Auf dem Album des Musikers Kelling aus Eberswalde gibt’s vertontes Kneipengelaber und Behördenblues im Stil von Tom Waits – nur eben auf berlinerisch. Bald auch live in der Lausitz
Manche Leute können das Berlinern schon beim Reden nicht ertragen, Du berlinerst beim Singen auf einem ganzen Album. Hattest du keine Bedenken, dass es als peinlich empfunden werden könnte?
Nee, eigentlich nich.
Bist du berlinernd aufgewachsen?
Nee, ich bin ja eigentlich Eberswalder und Mitte der 80er erst zum Studium nach Berlin gekommen. Eberswalder Kanaldeutsch war noch’n Zacken schärfer als Berlinerisch.
Ein Beispiel?
Der Berliner kooft ein, der Eberswalder kooft in. Da sind noch paar Diphthongs (Doppellaute aus zwei verschiedenen Vokalen, die als eine Silbe gesprochen werden/ d.R.), die lautlich verändert werden.
Du kennst dich gut aus mit der deutschen Sprache?
Ich habe in den 80ern an der Humboldt-Uni Deutsch/Englisch studiert, aber nur vier Semester. Als Lehrer habe ich auch nie gearbeitet.
Es ist nicht so, dass du mit deiner Band nur in Berlin spielst. Im Mai willst du, so der Livemusikgott will, in der Lausitz auftreten?!
Ja, warum auch nicht? Der Saxophonist unserer Band, Fränkie Krüger, wohnt bei Halle in Sachsen-Anhalt und unser Bassist, Mario Noll kommt aus Leipzig. Schon deshalb wollen wir nicht nur auf Berlin beschränkt sein. Wir haben Angebote für Live- Konzerte von überall in der Republik, wohin sich Berliner zurückgezogen haben. Vielleicht aus Heimweh, oder weil sie froh sind, nicht der letzte Berliner im Haus zu sein.
Hast du keine Sorge, dass dich das Publikum nicht versteht?
Die Lausitz ist ja nur ein Steinwurf von Berlin entfernt und I sing joa net bayerisch von der Alm.
Die Themen, die du besingst, sind ja nicht nur Berlin-spezifisch. Deine Songs sind mal Liebeserklärung an Ihre Frau, mal Milieubeobachtung, mal Behördenblues des kleinen Mannes: „Ick sitze stumm und klein und dumm im Amt herum“.
Der Song „Allet okeh“ über den Kunden beim Amt stammt ja schon aus den 90ern. Damals wollte so ein trauriges Zeug nur keiner hören. Zu der Zeit sollte alles toll sein. Über Berlin hieß es nur: Überall wird gebaut und gemacht, die ganze Welt kommt her. Kanzler Kohl hatte außerdem versprochen, allen wird’s besser gehen. Deshalb wollte keiner traurige Lieder über Berlin hören, obwohl es damals von den unteren Zehntausend noch viel mehr gab als heute.
Etliche Song haben einen, ich sag mal Kneipenkontext. Was hat dich dazu inspiriert? Eher Erlebnisse als Kneipier oder als Kneipenkunde?
Beides. Gerade in den 90ern, als ich jung war und in Berlin viel ausgegangen bin, habe ich doch etliche Kneipenerfahrungen gemacht. Nicht nur als Kunde, tatsächlich habe ich auch hinterm Tresen gearbeitet.
Der Song „Een son Ding“, den ich mal als vertontes Kneipengelaber bezeichnen würde, ist aber aus Kneipengastsicht entstanden?
Dit habe ich wirklich so erlebt als Student in einer Eckkneipe. Ich weiß noch, ich wollte nur ein Bier trinken, aber dann hat der Typ am Tisch erzählt und erzählt. Ich wurde nicht schlau draus, aber irgendwann war ich sein bester Kumpel.
Ein Klassiker der Kneipenkultur.
Ja. So was prägt sich einem ein als junger Mensch. Ich habe das quasi wiederentdeckt dank Lutz Kerschowski.
Der selbst Musiker und Musikproduzent ist. Hat er dich auf den Trichter gebracht?
Kann man so sagen. Er kannte mich von früher und hatte mich vor einiger Zeit gefragt: Warum singst du eigentlich nicht mehr diese berlinerischen Lieder? Lass uns doch einfach mal was machen. Ich habe dann ein paar neue Songs geschrieben, dazu haben wir einige Lieder von früher neu aufgenommen. Das hat mir gleich sehr viel Spaß gemacht.
Wann hat deine Musikerlaufbahn eigentlich begonnen?
Schon in Eberswalde an der Penne. Unsere Schulband, mit der wir auch in Kirchen auftraten, hieß Haider Yurok, nach Indianerstämmen. Wir haben Neil Young und gespielt und auch eigene Sachen, aber noch nicht in den Texten berlinert oder und eberswaldert.
Welches ist dein Lieblingswort im Berlinerischen?
Ich habe eher eine Lieblingsphrase. Zu Ostzeiten spielte ich in einer Band und unser Schlagzeuger, der als Steinmetz auf dem Bau arbeitete, hatte schwer berlinert. Der sagte immer: Sei sauer! Dit klingt zwar gar nicht sehr berlinisch, war aber voll Ostberlin. Es war keine Aufforderung, sich zu ärgern, sondern ’ne Entschuldigung, die meinte: Sei nich sauer.
Hatte eure damalige Band auch einen berlinerischen Namen?
Nee, die hieß Trojan. Wir waren aber tief drin in der Ostberliner Szene, haben uns die Probenräume mit Feeling B und Freygang geteilt.
Hast du damals schon berlinerische Songtexte verfasst?
Kaum. Es gibt aber einen Song auf berlinerisch, den ich für meine Band Die Körper der Einfalt geschrieben habe und der 1990 sogar auf einer EP erschien. Das Lied heißt „Sauba“ und war sozusagen inspiriert durch meinen Job als Reinigungskraft, nachdem ich mein Studium abgebrochen hatte. Für das nächste Album, meine Band hieß inzwischen Die unteren 10tausend, hatte ich noch weitere Songs im Berliner Dialekt geschrieben. Mein Keyboarder Egge Schumann , der auch mal bei Kerschowski und Stern Meißen spielte, war großer Tom Waits-Fan und der Meinung, das würde musikalisch gut zusammenpassen: Waits-Songs und berlinerische Texte. So ist das Anfang der 90er entstanden. Einige Songs, wie „Een son Ding“, sind ja auch auf der neuen CD enthalten.
Du hast auch eine Weile auf Kuba gelebt?
Ja, ab 1997 war ich regelmäßig auf Kuba und habe dort auch mal geheiratet und eine Weile gelebt. Wir wohnten im Stadtteil Buena Vista, wo ich in der Malerszene aktiv war und auf Vernissagen auch hin und wieder Musik machte. Zwischendurch war ich in Berlin als Kulissenmaler für den Friedrichstadtpalast tätig, aber immer nur befristet. Parallel habe ich jedoch immer Musik gemacht und auch für einige Freunde Songs geschrieben. Allerdings habe ich das Berlinern zeitweise gelassen und nur hochdeutsch geschrieben, weil mein Spanisch den Berliner Dialekt verdrängt hat. Als ich aus Kuba zurückkehrte, war ich in Gedanken noch in einer anderen Welt. Und was mir auffiel: die Stille hier.
Die Stille?
Ja. Meine kubanische Frau hatte, wenn wir auf dem Hinterhof in Prenzlauer Berg waren, oft gefragt: Wohnt hier überhaupt keiner? Niemand schrie dort rum, was in Kuba ganz anders ist. Da die Leute dort kaum Telefon besaßen, riefen die sich immer was von Haus zu Haus zu, gern über hundert Meter. Deshalb sind die Kubaner übrigens auch alle so heiser.
Sprache ist gerade bei der Jugend im ständigen Wandel. Nach meinem Eindruck scheint es bei jungen Leuten durchaus cool, zum Beispiel in SMS zu berlinern.
Es macht ja auch Spaß. Ich schreibe in Mails selbst gern berlinerisch und oft ist so, dass mir Personen, mit denen ich noch nicht groß zu tun hatte, anfangs hochdeutsch schreiben. Wenn ich dann berlinerisch antworte, machen die das beim nächsten Mal oft genauso. E steckt scheinbar an. Ich will jetzt auch nicht übertreiben, aber finde, dass man den Berliner Dialekt ruhig etwas bewahren sollte. Sonst stirbt der doch aus zwischen dem ganzen Schwäbisch, Bayerisch und Türkischdeutsch.
Wirst du auch in Zukunft bei deinem Konzept bleiben?
Die Realisierung dieser CD hat jetzt fast fünf Jahre gedauert und die neue ist schon fast fertig, auch wieder mit berlinerischen Liedern. Dabei bleibt es. Musikalisch wird sie aber nicht ganz so bedrückend.
Fändest du auch mal einen Song im Cottbuser Idiom reizvoll, so als Hörer?
Das müsste dann sorbisch sein und die slawischen Sprachen haben ihre eigene richtig schaue Musik dazu erfunden. Da steh ick druff.
Interview: Gunnar Leue
CD: Kelling „Allet okeh“ (Buschfunk)
Live: 13. Mai Saal der Wunder in Laubst/ Lausitz ( – so Corona keinen Strich durch die Rechnung macht)