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„Ein Leben vorher, ein Land vorher”

Suhrkamp, 328 Seiten, 24 EUR

Vier ostdeutsche Autoren haben Geschichten aus der Geschichte der DDR aufgeschrieben. Sich erinnernd, sich darob wundernd, dass es das gegeben hat: „ein Leben vorher, ein Land vorher”. So formuliert es Lutz Seiler in seinem Roman „Stern 111” (Suhrkamp, 328 Seiten, 24 EUR), der unlängst mit dem Preis der Leipziger Buchmesse dekoriert worden ist. Der Titel klingt nach Astronomie, greift aber auf ein kleines Kofferradio zurück. Seiler erzählt das Schicksal einer Familie aus Gera, die sich nach dem großen gesellschaftlichen Umbruch der Jahre 1989/90 ihre Träume zu erfüllen versucht. Die Eltern auf großem westlichen Reisetrip, der Sohn in der Ostberliner Szene. Seiler weiß diese beiden Handlungsstränge spannungsvoll und dabei wohlgeordnet abzurollen und ist am interessantesten in seinen gut beobachteten und nachempfundenen Berlin-Szenen.

S. Fischer, 320 Seiten, 21 EUR

In Dresden angesiedelt ist Ingo Schulzes neuer Roman „Die rechtschaffenen Mörder” (S. Fischer, 320 Seiten, 21 EUR). Schulze erzählt die Geschichte eines Antiquars, eines Schriftstellers (namens Schultze!), der über ihn schreibt und dessen Lektorin. Der Literaturbetrieb in der DDR, in der Wendezeit und heutigentags wird mit großer Unterhaltsamkeit und Ironie gestaltet. Allerdings entsteht so ein Vexierspiel, das einem gefallen und an dem man herumrätseln kann, das einen aber auch mit wenigen neuen Erkenntnissen entlässt.

Rütten & Loening, 500 Seiten, 16,99 EUR

Das ist anders in „Die Bilder unseres Lebens” von Ines Thorn (Rütten & Loening, 500 Seiten, 16,99 EUR). Ein Leipzigroman über 45 Jahre Zeitgeschichte vom Ende des zweiten Weltkrieges bis zum Ende der DDR. Zugleich eine Familiengeschichte vor authentischer Kulisse – jeder Straßenname stimmt. Ein Kulturroman aus der Sicht eines enteigneten Kinobetreibers. Auch die „Schauburg” in der Antonienstraße gibt es. Indem sie ein Familienmitglied auf „Republikflucht” schickt, kann die Autorin die politischen und sozialen Systeme in Ost und West gut ausloten und tut dies mit bemerkenswerter Offenheit und Fairness. Außer Partei und Stasi, die auch in diesem Buch ihr Unwesen treiben, gab es Dinge, die das Leben angenehm bestimmten.

Ganz ähnlich wie unser Seiler-Zitat lautet der Titel des neuen Buches von Erwin Berner: „Zu einer anderen Zeit, in einem anderen Land (

Aufbau, 253 Seiten, 18 EUR

). Berner ist der Sohn von Eva und Erwin Strittmatter. Um aus dem Schatten seines Vaters zu treten, nahm er, als er Schauspieler wurde, den Namen seiner Urgroßmutter an. Der autobiographische Hintergrund umfasst sowohl sein Coming-out als auch Erlebnisse aus der Wende- und Nachwendezeit in Berlin. Eine Straße und ihre Menschen in ruhigen Jahrzehnten, die in gesellschaftliche Turbulenzen mündeten, nehmen Gestalt an.

Klaus Wilke

 

 

 

 

 

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