Stil eines Dreiseitenhofs auf einer Grundstücksfläche von 12.000 Quadratmetern gebaut. Das Haus selbst hat eine Nutzfläche von 3.200 Quadratmetern, die Gebäudeteile sind durch einen Zwischenbau verbunden. Das sieht alles total schick aus!

Wie viele Plätze können Sie dann anbieten?

Im Kinder- und Jugendhospiz bieten wir zwölf Plätze an und in der ambulanten WG acht Plätze. Im Kinder- und Jugendhospiz ist es außerdem so, dass die Familien mitkommen können.

Ein Teil ihres Tätigkeitsbereichs ist der Katastrophenschutz. Wenn wir dabei die Corona-Krise im Hinterkopf haben: Welche Aufgaben haben Sie als Johanniter?

Der Katastrophenschutz liegt in den Händen der regionalen  unteren Katastropehnschutzbehörden. Da sind die Landkreise und kreisfreien Städte in der Verantwortung. Wir sind derzeit noch nicht aktiv eingebunden (Stand Redaktionsschluss: Mitte März. Anm. d. Red.). Wir werden erst einbezogen, wenn konkrete Maßnahmen notwendig sind. Wir handeln erst, wenn wir beauftragt werden, um zum Beispiel im Katastrophenfall Patienten zu transportieren oder  um die Versorgung von unter Quarantäne gestellten Objekten sicherzustellen.

Wenn zum Beispiel ein Bundesgesundheitsminister zur Coronakrise sagt: „Wir sind vorbereitet!“ Was bedeutet das für Sie als Johanniter? Sind Sie vorbereitet?

Auf dem Papier steht immer viel, sage ich zu so etwas meistens. Was vor fünf oder zehn Jahren richtig war oder galt, ist die eine Sache. Ob das für die heutige Zeit gilt, muss erst wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Ich sehe uns vorbereitet, würde aber ehrlich sagen, dass nicht alles 100% perfekt ist. Unsere Pandemiepläne stammen noch aus der Zeit von SARS/ Vogelgrippe und mussten auch erst angepasst werden. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, das Tagesgeschäft aufrechtzuerhalten. Wir können derzeit nur so viel wie möglich tun, um das Ansteckungsrisiko für unsere Mitarbeiter und Patienten bzw. Kunden möglichst gering zu halten.

Ein Geburtstag bedeutet auch immer, dass man sich etwas wünschen darf, gerade ein 30. Welche Wünsche haben Sie?

Ich wünsche mir Unterstützung für unser Kinderhaus. Dass es pünktlich an den Start geht. Ich wünsche mir für alle unsere Dienste mehr Unterstützung durch die Kostenträger. Ich finde es bedauerlich, dass wir uns in dem Bereich, in dem wir arbeiten, immer auf harte Kostenanalysen und -verhandlungen einlassen müssen, dass wir immer wieder die Personalkosten erklären müssen. Wir wollen unsere Mitarbeiter fair bezahlen. Da wünschte ich mir manchmal mehr Akzeptanz und Verständnis. Gerade in unserem Tätigkeitsfeld ist es doch nicht notwendig, immer so knallhart zu verhandeln. Die Menschen, für die wir die Leistung erbringen, geraten immer mehr in den Hintergrund. Wir wollen für unsere Kunden einfach auch Zeit haben. Das hat in der heutigen Zeit leider völlig an Bedeutung verloren. Ich wünsche mir, dass der Mensch einfach wieder im Mittelpunkt steht. Zum einen der Patient, den wir zu betreuen haben und für den wir ein Entgelt für unsere Leistung benötigen. Zum anderen aber auch für unsere Mitarbeiter, deren erbrachte Leistung wertgeschätzt wird. Ich finde es so schade, dass sich nicht gute Konzepte und gute Arbeit durchsetzen können, sondern von den Kommunen immer der billigste Anbieter den Zuschlag bekommt. Ich wünsche mir für unser Kinderhaus Pusteblume, dass sich dort die Menschen Zeit nehmen können. Dass sie die Zeit, die sie haben, schätzen lernen und sie den Kindern und Jugendlichen und ihren Familien so schön wie möglich gemacht wird.

Interview: Heiko Portale

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