Spätes Rangehn

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Nina Hagens Frühwerk aus der DDR gibt’s nun auf dem Album „Was denn …?“

Es gibt ein tolles altes DDR-Arbeiterklasse-Foto aus einer Werkshalle der Schiffswerft Roßlau von 1975. Die Sängerin Nina Hagen macht mit einem Arbeiter vor den Augen der zuschauenden Kollegen ein Tänzchen. Der Auftritt geschah innerhalb einer Unterhaltungssendung, mit der das DDR-Fernsehen durch die Volkseigenen Betriebe der Republik tourte, um vorbildliche Planerfüller zu würdigen.

 Achim Mentzel hat in einem Gespräch darüber kurz vor seinem Tod 2016 in Gallinchen schallend gelacht, als er auf diese Geschichte angesprochen wurde. Ja, so hätte er sie immer erlebt: als schräge Künstlerin, die für alles offen und auch für jeden Quatsch zu haben gewesen ist. Achim Mentzel hat in jener Zeit Mitte der Siebziger eine Weile mit Nina Hagen in einer Band gespielt Sie hieß Fritzens Dampferband. „Wir wollten uns theatralisch austoben und auf keinen Fall harte Rockmusik machen, sondern deutsche Songs mit eigenen Texten und eine Menge Quatsch auf der Bühne.“

 Zu dem Zeitpunkt hatte die staatlich ausgebildete Schlagersängerin Nina Hagen schon ihren Song „Du hast den Farbfilm vergessen“ aufgenommen. Ihr erster großer Hit, der als Amiga-Single beim damaligen DDR-Plattenlabel heraus kam. Die Plattenfirma gibt es längst nicht mehr, aber die Marke Amiga existiert weiterhin unter dem Dach von Sony Music. Dort ist jüngst ein Album mit dem Titel „Was denn …? The Amiga Recordings“ erschienen. Offenbar aus Anlass ihres 65. Geburtstags, den sie kürzlich feierte.

  Das Album enthält nicht nur das berühmte Stück „Du hast den Farbfilm vergessen“, sondern noch 13 weitere Songs, die Nina Hagen mit unterschiedlichen Musikern in der DDR  eingespielt hat. Wenn man alle Platten zählt, an denen Nina Hagen mitgewirkt hat, kommt man schnell auf eine dreistellige Zahl. Und obwohl die Platte „Was denn …?“ gar keine wirklich neuen Songs enthält, kann Nina Hagen damit noch für Erstaunen sorgen. Zum Beispiel mit der funkigen Rocknummer „Komm, komm“ oder dem genresprengenden „He, wir fahren aufs Land”, das die spätere „Godmother of Punk“ zwar noch nicht erahnen lässt, arber ihr Riesentalent als Stilakrobatin. Schön auch der Song „Zieh die Schuhe“, der Kennern des Hagenschen Werks aus dem 1976er DEFA-Film „Hostess“ geläufig ist. Das etwas lustig betitelte Stück weist etliche Charaktieristika auf, die für den späteren Gesang der Rock-Punk-Frau Nina Hagen typisch sein sollte. Begleitet wurde sie bei dem Song übrigens von der Stern Combo Meißen, Ikonen des ostdeutschen Artocks made in GDR.

 Wo wir bei den Sachsen sind, das Lied „Ich bin so alt“ besticht durch Nina Hagens bis heute immer mal zur Schau gestelltes Faible für den südostdeutschen Dialekt. Eine lustige Nummer, aber auch ein früher Beleg, dass der Dame kein musikalisches Experiment fremd war und sie selbst Abstecher in den Mundartrock nicht scheute. Zugleich ist es nicht so, dass „Ich bin so alt“ zwar als Parodie, aber nicht wie eine billige Verarsche der Mitbürger in den südlichen DDR-Bezirken daherkommt. Das Motto der Nachwuchsrockerin lautete damals eben einfach: unerschrocken und ohne stilistischen Selbstbeschränkung  „Rangehn“, so wie auch der Name eines weiteren Songs auf dem Album ist. Und interessanterweise ja auch der auf ihrem Debütalbum im Westen, nach ihrer Übersiedlung aus der DDR 1976.

 Dass es irgendwann so weit kommen musste, war natürlich jedem klar, der die Tochter der Schauspielerin Eva-Maria Hagen und des Ziehvaters Wolf Biermann persönlich kennengelernt hatte. Erst recht so intensiv wie Achim Mentzel als Kollege in Fritzens Dampferband. „Nina wäre nie der Weltstar geworden, wenn sie geblieben wäre“, war sich (nicht nur) Achim Mentzel sicher. „Sie musste rüber gehen, denn es gab in der DDR keine Schublade, in die sie gesteckt werden konnte. Die Kulturfunktionäre wussten überhaupt nicht, was Nina da macht. Ist das Kunst oder Blödsinn oder einfach nur Spaß?“ Man kann wohl sagen, es ist alles zusammen. Und das zeigen auch „The Amiga Recordings“ mit dem perfekten Albumtitel „Was denn …?“

Thomas Lietz

 

 

 

 

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