Hummer in Wasser, langsam erhitzt
Ich bin ja kein ausgesprochener Thrillerfan, aber wenn der südafrikanische Kripo-Ermittler Bennie Griessel ruft, einen Buchdeckel zu öffnen, bin ich bereit. Nicht anders war es auch beim jüngsten Roman seines literarischen Schöpfers Deon Meyer „Todsünde” (Rütten & Loening, 474 Seiten, 20 EUR). Die Leidenschaft dieses Detektivs, mit der er die Tritte in unvermeidliche Fettnäpfchen seiner Vorgesetzten wagt, sein verbissener Widerstand gegen die verbreitete Korruption, aber auch der Kampf gegen seine trockengelegte Alkoholkrankheit machen ihn zu einem ganz andersartigen Teufelskerl als seine Kollegen in einschlägigen Romanen. Meyer ist wie immer ideenreich und spart nicht mit überraschenden Wendungen, stilistischen Einfällen und komischen Anwandlungen. Origineller Tipp einer windigen Damen nach jahrzehntelanger Qualehe mit einem Wirtschafts-Ganoven, wie man solches aushält: „Wenn man einen Hummer in einen Topf setzt und das Wasser langsam erhitzt, bleibt er am Leben, auch wenn da Wasser anfängt zu kochen. Weil sich der Hummer daran gewöhnt.”
Erstaunlich, wie aus einer Alltagsgeschichte, die es kaum noch in die Schlagzeilen schafft, ein Roman von europäischer und menschheitsmotivierender Dimension werden kann. Antje Ravik Strubel ist das mit „Blaue Frau” (S. Fischer, 430 Seiten, 24 EU) gelungen. Ein großer Wurf um eine MeToo-Story, die einer jungen Tschechin bei einem Kulturfindungstrip in der Uckermark widerfährt. Vergewaltigt, flieht sie nach Finnland, ist auf der Suche nach sich selbst und Gerechtigkeit. Ein interessantes Figurenensemble säumt ihren Weg, der Fragen des Verhältnisses von Ost und West, von Historie und Gegenwart und natürlich zwischen den Geschlechtern tangiert. Ein anspruchsvoller Roman, der aber gut zu lesen ist,
Jenny Erpenbeck ist eine Autorin, die sich vorwiegend brandheißen und hautnahen Themen widmet. „Kairos” (Penguin, 380 Seiten, 22 EUR) ist das jüngste Beispiel. Kairos ist der Gott des glücklichen Augenblicks. So einen glücklichen Augenblick hatten die neunzehnjährige Katharina und der mehr als 30 Jahre ältere Hans, als sie sich wenige Monate vor Ende der DDR kennen und lieben lernten. Was aber als Liebe auf den ersten Blick begann, hielt den hundertsten längst nicht mehr aus. Immerhin ist Hans verheiratet und – trotz Katharina – eine Art Schürzenjäger. Zudem geben die Umbrüche am Ende der DDR und der oft quälende Neuanfang dem Glück so manchen Stoß und Kratzer. Jenny Erpenbeck denkt die Geschichte bis zu ihrem bitteren Ende. Eine Liebesgeschichte im Wandel und Banne der Zeitgeschichte.
Der Schauspieler Tom Pauls steht seit 50 Jahren auf der Bühne. Eine Zeit, die nicht so sehr von Uhr und Kalender gemessen wird, sondern von der Zahl der Anekdoten. Tom Pauls hat sie dem Dresdner Journalisten Peter Ufer erzählt, und daraus ist ein lesenswertes, unterhaltsames Buch geworden: „Tom Pauls – Macht Theater: Ein Stück vom Leben” (Aufbau, 250 Seiten, 20 EUR) Dieses Stück vom Leben hat viel Heiteres an sich. Darunter dies: Tom Pauls bei Probeaufnahmen für einen Liebesfilm. Die Dame, deren Liebhaber er darzustellen hatte, war bereits abwesend. Der Regisseur winkte ab: Macht nichts. Sie können doch improvisieren. Mit dem Abflussrohr zum Beispiel. Großartig und lebensecht, wie Pauls das Rohr anhimmelte. Aber, so Pauls: „Weder die Abflussrinne noch ich bekamen die Rolle.”
Klaus Wilke