Wurzeln und Flügel

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Das Piccolo Theater Cottbus hat 30. Geburtstag

Uff. Es ist geschafft. Wir haben das denkwürdige Jahr 2020 hinter uns gelassen und schweben itzo in jenem Zustand, wie nach einem heftigen Streit mit einer nahen Person – wütend noch, seelisch verletzt, aber irgendwie ist die Wucht verpufft und das ist gut so. Wie auch immer sich Anno 2021 entwickeln wird, ob wir weiter zähe, politische Grabenkämpfe vorantreiben oder einhellig Wegweisern folgen, eines ist gewiss: der kleinste gemeinsame Nenner sind unsere Kinder.

Märchen-Ensemble 2020 Foto: Michael Helbig

Und hier tritt das Piccolo Theater Cottbus ins Spiel. Seit dreißig Jahren ist die Kinder- und Jugendtheaterbühne da. Punkt. Sie ist da. Für die Kleinen, die ganz, ganz Kleinen, die Mittelkleinen, die Halbstarken und auch für die Großen. Wer noch nie im Piccolo Theater war, der hebe die Hand! Keiner? Na wie denn auch?

Die wunderbare Kinderbuch-Autorin Cornelia Funke („Tintenherz“), quasi unsere deutsche Joanne K. Rowling („Harry Potter“), sagte einmal auf die Frage nach Wirklichkeit, folgendes: „Wir sitzen auf einem Planeten, der sich um einen Feuerball dreht. Das ist die Wirklichkeit. Über uns am Himmel explodieren ferne Sonnen. Das ist die Wirklichkeit. Wir sind so gut darin, nur unsere unmittelbare menschengemachte Realität wahrzunehmen und alles, was daran kratzt, auszublenden, einschließlich unserer eigenen Sterblichkeit.“

Cool: Piccolo-Podcast „Kopf & Kragen“

Erstens: Chapeau! Einmal im Interview eine solche Antwort parat haben… Zweitens: Willkommen im Kinder- und Jugendtheater! Schattenmenschen, Scheinriesen, lebendige Träume, Fantasy, Knusperhäuschen, sprechende Pinguine – aber auch: Mobbing, sexueller Missbrauch, Rassismus oder Tod. Die Spanne der Themen fliegt im Kinder -und Jugendtheater viel selbstverständlicher umher, als unsere Schulweisheit sich das erträumen ließ. Jeder Stoff wird ernst genommen. Jeder Stoff ist möglich.

Komme was wolle: Das Piccolo hält den Kontakt

Der Großmeister der Schauspielkunst, der Russe Konstantin Sergejewitsch Stanislawski riet: „Für Kinder muss man genauso schreiben wie für Erwachsene – nur besser.“ Was er meint, ist wohl das Ping-Pong-Spiel von existenziellen Vorgängen und jenem Witz, bei dem Erwachsene längst die Nase rümpfen. Kein Bling-Bling und keine nackte Brust könnte ein Kind vor böser Absicht trügen, aber ordentliches Pupsen funktioniert trotzdem 🙂 

Next Room: Das Piccolo hält den Kontakt

„Wichtig ist es, Kinder an die Hand zu nehmen und mit ihnen durch die Geschichte zu gehen. Wir nutzen Kinder nicht aus. Wir verführen sie nicht. Wir vermitteln Werte, ja – im  Erwachsenen-Theater werden Werte nur noch diskutiert. Deshalb ist Kinder- und Jugendtheater viel Systemrelevanter.“ Auftritt Reinhard Drogla.

Baustelle 2010/11 Fotos: Archiv Piccolo Theater

Wenn man über das Piccolo Theater schreibt, ist es stets auch eine Erzählung über den beliebten/musikalischen/eitlen/interessanten/einflussreichen/zu DDR-Zeiten sehr ausspionierten/amüsanten/streitlustigen Menschen unserer Stadt. Das heuer am Erich-Kästner-Platz, neben Stadthaus und stolzem Krebs-Wappentier, auch ein schmuckes, vorzeigbares, modernes Gebäude steht – mit Spielplatz und offenem Foyer – ist sein Verdienst. Drogla knickt vor Widerstand nicht ein. Ein Betrieb braucht solche Typen. Seit einem Jahrzehnt leuchtet das Theaterhaus dort und einiges Spreewasser ist längst dahingeflossen, deshalb Hand aufs Herz: Kann sich noch jemand erinnern, wie es vorher dort aussah?

Modernes Haus im Winter 2020

Es fühlt sich an, als wäre das Piccolo Theater immer schon am Start gewesen. Was auch mit der Philosophie der Piccolianer zu tun hat, nämlich für Stadt und Umland greifbar zu sein. Reinhard Drogla gewann früh die Erkenntnis, dass fahrende Ensembles (wie es das Piccolo anfänglich war) eine starke Fluktuation der Kolleg*Innen aufweisen und eine daraus resultierende Fremdheit gegenüber dem Publikum. Das Piccolo Theater sollte einen anderen Weg beschreiten. Drogla schaut auch der ewigen Koketterie der Theaterszene nach Aufmerksamkeit und Ranking äußerst gelassen zu. „Für Kinder und Jugendliche ist unser Theater wie ein gefüllter Brotkasten oder eine warme Heizung. Es gehört zur Grundversorgung. Theater interessiert mich zuhause und nicht in Australien oder Heidelberg.“

Hausinterne Märchenpremiere, hinter der Bühne

Szenenwechsel: Corona und die Schließung der Theater? Wie bei allen Kultureinrichtungen ist ein Riesenausfall an eigenen Einnahmen zu beklagen. Reinhard Drogla sagt: „Ich habe seit langer Zeit nicht mehr so komplex gearbeitet und gelernt wie jetzt. Nur ein Beispiel: Das Wort „Kurzarbeit“ war früher höchstens ein Begriff aus den Nachrichten. Plötzlich müssen alle Mitarbeiter darüber bezahlt werden… Was bedeutet das eigentlich?“ Dennoch sieht der Theaterleiter auch das Positive. Die Krise hätte die Kollegen enger zusammenrücken lassen. Gäste (z. Bsp. Musiker) die auf Honorarbasis mit dem Theater zusammenarbeiten, wurden weiter unterstützt. Der Kontakt mit den vielen Kinder- und Jugendgruppen wurde im Lockdown gehalten, das käme gut an.

Hausinterne Märchenpremiere, vor der Bühne

„Wurzeln und Flügel“ heißt das Motto der Spielzeit. In große Höhen aufsteigen konnte das Theater wegen Corona momentan nicht. Am 26. Februar feiert das Piccolo Theater seinen 30. Geburtstag. Die geplante Festwoche ist vorsorglich auf den Juni verschoben worden. Ein Buch über das Theater wird herausgegeben. Wie begeht der Chef ganz privat dieses Jubiläum? „Wahrscheinlich werde ich abends mit meiner Frau bei leckerem Essen und einer Flasche Wein in der Küche sitzen und übers Piccolo nachdenken, so wie wir das in all den Jahren getan haben.“ Hoch die Tassen und alles Gute Dir, Piccolo!

Daniel Ratthei

Reinhard Drogla Anfang der 80er Archiv Piccolo Theater

Mein Tipp: Wer Lust hat, die Mitarbeiter des Piccolo Theater besser kennenzulernen, dem sei der Podcast „Kopf & Kragen“ empfohlen. Die Idee entstand im Corona-Lockdown. Auf der Webseite www.piccolo-cottbus.de/stay-at-home/ gibt es alle Folgen zum anhören. Ziemlich cool!

 

 

 

 

   

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