„Licht ist mein Medium“

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Hermann macht einen Ausflug (nahezu) ans Ende der Welt, um eine der bedeutendsten Glaskünstlerinnen Deutschlands kennenzulernen. Die Rede ist von Angela Willeke. Sie lebt und arbeitet auf einem idyllischen Anwesen in Werenzhain (Elbe-Elster). 2000 eröffnete sie hier, an der alten Ziegelei, ihr KUNST.HAUS am See – mit Atelier und eigener Galerie.

Ihre künstlerische Handschrift prägt viele öffentliche Gebäude. Auch in Cottbus hat sie vielfältige Spuren hinterlassen, wie beispielsweise die 4,20 Meter hohe Stele „Metamorphose“, die sie 2004 für Vattenfall konzipierte. Und schon 1995 gewann sie hier mit ihrem ‚Multimedialen Glas-Klang-Objekt“ den ersten Preis der Bundesgartenschau.

Zeiten ändern sich?.

Wer heute die Galerie betritt, wird sofort von einer Installation in Bann gezogen. Sie besteht aus überaus zarten, wellenförmigen Objekten, die über einem Spiegel schweben, wie Mücken über einer Wasseroberfläche. Der Spiegel leuchtet kobaltblau, weil er ein Wandbild reflektiert. Die Künstlerin erläutert: „Ich nenne diese Installation ‚Tanz der Mücken‘.   Eine ähnliche Installation habe ich mal als ‚Entschleunigung‘ gearbeitet. Wenn man durch den Raum geht, drehen sich die schwebenden Objekte ganz sanft, fast unmerklich, und an einem bestimmten Punkt kommt ein Lichtmoment. Da grüßt das Licht sie und ist im nächsten Moment – husch! – wieder weg. Von jeder Position aus ist das anders. Die Installation hatte ich auch auf der ART Brandenburg; sie hat die Leute unheimlich angesprochen.“ Sie erzählt von einer gestressten Managerin, die zutiefst gespürt habe, dass sie genau diese Installation in ihrem Leben braucht.

„So ist das mit dem Licht: Es spricht uns wirklich sehr tief an. Und wer damit nicht umgehen kann – das habe ich natürlich auch erlebt – der hat sehr tiefe Probleme, dem kann ich dann gar nicht helfen.“

Un-Endlichkeit.

Willekes Kunst begeisterte auch Regine Hildebrandt: „In Fürstenberg hatte ich einen Raum, den habe ich mit meinen Glasarbeiten bespielt, und in dem Raum vor mir war eine Berlinerin, die hatte so Arbeiten – ganz große, heftige Zeichnungen. Frau Dr. Hildebrandt hat die Eröffnung gemacht, die kam dort herein, verkrampfte sichtlich und sah zu, dass sie schnell wieder herauskam. Als sie dann in meinem Raum war, atmete sie hörbar auf. Die war ja so spontan, man konnte ihre Gestik und Mimik leicht lesen. Und dann hat sie sich alles erklären lassen und war so happy.“

Wer an Glaskunst denkt, denkt eher nicht an Hammer und Meißel. Doch genau die kommen zum Einsatz, wenn Angela Willeke an ihren „Lichtstrukturbildern“ arbeitet, hauchdünnen Glasplatten, denen gekonnt gesetzte Brüche eine Struktur verleihen. „Sobald auf Glas eine Kraft, ein Schlag, einwirkt, zerspringt es, weil Glas amorph ist, das heißt, die Strukturen im Material sind ganz heterogen. Alle anderen Materialien haben ja klare kristalline Anordnungen. Aber ich habe dem Glas Lichtstrukturen abgeluchst. Und das werden dann solche Bewegungsformen.“ Wie weit lässt sich der Effekt der Schläge überhaupt steuern?

Tanz der Mücken.

„Ich gebe meinem Glas bestimmte Begrenzungen vor, muss dann aber auch respektieren, dass mein Glas erstmal macht, was es will. Und diese Zwiesprache, die bringt dann das Werk hervor. Jetzt in Coronazeiten könnte ich so etwas nicht arbeiten. Ausgeschlossen. Denn nun stehe ich unter einer inneren Anspannung. Für so eine Arbeit hingegen muss man voll zu sich finden und gelassen sein. Man muss immer wieder auf das Glas eingehen. Sonst funktioniert es nicht. Ich könnte jetzt nicht mal Glas schneiden, jetzt ist nicht die Zeit dafür.“ Und die Künstlerin zieht eine Parallele von der Pandemie zu einem Tornado, der 1979 die alte Ziegelei verwüstete. „Das war im Frühling. Damals standen wir machtlos vor all den Trümmern. Und als das mit Corona richtig losging, das war auch im Frühling, und wieder standen wir machtlos da, die Gefühle waren ähnlich. Deshalb habe ich 2020 meine Ausstellung auch ‚Der andere Frühling‘ genannt, mit zeitgenössischer Glaskunst zum Thema Corona und Fotografien zum Tornado. 

Pflastersteine

Während die Lichtstrukturbilder in Kalttechnik entstehen, handelt es sich bei den berühmten „Pflastersteinen“ um im heißen Zustand bemalte, transluzente Objekte.

„Die Idee, einen Pflasterstein als Glasskulptur zu machen […] entstand, als ich mal eine Ausstellung in Glashütte hatte. Damals sagte ich: ‚Zum Ausgleich würde ich gerne mal einen Tag bei Euch in der Hütte arbeiten. Das war OK, und ich hatte einen klasse Hüttenmeister, der mitging; der den technischen Part übernahm und ich konnte das Künstlerische machen.

Es war schon eine totale Performance, wie wir die Glasmalerei in zig Abschnitten immer wieder erwärmten, weil das Glas zu kalt geworden war, sie wieder prüften und dann weiterbearbeiteten. Am Ende überstach der Hüttenmeister es nochmal mit transparentem Glas. Gleichzeitig musste ich vor die Bühne gehen, denn da hatte ich einen original Granitpflastersteinhaufen aufgetürmt. Oben hatte ich eine Öffnung gelassen. Und dann galt es, mit Händen und Knien den wackeligen, schiefen, kantigen Turm zu halten.

Der Hüttenmeister ging dann oben mit dem Glas rein, um es auszublasen, und wenn er mir dann auf der Bühne ein Signal gab, dann musste ich die Steine auseinanderreißen. Das musste schnell gehen, sonst wären sie angehaftet. Aber versuchen Sie mal aus der wackligen, die Granitsteine haltenden Position, die wegzunehmen. Die dürfen nicht auf die Füße fallen. Und Sie dürfen auch nicht das Gleichgewicht verlieren … zudem pfeifen dann 900 Grad an der Nase vorbei. Also, Performance ist gar nichts dagegen. Und das Publikum sah stundenlang fasziniert zu. Aber wir waren auch beide so in unsere Sache vertieft.

Das ist ja immer das Entscheidende, dass man jemanden findet, der das mitträgt. Dann kann man ganz große Dinge erreichen.“

Paper Art

„Zur Paper Art kam ich durch eine bestimmte Erfahrung, die ich auf einer Studienreise nach Sizilien gemacht habe. Ich saß in einem Bus, hinter dem Fahrer – und plötzlich, an einer Kreuzung, fuhren alle Kraftwagen ungebremst aufeinander zu. Ich schrie vor Schreck und dachte: Das wars jetzt. Doch dann entfädelte sich das alles wie von Geisterhand. An der nächsten Kreuzung ereignete sich das gleiche Spiel, das konnte also kein Zufall sein. Da habe ich mir gedacht: Irgendwas passiert hier. Und ich bemerkte, dass sich die Fahrer mit Gesten verständigten. Dazu habe ich dann auch ein Buch gefunden über die Bedeutung der Gestik und Mimik. Und zwar ist es auf diesen Inseln so, dass sie ständig fremdbeherrscht waren. Immer wieder nisteten sich neue Eroberer dort ein. Und was haben die Bewohner gemacht? Sie haben ihre eigentlich unbewussten gestischen und mimischen Reaktionen zu einer Zeichensprache kultiviert. Das hat in meinem Kopf lange gearbeitet, weil ich es in Glas nicht ausführen konnte. Denn das musste sehr expressiv sein. Mit Glas geht das nicht, weil das durch die Hitze rundet und verschmilzt und gar nicht diese Expressivität entwickelt. Irgendwann kam ich dann auf das Papier. Ich habe also meine Werkgruppe ‚Paper Art‘ entwickelt.“ So entstand 2007 unter anderem die gestische Bodeninstallation „Be.Greifen“ in einem Mühlberger Refektorium. Sie zeigt hilfesuchend in die Luft ragende Hände, die von Spiegelsegmenten wie von einer Wasseroberfläche gespiegelt werden – mein künstlerischer Beitrag zum Elbhochwasser.

Fotografie

Glas erstarrt, doch die Wirkung der Glaskunst bleibt stets fließend, denn sie ändert sich je nach Lichteinfall, Lichtstärke und Position der Betrachter*in. Angela Willeke hat die Kunst perfektioniert, mit ihrer Kamera den Moment des perfekten Lichteinfalls einzufangen, den ephemeren Augenblick, in dem ihre Werke ganz und gar aufleuchten. Das Ergebnis sind Fotografien von atemberaubender Schönheit. Zu sehen sind sie unter anderem in dem Buch „GLAS.LICHT.RAUM – Glaskunst von Angela Willeke, vorgestellt von Herbert Schirmer“ (2011).

Wechselspiel von Kunst und Denken

Auffällig ist die philosophische Durchdringung von Willekes Kunst. Ihre Werke spielen mit dem Konzept der Unendlichkeit(en), zitieren die Relativitätstheorie, erkunden die menschliche Verfasstheit. Frage: Wie wirken die denkerische und die künstlerische Auseinandersetzung bei Ihnen zusammen? Was kommt erst? „Im Voraus ist keine Theoretisierung da und kein Wollen. Sondern man muss sich darauf einlassen, sich vorantasten. Eine Sache darf mich nicht loslassen, dann kommt nach und nach so eine Vertiefung – erst dann kommen diese Gedanken. Und erst zum Schluss ist es in der Arbeit rund und auch gedanklich rund.

Ähnlich ist es auch bei den Architekturprojekten und -wettbewerben. Zu Beginn habe ich mich immer interessiert für den Raum, die Nutzung und die Lichtverhältnisse, für das Thema und die Intention, die der Auftraggeber hat. Wenn ich dann an die Arbeit gegangen bin, hatte ich immer dieses Gedankengut im Hinterkopf. Und für die Lösung, die ich gefunden habe, habe ich fast immer den ersten Preis bekommen und durfte die Ausführung vornehmen.“

Jasper Backer

 

Porträt Angela Willeke. Foto: Dietmar Seidel

Zur Person

Angela Willeke stammt aus Treffurt (Kreis Eisenach). Nach ihrem Studium an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar (Abschluss 1974) arbeitete sie zunächst im Industriedesign. Später studierte sie an der Kunstfachhochschule Heiligendamm und an der Akademie für Kreativpädagogik (Leipzig). Seit 1990 ist sie freischaffende Künstlerin. Sie beteiligte sich an der EXPO Hannover sowie an den BUGAs in Cottbus und Potsdam, entwickelte Rauminstallationen u. a. für EON und gewann zahlreiche Wettbewerbe. Ihre Arbeiten werden weltweit ausgestellt.

 

 

 

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