Wohnen im Denkmal

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Auf einen Kaffee mit Martin und Susanne Tiede

Ehepaar Tiede auf der Terrasse

Ich behaupte mal salopp: Jeder Cottbuser kennt das Haus in der Thiemstraße 118, also die Stadtvilla an der Ecke Thiemstraße/Leipziger-Straße – gleich beim Carl-Thiem-Klinikum – und man fragt sich: Wer wohnt darin? Augen weiten, Ohren spitzen, hier kommt die Antwort. Doch zunächst, ganz von vorn: 

Wir hatten in Cottbus einen legendären Architekten namens Hellmuth Schröder. Der Mann war zehn Jahre (1927-37) Cottbuser Stadtbaurat und hat sich mit seinen Bauten ins Stadtbild und unser Gedächtnis eingegraben. Wir alle gehen wahrscheinlich täglich an Gebäuden vorbei, für die Hellmuth Schröder verantwortlich war. Das Sandower Warmbad oder die Feuerwache in der Ewald-Haase-Straße zum Beispiel. Die Stadt Cottbus hat für Schröder damals Gelder freigegeben, damit der Mann eine Dienstwohnung bekommt. Der Clou ist, er baut sich das Diensthaus selbst!

Die Bauhausschule von Hellmuth Schröder
Fotos: Daniel Ratthei

Beamen wir uns kurz zurück in die 1920er Jahre. Der wilhelminische Klotzbau ist vorbei. In der Architektur ist plötzlich alles möglich. Im Kaiserreich waren Gebäude extrovertiert, sprich die Fassade sollte was hermachen, der Innenraum lag weniger im Fokus. JETZT in den 1920er Jahren bricht alles auf. Es gibt viele Strömungen, ganz unterschiedlicher Richtung, heute als Klassische Moderne kategorisiert (was nichts heißt. So als würde man musikalisch sagen: Die 80er; also keinen Unterschied machen zwischen New Wave, Gothic, NDW, Punk, Ost-Rock, Rap oder Modern Talking), eine der wichtigsten Strömungen in der Architektur dieser Zeit war das Bauhaus.

Eisengitterrollo als Probestück

Das Bauhaus steht vor allem für den Sprung auf das nächste Level. Das INNEN wird wichtig – überhaupt das Zusammenspiel zwischen INNEN und AUßEN. Ein urbanes Bewusstsein ergießt sich über die Architektur. Funktionalität, Symmetrie und schlichte Erhabenheit wären spontane Stichpunkte. In diesem Sinne arbeitet Hellmuth Schröder. 1928 baut er quasi mit Amtsantritt in der Thiemstraße 118 auf städtischem Grund ein Haus – seine Dienstwohnung. Er hinterlässt damit einen ersten footprint in Cottbus. Dieses Haus hat Bedeutung. Schaut her liebe Cottbuser, das ist mein Stil!  

Gehört dazu: Die Suche nach Originalkacheln

Reden wir über das Haus. Es ist ein freistehender, zweigeschossiger Einfamilienhausbau mit Gartengrundstück. Die Raumstruktur bestand im Erdgeschoß aus Wohnzimmer, Speisezimmer, Bibliothek, Küche und Diele im Erdgeschoß und im Obergeschoß aus Damen -und Herrenschlafzimmer, Kinderzimmer, Mädchenzimmer und Bad. Schröder wohnt hier. Das Haus wird gleichzeitig als Büro genutzt. Mehr noch, als Versuchsobjekt. Susanne Tiede lässt plötzlich mitten in der Stube ein Metall-Rollo herunter und sagt: „Dieses Eisengitterrollo ist ein Probestück für die Sparkasse.“ Viele Elemente und Details im Haus Thiemstraße 118 finden wir in den Cottbuser Bauten wieder. Allein die Außenansicht schreit nach einer Parallele: Die Bauhausschule Cottbus in der August-Bebel-Straße (damals Bismarckstraße 42/43).

Leuchte mit ältester Glühbirne von Cottbus? Foto Daniel Ratthei

Treffer! Denn Hellmuth Schröder zeigt in der Thiemstraße 118 seine Federn und manifestiert sie 1930 in seiner wichtigsten Schöpfung. Damals ist die Bauhausschule eines der modernsten Bauten einer städtischen Schule in Deutschland. Das Wohnhaus in der Thiemstraße 118 ist also eine Mischung aus Dienstwohnung/Musterhaus/Experimentierfeld. Inzwischen denkmalgeschützt und mit festem Platz in unserer Stadtgeschichte.

Wer wohnt heute drin? Schröder wird 1937 als Freimaurer von den Nazis in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Er

Originales Badezimmer Foto: Archiv Tiede

stirbt 1939 bei einem Autounfall. Das Haus bleibt städtisches Eigentum und wird nach dem Krieg in den 50er Jahren zur Dienstwohnung vom naheliegendem Krankenhaus, heute CTK. Ältere Cottbuser kennen das Haus noch als „Villa Molitor“, benannt nach dem dort residierenden Ehepaar Dr. Kurt und Dr. Carola Molitor. Mein Papa (Jahrgang 1951) kann sich noch erinnern, wie er als Steppke in der Villa untersucht wurde. Die Räumlichkeiten und ein Anbau dienten als Praxis. Ab den 60er Jahren bewohnen verschiedene Parteien (Ärzte, sogar Studenten) das Ober -und Erdgeschoss. 1986 zieht Familie Dr. Dieter und Dr. Ursula Tiede ins Erdgeschoss ein. Ihr Sohn Martin ist damals Jugendlicher. Zur Einweihungsparty kommt auch Susanne, denn sie gehört zur Clique. Soundtrack der Jugend: The Cure und The Smiths. 

Wunderschöne Details Foto: Archiv Tiede

Die Familie Tiede kauft Haus und Grundstück nach der Wende. Martin Tiede studiert Innenarchitektur. In eine bessere Obhut kann die Villa gar nicht kommen. Martin leitet das Architekturbüro Tiede +. Ehefrau Susanne ist als Brandschutzexpertin dort Angestellte. Bauen im Bestand ist deren daily buisness. Das Haus ist ein Denkmal und soll mit seinen vielen Details erhalten werden. Ob vom Land Brandenburg dazu Gelder zur Unterstützung kommen, steht in den Sternen? In Eigenregie erhalten die Tiedes das Prunkstück in der Thiemstraße 118. Momentan ist das Heim noch Baustelle, aber spätestens im Juni 2021 sollen alle Arbeiten fertig sein. Wir reden hier über Menschen, denen bewusst ist, welches Objekt in ihrer Pflege liegt. Und sie pflegen es.

Daniel Ratthei

Mein Tipp: Lust auf den Vergleich? Kleine Hellmuth Schröder-Tour: Villa in der Thiemstraße 118, das Neue Rathaus in der Berliner Straße, das Sandower Warmbad bei der Shell-Tankstelle, die Feuerwache plus Wohnhaus in der Ewald-Haase-Straße und die Kapelle im Nordfriedhof. Rad aufgepumpt und los geht`s!  

        

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