Trittfest – Teil 6: von Plowdiw nach Istanbul mit dem Fahrrad

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Uns hat Bulgarien zum Schluss doch noch abgeholt und das nur wegen Dimitr. Zunächst waren wir etwas enttäuscht von Bulgarien, da wir von Serbien so überrascht wurden. Achja Erwartungen – du kannst es uns Menschen auch nie recht machen.

Der Aufenthalt in Plowdiw

Nagut kommen wir erst einmal zurück zu unserem Aufenthalt in Plowdiw. Viel Zeit die Stadt zu erkunden, hatten wir nicht. Nach einem vollen Bürotag mussten wir dann noch einige Einkäufe in der Stadt tätigen. Unsere vollen Einkaufstaschen hielten uns aber nicht davon ab spontan lokale Craftbeerspezialitäten auf einem Bierfestival zu probieren, was unseren Aufenthalt in Plowdiw definitiv versüßte.

Die Ausfahrt aus Plowdiw

Mit neuer Energie und viel Zeit für die übrigen Kilometer bis Istanbul begaben wir uns aber wieder auf den Weg, stoppten nach 40km für unsere Mittagspause in einem kleinen Dorf und nur kurze Zeit später taucht er auf einmal auf – Dimitr. Ein hibbeliger und gut gelaunter Mann mittleren Alters, der uns direkt zwei Kaffee und zwei Wasser anbot. Das Wasser nahmen wir schnell und dankend an, den Kaffee gezwungenermaßen auch, denn er ließ nicht so recht locker. Nach einem kurzen Gespräch via Google Übersetzer wollte er uns dann unbedingt etwas selbstgemachtes mitbringen. Mit dem Zusatz: ihr könnt entscheiden ob ihr es mitnehmt oder nicht. Woran denkt man bei so einer Aussage? Richtig, man denkt nicht automatisch an selbstgemachten Ajvar.

Eine spontane Einladung

Dabei blieb es aber nicht. Er lud uns dann zu sich nach Hause ein und offerierte uns ein Gästezimmer mit Bett – unsere erste spontane Einladung. Nach reiflicher Überlegung willigten wir ein und fuhren mit ihm gemeinsam zu seinem 4ha großen Grundstück, wo wir lauthals von seinen zwei Hunden Alex und Rocky begrüßt wurden. Hier wohnt er zusammen mit seiner Mutter, um die er sich kümmert.

Nachdem wir dann unser Zimmer bezogen hatten, wurden wir auch direkt in die Essensvorbereitung miteinbezogen. Obwohl wir noch voll vom Mittag waren, bestand er darauf direkt damit zu beginnen. Beziehungsweise nicht direkt direkt – nach einem Rakija und einem Bier. Schnell waren Salat und Fleisch vorbereitet und standen auf dem Tisch.

Zum Zeitvertreib kramte ich unser aus Deutschland mitgebrachtes Kartenspiel heraus (eine Premiere für die Reise), welches sehr gut bei Dimitr ankam. Das lag unter anderem daran, dass es leicht zu verstehen war und eventuell – da lehnen wir uns jetzt mal weit aus dem Fenster – auch am Rakija. Er war dann so gut gelaunt, dass er unbedingt wollte, dass Ich seinen Traktor (ein älteres Modell) fahre, während Justin ein Video von mir macht. Ich sprang gerade noch so aus dem Fahrerhaus bevor er den Motor einschalten konnte. Ein sehr witziger Nachmittag und Abend!

Trotz des Rakijas und des Bieres hatte ich wieder einmal eine eher schlaflosere Nacht – so viele Geschichten, die wir verarbeiten dürfen. Mega! Nach der Verabschiedung unserer Gastgeber ging es dann aber für uns wirklich weiter.

Die nächste Grenze

Wie die meisten Fahrtage bei uns: Kilometer machen – Mittagspause und Wasser auffüllen – Kilometer machen – kleinere Pausen (diesmal zum ersten Mal mit einem Getränk aus dem Automaten, die gab es in Bulgarien nämlich überall) und schließlich Campingplatz suchen. Wir wurden 30 km vor der bulgarisch-türkischen Grenze bei einem abgeernteten Feld fündig. Neben unserem Campingplatz haben wir unweit entfernt zwei „Unterstände“ entdeckt, bei denen wir gerätselt haben, wer da wohl nächtigen wird. Die Frage blieb offen – hatten wir doch in der Nacht keine Nachbarn.

Noch eine kleine wehmütige Randnotiz: die Melonen am Straßenrand weichen bereits jetzt schon den Kürbissen  – der Herbst rückt näher.

Am nächsten Tag gab es dann noch zur Verabschiedung einen Kaffee und Tee im Getränkeautomatenland Bulgarien und dann hieß es nach Passierung des weltweit zweitgrößten Grenzpostens: Merhaba Turkiye! Merhaba Edirne!

In der Türkei – herzlich willkommen in Edirne

Der Charme von Edirne und das super nette Hotelpersonal, welches z. T. sogar Englisch sprechen konnte (bisher eine Seltenheit außerhalb von Istanbul), ließ uns wieder direkt in die Türkei eintauchen. Eine volle Körperdrehung genügt und du siehst ein Basar, 3 Moscheen und 25 türkische Flaggen und hast sofort Lust jede landestypische Kost zu probieren. Wir konnten uns daher nicht zurückhalten und aßen direkt einen Iskender Kebap (Justins Lieblingskebap), Feigen, allerhand Baklavavarianten und die edirnische Spezialität frittierte Rinderleber. Hier lässt es sich aushalten.

Türkische Gastfreundschaft

Weil wir ja jetzt eine Weile in der Türkei unterwegs sind, besorgten wir uns dann noch fix zwei Simkarten. Beseelt von dem guten Essen und den ersten Eindrücken der Türkei, fuhren wir dann entlang der Bundesstraße D100, die uns auch die folgenden Tage bis nach Istanbul noch begleitete, aus der Stadt heraus. Hier ergaben sich wieder einige Begegungen unterschiedlicher Art. Beim Flaschen auffüllen wurden wir beispielsweise von einer Gruppe Kinder angesprochen und zum ersten Mal mehrfach nach Geld gefragt. Kurze Zeit später wurden wir dann konträr dazu an einer Tankstelle mit Tee beschenkt. Wer uns kennt, weiß: eine Kultur nach unserem Geschmack – die Teekultur.  Zurück zur D100 – diese bot leider keine besonders schönen Aussichten, es ging meistens ziemlich hektisch zu und ein Schallpegel von unter 90 Dezibel suchte man vergebens. Deshalb entschieden wir uns am Nachmittag dazu, eine weniger befahrene Straße zu befahren. Diese war allerdings auch nicht besonders schön, die Landschaft kahl und nichts als trockene Felder in Sicht. Zudem kamen wir nur langsam voran. Immerhin verlief dann die Campingplatz-Suche nicht so kompliziert wie an der Hauptstraße.

In einem kleinen Wäldchen wurden wir dann von den Klängen der naheliegenden Moschee am nächsten Morgen geweckt und es machten sich bei mir die ersten Bauchschmerzen bemerkbar, die sich später auch nur mit der Einnahme einer Tablette beruhigen ließen. Geht das hier schon los – fragte ich mich mehrfach. Klare Antwort: ja aber hallo!

Wir trotzten zusätzlich dann noch dem Gegenwind (und Seitenwind durch LKWs) auf unserer Lieblingsstraße der D100, tätigten Einkäufe und wurden zur Mittagspause an der Tanke reichlich beschenkt. Wollten wir doch nur im Schatten  genüsslich unser bescheidenes Brot mit Gurke schnabulieren, fanden wir uns 20 Minuten später mit Cay, Ayran, 3l eiskaltem Wasser, Pommes, Käse und Leber im Kontrollraum der Tankwärter wieder.

So viel Gastfreundschaft – wir wurden so sehr überrumpelt, sodass uns ein kultureller Fauxpas unterlaufen ist. Später fiel uns nämlich auf, dass unsere im Gegenzug verschenkten Gummibärchen nicht Halal und damit für 99% der hier lebenden Bevölkerung quasi nicht essbar waren. Grund genug für uns, dass wir uns in den nächsten Tagen mit den Gepflogenheiten in der Türkei bekannt machen.

Eine freudige Überraschung – ein Fahrradladen nach unserem Geschmack

Womit wir uns auch bekannt machen wollten, war der Blick auf das Marmarameer sowie unser gebuchtes Airbnb in Büyükçekmece. Wir folgten daher weiter der D100, pausierten bei einer Tankstelle (wir gehen hier nicht mehr ins Detail 😉 ) gönnten uns ein Eis und weil der Seitenstreifen auf einmal verschwand, fuhren wir zur Abwechselung durch eine Stadt hindurch. In dieser wurden wir von einem Mitarbeiter des hiesigen Fahrradladens auf unsere Räder angesprochen und zu einem Kaffee eingeladen. Die Chance ergriffen wir und Justin sprach bei der Gelegenheit seinen seit Ungarn verbogenen Fahrradständer an, welcher ohne mit der Wimper zu zucken gerichtet wurde – und zwar kostenlos. Krass! Damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet. Nun gut: das Meer wollten wir ja aber noch sehen, also weiter im Text. Nach weiteren drei Hügeln erreichten wir dann schließlich unser Airbnb. Begrüßt wurden wir von einer netten Dame, die uns die Räumlichkeiten zeigte. Allerdings wich die Vorfreude und es stellte sich schnell Ekel ein.

Ein kurzer Aufenthalt

Ein paar tote Käfer, viele Katzenhaare überall, das einzige und dreckige Handtuch und benutzte Gegenstände der vorherigen Gäste waren nur das kleine Übel. Später stellte sich heraus, dass die toten Käfer Kakerlaken waren und dass es nicht nur bei den toten blieb. Als ich Schweiß und Sonnencreme von meinem Körper abduschen wollte, krabbelte eines der Tierchen aus dem Abfluss, um den sicheren Tod des Ertrinkes zu umgehen. Dazu gesellte sich noch ein großer Tausendfüßler sowie Spinnenläufer und natürlich Ameisen.

Wir würden nicht von uns behaupten, dass wir hier in Punkto Hygiene hohe Standards haben oder nicht mit Insekten klarkommen. Dafür schlafen wir einfach viel zu oft im Zelt in der Natur ohne richtige Dusche oder haben unsere Kleidung ungewaschen mehrmals an. Das alles war uns dann doch aber zu viel. Weder konnten wir hier unserer notwendigen Hygiene nachkommen, Bettwanzen ausschließen, unsere Campingsachen trocknen oder gute Laune und einen erholsamen Schlaf finden. Also buchten wir mitten in der Nacht erfolgreich ein Hotel und zogen mit all unserem Gepäck noch einmal um. Es juckt mich immernoch, wenn ich an diese Unterkunft zurückdenke.

Am Marmarameer

Unseren Ruhetag im Hotel nutzen wir zur Entspannung, für die Recherche und das Baden im Marmarameer. Und natürlich durfte an dem Tag eine Begegnung mit einem anderen Hotelgast nicht fehlen. Dieser bot bei der Kommunikation mit dem Hotelpersonal seine Hilfe an, die ich dankend annahm. Später stellte sich heraus, dass er mir gar nicht wirklich helfen wollte, vielmehr belehrte er mich, als sei er mein Vater, machte sich über mich lustig und fragte ohne sich für die Antwort zu interessieren, warum wir diese Reise machten und nicht einfach nach Hause fahren. Uff – ein Kloß in meinem Hals bildete sich, ich antwortete weiterhin freundlich, bedankte mich für seine Hilfe, aber wollte eigentlich nur aus dieser Situation flüchten. Nagut: aufstehen, Krone richten und lächeln. Das Leben geht weiter und es meint es gut mit uns, denn wir dürfen die Sonne am Meer untergehen sehen. Ein Traum! Sowie die neben uns stattfindenden Verlobungszeremonien, die hoffentlich auch für die Paare traumhaft sind (uns kommen sie etwas gestellt vor).

Unsere weitere Zeit verbrachten wir hauptsächlich im Hotel und am Strand, streichelten ein paar Katzen, die wir am liebsten alle adoptieren wollten und luden unsere Batterien für die Einfahrt in die 16 Millionen Einwohnermetropole auf, die unter Radreisenden als eine der anstrengendsten der Welt gilt.

Die Einfahrt nach Istanbul

Die Einfahrt nach Istanbul war tatsächlich eine Tortur und wird uns vermutlich für immer im Gedächtnis bleiben. Nicht nur aufgrund des Verkehrs auf den Straßen, sondern auch weil bei mir ein kleiner Magen-Darm-Infekt „verkehrte“.

Dieser schwächte mich so sehr, dass ich beim kleinsten Hügel meinem Maximalpuls nahe kam und wir öfter kleine Pausen einlegen mussten, damit der Inhalt in meinem Verdauungstrakt verweilte und nicht unkontrolliert auf den Straßen von Istanbul landete.

Nach der Ankunft im Hotel geht es mir jetzt schon sehr viel besser, was bedeutet, dass wir diese schöne Stadt, die wir noch gut aus dem letztem Jahr kennen, genießen können. Bis dahin und güle güle.

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