Keine Angst, der Freistaat wird nicht das bestimmende Element dieser Kolumne. Nur so viel: Ich finde es bedenkenswert, wie leichtfertig Opportunisten und Knusperköppe einen moralischen Grundkonsens über Bord werfen, wenn honorige Pöstchen winken: Rechtsextremisten sind konsequent auszugrenzen. Das galt bisher für die Neonazis der NPD genauso wie für den Faschisten Björn Höcke. Für die FDP ist das offenbar kein Hindernis. Bereitwillig macht sich der Thüringer Ableger für die AfD nackig und tanzt an der Stange, während die Blauen nur lachend daneben sitzen und ihnen Dollar-Scheine ins Gesicht werfen. Tanzt ihr Narren, der Höcke hat Lust! Zu dick aufgetragen? Kann schon sein. Wir sollten aber nicht aufhören, über Vorgänge wie diesen zu sprechen und uns darüber aufzuregen. Viel zu oft verschwinden so wichtige Debatten und Themen in der Versenkung, machen Platz für andere Aufreger. Es wirkt, als würde tatsächlich quantitativ immer mehr passieren auf dieser Welt, als wenn schlechte Nachrichten und Grundsatzdiskussionen in immer kürzeren Abständen einschlagen. Da fällt es schwer, den Überblick zu behalten, Nachrichten werden beliebig. Beispiel Cottbus: Erinnern Sie sich noch an die Kontroversen rund um den mittelalterlichen Ziegelbrennofen auf einer Baustelle am Wichernhaus? An die brennende Pyramide im Branitzer Park? An die Unruhen von 2018? Man kommt in Versuchung, es wie der betrunkene Onkel auf jeder Familienfeier auf einen einfachen Satz runter zu brechen: Früher war alles besser. Dabei sind nur die Möglichkeiten, wie Informationen zu uns kommen, nahezu explodiert. Kleine Bilder und kurze Überschriften, die schnell aufpoppen und schnell wieder verschwinden. Bild und Text gewordene „Lagerverkauf“-Radiospots, nur dazu gemacht, damit wir möglichst viele Informationen in immer kürzeren Abständen konsumieren können. Bis am Ende selbst erfahrene Zeitungsleser nicht mehr mitkommen und Inhalte im Rückblick durcheinanderwerfen. Was hatte Thüringen gleich nochmal mit Corona zu tun?
Das führt auch dazu, dass manch einer immer lauter sein möchte als alle anderen. Jene, die oft übersehen werden, sich aber nach Aufmerksamkeit sehnen. Georg Franck, Vater der „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ betrachtet die Aufmerksamkeit von Menschen als kostbares Gut. Dank des Internets fehle es nicht an Informationen, sondern an Köpfen, um diese zu konsumieren. 1988 schrieb er dazu: „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen.“ Süchtige haben in diesem Fall mit den oft Übersehenen eines gemeinsam: Für den schnellen Kick der Aufmerksamkeit machen sie alles. In Thüringen hat sich die FDP mit diesem Manöver den goldenen Schuss erbettelt.
Sebastian Schiller