Rudolf Sittner (*1944) ist einer der bekanntesten Gebrauchsgrafiker in Cottbus – und ein bemerkenswerter Maler. 2020 hat der Künstler 50-jähriges Berufsjubiläum als Gebrauchsgrafiker.
Passenderweise und nicht ganz zufällig zeigt das Stadtmuseum in diesen Wochen eine Sonderausstellung zum Thema Gebrauchsgrafik in Cottbus. Tatsächlich war es Rudolf Sittner, der vor rund vier Jahren erste Ideen zu dieser Ausstellung entwickelte und schließlich Herbert Schirmer als Kurator für dieses Projekt gewann. Doch bald schon gab es Differenzen.
„Die Zusammenarbeit war nicht so, wie ich sie mir erwartet hatte. Ich hatte mich auf eine Kooperation gefreut, doch er beteiligte uns Gebrauchsgrafiker kaum an der Konzeption der Ausstellung,“ erinnert sich Sittner. Ende 2019 zog er sich enttäuscht aus dem Projekt zurück.
Und steckte seine schöpferische Energie in ein sehr lesens- und sehenswertes Buch: „Umblättern. Gebrauchsgrafik aus fünf Jahrzehnten.“
Darin blickt der Künstler zurück auf sein bisheriges Lebenswerk und die Etappen seines Schaffens, von seinen Anfängen bei der DEWAG (Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft) in Cottbus und der gemeinsamen Siebdruckwerkstatt mit Meinhard Bärmich und Andreas Wallat über die vielfachen Brüche und Verwerfungen der Wendezeit – bis hin zu seinen Reisen nach Südamerika, die Sittners Malerei bis heute zutiefst beeinflussen. All das wäre schon ausgesprochen interessant.
Doch das Buch will (und kann) noch mehr: Rudolf Sittner zeigt darin anschaulich, wie es nur ein Insider kann, was es bedeutet, gebrauchsgrafisch zu arbeiten – für verschiedene Auftraggeber und im Angesicht wechselnder politisch-gesellschaftlicher Gemengelagen.
„Ich denke, dass das Wesen dessen, das ich als Gebrauchsgrafiker gemacht habe, in diesem Buch zum Ausdruck kommt“, erklärt er.
Dabei pauschalisiert er nicht, sondern erinnert sich mit geradezu enzyklopädischem Gedächtnis an konkrete Begebenheiten, die er detailreich und sehr unterhaltsam schildert. Manche Auftragsarbeiten kommentiert er mit spitzer Feder, beispielsweise: „Es gilt, auf dem schmalen Grat zwischen eigener gestalterischer Kompetenz und Missachtung der Kundenwünsche zu wandeln.“
Ganz en passant erfährt der Leser auch Wissenswertes über die Geschichte des Bezirks Cottbus, die Kulturpolitik der DDR und den gemischten Segen der deutschen Wiedervereinigung für die Gebrauchsgrafik.
Anders als manch andere Kommentatoren sieht Sittner hier durchaus auch Schattenseiten der Wende. Er erklärt HERMANN-kunststoff gegenüber: „Sie hat Gutes und Schlechtes mit sich gebracht. Das Gute war, dass wir bessere technische Möglichkeiten hatten und vieles auch vereinfacht wurde. Weniger gut war, dass der Geist der neuen Zeit die Leute auseinanderdividierte. Es gab vorher mehr Kollegialität. Das Konkurrenzdenken hat sich erst nach der Wende breitgemacht.“
Wer sich einen differenzierten Blick auf die Geschichte der Cottbuser Gebrauchsgrafik erhofft, dem sei „Umblättern“ wärmstens empfohlen.
Ein Exemplar des Buches kann man übrigens direkt beim Künstler vorbestellen – unter der Adresse rudolf-sittner@cebach.de (Kostenpunkt: 29 Euro).
Jasper Backer