Plakatkunst als Gesicht der Stadt

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Das Cottbuser Stadtmuseum zeigt derzeit eine Sonderausstellung zum Thema Gebrauchsgrafik in Cottbus. HERMANN-kunststoff sprach mit Herbert Schirmer, den Kurator der Ausstellung.

Inwiefern prägt gerade die Gebrauchsgrafik das Gesicht der Stadt?

Gebrauchsgrafik ist die öffentlichste Form einer künstlerisch gestalteten Äußerung. Sie taucht an vielen Orten im Stadtraum auf und beeinflusst – meist kurzzeitig – die visuelle Kultur. Zudem prägt sie über den Transport von Informationen hinaus bewusst oder unbewusst das ästhetische Empfinden der Betrachter. […]

Was war kennzeichnend für die Gebrauchsgrafik im Bezirk Cottbus? Gibt es etwas, das sie von der anderer ostdeutscher Städte oder Bezirke unterscheidet?

In den ersten beiden Jahrzehnten der DDR eher nicht. Bildplakate, die über die typografische Gestaltung hinausgehen, wurden meist in Berlin von Hans Baltzer oder Joachim Bredow gestaltet und in Massenauflagen für die DDR produziert.

Im Cottbus der Nachkriegszeit waren es zumeist Anordnungs- oder Aufforderungsplakate, die Ordnung in das Chaos des öffentlichen Leben bringen sollten. Aber es entstanden schon erste Kulturplakate in deutscher und niedersorbischer Sprache. In zwei Bereichen begannen, Manfred Müller und Walter Böhm in Serie zu arbeiten:  Müller gestaltete malerisch-realistische Modeplakate für das Konsum-Warenhaus Cottbus. Und Walter Böhm schuf in seiner improvisierten Siebdruckwerkstatt jene im Stadtbild auffallenden farbigen Plakate für das Theater der Stadt.

In der Frühzeit der 1945 gegründeten Deutschen Werbe- und Anzeigengesellschaft [DEWAG] war nicht nur in Cottbus Ideenreichtum gefragt. Ein Mangel an Arbeitsmitteln verlangte von den Grafikern Improvisationstalent.

In den 1970ern kamen mit Dieter Nemitz, Jürgen Förster, Regine Franke, Meinhard Bärmich und Rudolf Sittner gut ausgebildete Gebrauchsgrafiker von der Fachschule für Werbung und Gestaltung in Berlin, die ihre Vielseitigkeit mit Plakaten, Signeten, Katalog- und Verpackungsgestaltung unter Beweis stellten.

Der Kurator der Ausstellung: Herbert Schirmer. Foto: TSPV

Was haben Sie persönlich bei der Arbeit an der Ausstellung neu entdeckt?

Zum einen entdeckte ich die unterschiedlichen Handschriften der zahlenmäßig überschaubaren Cottbuser Gruppe von Gebrauchsgrafikern, für die ein freundschaftliches, konkurrenzfreies Verhalten charakteristisch war. Darüber hinaus beeindruckte mich vor allem die vergleichsweise hohe handwerkliche und künstlerische Qualität ihrer Arbeiten.  Als in der DDR Sozialisierter fielen mir in der Betrachtung sofort die Plakate auf, die feinsinnig, ironisch und erst auf den zweiten Blick ihre hintersinnigen Botschaften offenbarten. Sie sind selbst nach 30 Jahren noch imstande, mehr als nur einen sentimentalen Wiedererkennungseffekt auszulösen. Interessant war für mich auch, noch einmal in die Geschichte der DEWAG einzutauchen. Die im Oktober 1945 von der sowjetischen Militäradministration und der KPD gegründete Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft war als Parteibetrieb der SED ziemlich flächendeckend tätig und hat auch in Cottbus die meisten der hier ansässigen Gebrauchsgrafiker unterschiedlich lange beschäftigt und nicht nur politisch angeleitet.

In der Ausstellung zeigen Sie Fotografien von Thomas Kläber aus den späten 1980ern. Diese Fotos haben einen subtil systemkritischen Unterton. Gab es solche Kritik zwischen den Zeilen auch bei den Plakaten? (Vielleicht versteckter?)

Da die Auftraggeber eher das Gegenteil von Kritik forderten, kam es im Plakatschaffen erst gegen Ende der DDR und mit dem Eigenauftrag einzelner Gebrauchsgrafiker zu unzensierten Plakaten. Vergleichbares wie in den genannten Fotografien von Thomas Kläber, in denen die ganze Trostlosigkeit der DDR in ihrer Endphase zum Ausdruck kommt, gab es in der Gebrauchsgrafik nicht. Allerdings stehen auch bei Thomas Kläbers Fotografien meist gebrauchsgrafische Botschaften im Mittelpunkt. Sie erst machen den Reiz der ins Groteske gewandelten politischen und sozialen Ansprüche deutlich. […]

Was würden Sie sagen: Hatte die Wiedervereinigung auch negative Auswirkungen auf die Gebrauchsgrafik?

Ja, denn die hohe Kultur, die sich international nicht verstecken musste, wurde mit dem Ende der DDR abgewertet. Gebrauchsgrafiker erhielten kaum noch Aufträge, auch weil mit der DEWAG Cottbus der Hauptauftraggeber ersatzlos wegfiel und weil für die DDR-typische visuelle Kultur angeblich kein Bedarf mehr bestand. Die Gebrauchsgrafiker wurden als Künstler abgewertet, was seit den frühen 1990er-Jahren vielfach durch Verunglimpfung bis hin zur Diskriminierung allerorten geschah. Hinzu kam, dass mit dem Einzug des Computers und der Digitalisierung sich das Berufsbild der Gebrauchsgrafiker gravierend änderte. Sie wurden zu Grafik-Designern, was großenteils schmerzfrei erfolgte, arrangierten sich ziemlich rasch mit der neuen Technologie, sahen sich aber gewissermaßen über Nacht mit einer Vielzahl von Laiengestaltern konfrontiert, deren Befähigung meist nur darin bestand, einen Computer bedienen zu können. Der Wettbewerb war da: Lauter, schneller, aufreizender, bunter. Dass die alteingesessenen Cottbuser Gebrauchsgrafiker sich all dem stellten und bis über den „Ruhestand“ hinaus tätig waren, spricht nicht nur für die Widerstandsfähigkeit ihrer ästhetischen Ansichten.

Interview: Jasper Backer

Die Ausstellung „Das Gesicht der Stadt“ ist noch bis zum 30. November im Cottbuser Stadtmuseum zu sehen.

 

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