Zum Auftakt ein Besuch im SPECTRUM

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Nun ist es also doch so gekommen, wie es die meisten Beteiligten schon eine ganze Weile befürchtet hatten: Das Cottbuser Jubiläums-Festival findet dieses Jahr nur digital statt. Dies wäre Anlass genug, sich darüber auszulassen, welche politischen Verantwortlichen den Sommer verschlafen haben und welche fatalen Signale die aktuelle Karikatur eines wirksamen Lockdowns an Kulturschaffende sendet.

Wäre dieses Jahr Spielstätte gewesen: Das Friedrich-Wolf-Theater in Eisenhüttenstadt

Ich möchte aber darauf verzichten und das Dauer-Thema dieses Jahres einfach ausblenden – um mich allein dem Programm dieses Festival-Jahrgangs widmen. Sehen wir das Positive: So viele Filme konnte der Liebhaber des osteuropäischen Kinos noch nie sehen – die Verlängerung des Streaming-Angebotes bis Silvester macht so einiges möglich. So werde ich wahrscheinlich noch bis zur Weihnachtszeit hier ab und zu ein paar Streifen vorstellen, die sich der geneigte Leser nicht entgehen lassen sollte. Die Fotos des diesjährigen Blogs werden Cottbuser Impressionen aus den letzten Jahren zeigen und Kinos von anderswo, die wir ebenfalls nicht besuchen können.

Jetzt aber endlich hinein in das Vergnügen: Beim ersten Film-Vorkosten dieses Jahres habe ich in der bunten Rubrik SPECTRUM vorbeigeschaut und zwei Filme angesehen.
Da wäre zunächst

„The last day of this summer“

von Julia Schatun und Nikita Alexandrow aus Belarus. Wer wendungsreiches Handlungs-Kino bevorzugt, sollte lieber die Finger von diesem Dreiviertelstündler lassen. In ruhigen, präzise komponierten Bildern fühlt sich der Streifen in die Erlebnis-Welt eines Minsker Jugendlichen ein. Er wandert durch die Neubauviertel (übrigens nicht in den Außenbezirken), trifft Kumpels, eine Freundin, sieht ein Konzert in der Altstadt usw. Unterbrochen werden die Streifzüge immer wieder von bildfüllenden Smartphone-Sequenzen, in denen der Jüngling spielt, chattet oder Nachrichten liest.
Das ist nicht spektakulär, aber ungemein stimmig und überzeugend. Richtig groß wird der Film ab der Dämmerung, wo die Kamera meisterlich die Stimmungen und damit auch den letzten Gelangweilten einfängt.

Das ganze Gegenteil an Ereignissen ist der kroatische Film

Vielleicht nicht umwerfend schön, aber immerhin geöffnet: Das Kino „Milenium“ in Skopje, Mazedonien

„Extracurricular“.

Was an dieser tiefschwarzen Komödie von Ivan-Goran Vitez besonders heraussticht, ist das hervorragende Schauspieler-Ensemble und das gewiefte Drehbuch. Ein geschiedener Mann darf seine Tochter nicht sehen. An ihrem Geburtstag geht er mit einem Jagdgewehr in ihre Schule und nimmt die gesamte Klasse als Geisel, um mit ihr feiern zu können …
Was wie ein realistischer Problem-Film anfängt, wächst sich immer mehr zu einer bitterbösen Medien- und Polit-Satire aus; im Original heißt der Film süffisant „Nachhilfe“. In aufreibenden Irrungen und Wirrungen, die den Zuschauer tatsächlich am Stuhl festnageln, gerät die kriminelle Handlung des Vaters immer mehr in den Hintergrund, und es sind ganz andere Dimensionen von Verbrechen, die sich herausschälen. Ich habe mehrmals laut gelacht – bis mir das schließlich doch verging. Als ich heute las, dass dies der kroatische Vorschlag für den nächsten Academy Award (für den besten ausländischen Film) sein wird, wunderte ich mich kein bisschen.

Jetzt „schnüre“ ich noch meine Hausschuhe und mache eine kleine Stippvisite in Bosnien-Herzegowina, von wo ich euch natürlich berichten werde.

Henning Rabe
8. 12. 20

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