Kellerasseln mit Honig

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Besuch in der Löwen-Apotheke Cottbus

Stellen sie sich vor, sie haben Nierenschmerzen und der Apotheker empfiehlt ihnen Kellerasseln als Mittel der Wahl. Die kleinen Krebstiere werden im Mörser zerstampft und mit Honig verrührt. Dreimal täglich wird die klebrige, graue Paste per Löffel verabreicht. Die Logik dahinter: Kellerasseln leben unter Steinen, also helfen sie auch beim Nierenstein. Außerdem erinnert der bei Gefahr eingerollte Körper stark an die schmerzverkrümmten Leiber der leidenden Patienten.

Schmuckstück am Altmarkt

Mögen wir über die Wundermittel des Mittelalters schmunzeln – zum Beispiel über getrocknete Kreuzspinnen bei Migräne oder gedörrte Rehaugen gegen Zahnschmerzen – wir alle haben gerade ein Jahr erlebt, bei dem Medizin und Politik manchmal ähnlich hilflos agierten, wie die Kollegen aus der Vergangenheit. Man erinnere sich an die Pressekonferenz von Donald Trump, auf der er mögliche Anti-Corona-Maßnahmen so erklärte: Bei Anwendung von Bleich- und Desinfektionsmitteln auf trockenen, metallischen Flächen (wie Türklinken) wird der SARS-CoV-2-Erreger schnell abgetötet, also müsste es doch irgendwie gehen, diese Mittel zu spritzen…“It would be interesting to check that“. Kein billiges Bashing. Trump ist nur das prominenteste Beispiel, vom ewigen Blindflug der Menschheit in den Kosmos des Lebens.   

Milleped = Tausendfüßler

Corona bleibt das allgegenwärtige Thema, denn der Lockdown Light im November zwingt auch das Brandenburgische Apothekenmuseum in Cottbus seine Führungen für Besucher einzustellen. 2019 kamen 7000 Gäste ins Museum, 2020 nur etwa 2000. Ich treffe mich mit Museumsleiterin Annette Schiffner. Die gebürtige Cottbuserin ist gelernte Pharmazie-Ingenieurin (ein Berufsstand, den es seit der Wiedervereinigung nicht mehr gibt) und eine fachlich unglaublich versierte Frau. Frau Schiffner kennt ihr Museum und es ist verrückt, wie sie quasi zu jedem Gegenstand eine spannende Geschichte herzaubern kann.

Sieht aus und riecht wie früher: DDR-Apotheke

Wer noch nie in der Löwenapotheke war, wird verblüfft sein, wie umfangreich die Ausstellung hinter der Schauseite des Hauses mit dem Staffelgiebel und der krönenden Hygieia-Figur (Schutzpatronin der Apotheker) auf dem Altmarkt eigentlich ist. Nicht zu vermuten ist der Hinterhof mit Kräutergarten, dem letzten offenen Brunnen der Innenstadt und dem Hinterhaus, wo – nach Ansicht des Autors – die Höhepunkte der Führung warten.

Karminrote Tusche aus Schildläusen

Doch beginnen wir beim Urschleim. 1566 beruft der Markgraf von Brandenburg-Küstrin den ersten Stadtarzt für Cottbus. Der Mann heißt Dr. Peter Hosemann und hat in Wittenberg Medizin studiert. Es ist nicht leicht gutes Fachpersonal in die Provinz zu locken, aber die grassierenden Krankheiten und Epidemien rufen Maßnahmen auf den Plan. Der Medicus nennt sich Dr. Petrus Cnemiander, die griechische Form seines Namens, und hat ein Faible für Horoskope. Was lustig klingt, war zur damaligen Zeit eine geschätzte Dienstleistung. Schon zwei Jahre später, 1568, erhält Cnemiander das Privileg des Apothekenrechts. Dieses Privileg sicherte ihm und seinen Nachkommen die alleinige Abgabe von Arzneimitteln in Cottbus und Umgebung zu. Die Tatsache, dass nebenbei die Medizinalordnung gebrochen wurde, wonach ein Arzt nicht gleichzeitig Besitzer einer Apotheke sein durfte, zeigt deutlich, wie abhängig die Lausitz von einer gelehrten Person wie Dr. Hosemann war.      

Giftschrank!

1573 öffnet die Löwen-Apotheke ihre Pforten und wird bis 1984 nahtlos Apotheke sein. Neunzehn BesitzerInnen wird das Haus erlebt haben, bis es nach einer Umbauphase im Juni 1989 zum Niederlausitzer Apothekenmuseum und 2002 gar zum Brandenburgischen Apothekenmuseum wird. Allein die Geschichte der Museumswerdung, also der Suche nach Ort und Inventarium und Mitstreitern und Geldgebern, ist außerordentlich und sollte sich der Besucher von Frau Schiffner oder ihren Kolleginnen erzählen lassen.

Die Prachtexemplare der Ausstellung sind die wechselnden

Memento Mori!

Offizinen, also die Verkaufsräume plus Innenausstattung, aus mehreren Jahrhunderten. Der Besucher tritt fast in jedem Raum in eine neue Apotheke einer anderen Zeit ein. Mobiliar und Interieur stammen aus Cottbus, Forst und der weiteren Umgebung und die Schönheit der Räume wäre Besuch genug, trotzdem ist die Löwen-Apotheke kein schnödes Heimatmuseum, denn sie kann mehr. Hier wird der Weg der Arzneimittel mit seinen Irrtümern, Kuriositäten und Erfolgen erzählt, sogar ein wenig in die Zukunft geblickt (Stichwort E-Rezept), all das ist universell und beinahe philosophisch. Der Besucher geht aus der Führung mit Sicherheit angefixt (natürlich geistig) heraus.

Einziger offener Brunnen der Innenstadt

Kommen wir zum Hinterhaus. Über den Hof hinweg, mit dem Brunnen (zehn Meter tief und etwa 80 Zentimeter hohem, immer noch sauberem Grundwasser) und dem kleinen Kräutergarten (unter anderem mit der Tollkirsche, wer mal gesehen haben will, wie diese ausschaut) geht es zunächst ins Erdgeschoss, zum „Galenischen Labor“, benannt nach dem  griechischem Arzt Galenos des 2. Jhd. n. Chr., dem Vordenker der Herstellung von Arzneimitteln. Alle Campari Orange-Trinker könnten sich hier einen einschenken und eine Runde Lippenstift verteilen, sollten aber besser nicht drüber nachdenken, denn hier wird anschaulich erklärt, woher die Farbe lange Zeit kam: aus Schildläusen.

Auf den nächsten Etagen kommen die Kracher. Zum einen die Giftkammer, mit den gesicherten, bedrohlichen Giftschränken. Zum anderen, die DDR-Apotheke! Leute, ich übertreibe nicht, wer diesen Raum betritt wird automatisch in die Vergangenheit gebeamt. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Gerüche eng mit unseren Erinnerungen verknüpft sind. Es riecht und schaut aus wie früher. Wer seinen ostalgischen Anfall bekommt, bitte schön, Eintrittskarte lösen und ab ins Apothekenmuseum!

Daniel Ratthei

Mein Tipp: Sollte im Dezember der Lockdown beendet sein, nehmen sie zur Führung ruhig die Kinder mit. Gifte und getrocknete Kellerasseln interessiert jedes Alter. Im Museumsladen gibt es Griechischen Bergtee, den Hausschnaps Dr. Cnemiander’s Kräuterlikör und das Parfüm „Eau de Cologne von Farina“ (90 Jahre älter als 4711). Führungen sind Di – Fr um 11 und 14 Uhr und am Wochenende 14 und 15 Uhr. Der Museumsladen ist Die-Fr von 10-17 Uhr geöffnet.           

 

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