Eine Werkstatt, in der nicht gehämmert wird

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Bei P12 im Gladhouse entstehen wunderschöne Texte über das Gestern, Heute, Morgen
Ein Gespräch mit der Leiterin Ines Göbel

Schon  eine schöne Tradition, die nach Jahrzehnten zählt, hat die Kulturwerkstatt P12 im Gladhouse, die ihren Fokus in der Arbeit der Literaturwerkstatt sieht, die sich an Kinder ab 8 Jahren und an Jugendliche wendet. Willkommen ist hier, wer den Klang der Wörter liebt, Spaß an der Sprache und am Lesen hat, neugierig auf Texte anderer ist und Lust und Ausdauer, selbst zu schreiben, hat. Lesen und Schreiben stehen auch im Mittelpunkt des folgenden Gesprächs mit Ines Göbel, der Leiterin der Kulturwerkstatt.

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Ines Göbel © Lukas Meinhof

ines_goebelReden wir erst mal vom Lesen. Was lesen Sie denn selbst gern?
Alles, ausgenommen Thriller: Krimis. Gegenwartsstoffe. Biografien. Kinderbücher. Also ein ganz breites Spektrum. Fast wie ein Regenbogen. Gern folge ich Empfehlungen, probiere an meinem Lesegeschmack aus, was anderen gefallen hat.

Nennen Sie dazu ein paar Titel!
Einer meiner Lieblingsautoren ist Christoph Hein. Sein jüngster Roman, „Glückskind mit Vater“, hat mir Lesegenuss bereitet. Der israelische Schriftsteller Amos Oz, zuletzt mit „Judas“, aber auch zuvor mit „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“, leuchtet auf packende Weise menschliche Abgründe und  Hochgefühle, die durch Religionen entstehen, aus. Auf wunderbare Art sind bei diesem Autor Ursachen und Folgen menschlichen Handelns durchdacht. Jeden Herbst schenke ich dem aktuellen Literaturnobelpreisträger meine ganze Aufmerksamkeit. Patrick Modiano 2014 war für mich eine besondere Entdeckung.

Was macht für Sie überhaupt ein gutes Buch aus?
Es darf ihm nicht die Luft ausgehen, der Schriftsteller muss Durchhaltevermögen zeigen. Manchmal bin ich enttäuscht, wie leicht es sich ein Schreibender macht. Am liebsten sind mir Bücher, in denen der Autor nachdenkt, Situationen durchspielt, zuspitzt und zu einem oft überraschenden, aber logischen Ende führt. Dann fühlt sich der Leser mitgenommen und ernst genommen.

Gibt es für Sie Unterschiede darin, was Sie als Kind und als Jugendliche gelesen haben und was Sie heute lesen?
Ich habe schon in frühen Jugendjahren zu Weltliteratur, zu moderner Klassik, gegriffen. Flaubert, Zola, Maupassant, Dostojewski oder Updike haben mich erweckt. In ihren Büchern lernte ich eine Welt kennen, die alles hat, einen auszuhebeln. Aus meiner Kindheit fällt mir „Lommelchen“ ein. Ein Kinderbuchklassiker, der mir unter die Haut ging und mich? sehr beunruhigt hat. Der kleine Lommel wächst wohlbehütet auf, scheinbar fern aller Gefahren. Da geht eines Tages, Lommelchen ist allein zu Haus, der Fuchs vorbei und lädt ihn ein, auf seinem Schwanz zu reiten. Lommelchen, ohne jede Angst, fällt auf die List herein…

Muss, wer schreiben will, viel lesen?
Ja. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Natürlich kann auch schreiben, wer nicht liest. Aber sein Vorrat an Ideen wird sich schnell erschöpfen. Bücher regen schließlich zum Denken an, und schön ist es, wenn man über Gelesenes ins Gespräch kommt. Ja, die meisten Schreibenden lesen. Schon deswegen, um Stil und Formen kennenzulernen.

Führt Lesen zum Schreiben?
Man muss ja nicht schreiben.  Die meisten lesen wohl, um sich zu unterhalten, und dagegen gibt es keine Einwände. Aber zum Schreiben braucht man mehr.

Kann, wer zu P12 kommt, schon schreiben?
Von Können würde ich nicht reden. Jedenfalls ist das unterschiedlich. Wer schreibt, glaubt, für sich etwas gefunden zu haben. Und wenn er/sie dann zu uns kommt, geschieht das aus einer Lust heraus, das Geheimnis des Schreibens lüften zu wollen.

Kann man Schreiben überhaupt lernen?
Das möchte ich durchaus bejahen. Es ist schön, wenn Talent und Begabung vorhanden sind. Auch der Anspruch, dem man sich stellt, ist wichtig. Wer es ernsthaft betreibt und der Gesellschaft etwas mitteilen will, für den spielt der Mainstream eine Rolle. Wer schreibt, ist wach. Er sieht und beschreibt die Umwelt, und vielleicht verändert er sie damit auch.

Was ist Schreiben?
Das ist eine schöne Frage. Der eine führt Tagebuch, um sich selbst zu erkennen und zu ergründen und zu finden, was er eigentlich vor sich selbst verbergen will. Ein anderer pflegt das öffentliche Schreiben: Er will sich mitteilen, etwas über sich mitteilen, etwas über andere mitteilen; er will mit seinem öffentlichen Schreiben etwas zu einer öffentlichen Angelegenheit machen.

Ist das schon das, was man „kreatives Schreiben“ nennt?
Nein. Kreatives Schreiben vermittelt Methodik und Techniken des Schreibens, schult die Ideenfindung. Es ist gewissermaßen die Therapie gegen die Angst vor dem weißen Blatt.

Wie kann man überhaupt „in Gruppe“ schreiben?
Die Gruppe kann Anregungen vermitteln, zu Reflexionen inspirieren. Dort kann man kleinere Texte oder Textauszüge vortragen und darüber diskutieren. Natürlich braucht, wer texten will, den berühmten Kuss der Muse und dafür die richtige Tages- oder Nachtzeit. Oft vollzieht sich das im stillen Kämmerlein oder anderen Refugien. Man kann nur schreiben, wenn sich der Drang zum Schreiben einstellt. Wie, wo und wann dies geschieht, das ist wohl bei jedem anders. Umso schöner ist es dann, den Text in der Gruppe „auszuprobieren“, und für die anderen dort, etwas zu hören, was erst- und bisher einmalig ist, etwas ganz, ganz Neues.

Welche Rolle spielt für Schreibende eine „Werkstatt“?
Der Name sagt es eigentlich schon: Das ist ein Ort, an dem man sein Handwerk erlernen, üben, pflegen und ausbauen kann; wo man produktiv ist und vieles ausprobieren, für sich Neues entdecken kann; wo ein jeder ernst nimmt, was einer tut.

Erzählen Sie etwas über die Atmosphäre Schreibender untereinander?
Die ist sehr offen. Alle fühlen sich wohl und lassen sich inspirieren, fragen: „Ich möchte von deinem Text noch dies und das wissen.“ Das ist eine durchaus kritische Inspiration, die durch gesunde Konkurrenz ergänzt wird. Wenn einer was Tolles geschrieben hat, ziehen die anderen nach. Man lernt, sich einzuordnen und den eigenen Stil zu finden: Was passt zu mir?

Was ist für Schreibende als Erfolg zu werten – Selbstbestätigung, öffentliche Lesung, Aufnahme in eine Anthologie, Preise…?
Öffentlichkeit auf alle Fälle und öffentlicher Erfolg. Fast alle P12-Mitglieder nehmen an Lesungen teil, viele konnten sich schon über Preise freuen. Aber etwas anderes erscheint mir noch wichtiger, die Selbstfindung durch Schreiben. Wenn einer Antworten  auf die Fragen findet oder ihnen näherkommt: „Wer bin ich? Wo komme ich her? Was ist in mir angelegt? Was kann ich am besten? Was will ich?“, dann ist er ein ganz schönes Stück in das Leben hineingewachsen. Dennoch: Ein jeder sollte, zumindest gelegentlich,  mit seinem Schreiben die Öffentlichkeit suchen. Wer dort einen eigenen Text vorträgt, nimmt sich selbst ernst und stellt sich einer Bewertung. Daran, wie die ausfällt, misst sich auch der Wert unserer Arbeit als P12.

Bemühen wir ein wenig die Statistik: Welche Zahlen hat P12 aufzuweisen?
Die wichtigste: Die Schreibwerkstatt ist 25plus Jahre alt.

25plus, wie das?
Sie wurde 1981 gegründet. Gabriele Warchold leitete die Schreibenden Pioniere im damaligen Pionierhaus an und leistete hervorragende Arbeit. Als sich die Zeiten wendeten, gelang es ihr, die Werkstatt hinüberzuretten.

Eine Pioniertat aus dem Pionierhaus gewissermaßen?
So kann man es wohl nennen. Die Kulturwerkstatt P12 ist heute eine städtische Einrichtung. Viele Schreibende in anderen Städten würden sich das für sich und ihre Kinder wünschen. Nun zu aktuellen Zahlen: Regelmäßig arbeiten etwa 50 Schüler in der Literaturwerkstatt. Bei unseren zweijährlichen Literaturwettbewerben zählen wir zwischen 200 und 300 Einsendungen; etwa 80 finden Eingang in die danach zu veröffentlichende Anthologie.

Haben P12-Mitglieder über Cottbus hinaus Aufsehen erregt und Erfolge erzielt?
Celine König war 2015 Teilnehmerin am Treffen junger AutorInnen. 2016 waren fünf unserer jungen Leute im Internationalen Haiku-Wettbewerb erfolgreich.

Welche nächsten Auftritte und Vorhaben stehen an?
Am 18. November lesen unsere Achtjährigen in der Stadt- und Regionalbibliothek vor, was für „Geschichten aus dem Tierpark“ ihnen eingefallen sind. Ich kann versprechen, Mensch und Tier werden an den Einfällen ihre Freude haben. Am 13. Dezember veranstalten wir im Gladhouse die Vernissage zu den Ergebnissen unseres Sommerlagers Worpswede. Dieses hatte ein anspruchsvolles Thema. Die Zwölf- bis Neunzehnjährigen beschäftigten sich in Wort und Bild mit Fragen wie „Wie viel Freiheit braucht die Kunst? Wie viel Freiraum brauchen wir?“ Ich denke, dass die Ergebnisse zum Nachdenken und Diskutieren anregen.

Spielt in der Arbeit der Literaturwerkstatt „große Literatur“ eine Rolle?
Aber natürlich. Brecht, Rilke, Thomas Mann, Michael Ende – solche Dichter und Schriftsteller sind bei uns immer zugegen, indem sie im Gespräch sind, auch Philosophen wie Schopenhauer und Rousseau. Es ist damit wie mit Arzneimitteln: Man muss das Alter dessen, der sie konsumiert, und die richtige Dosierung beachten. Dann nutzen sie und bereichern das Können und die Persönlichkeit des Schreibenden. Auch das ist wie in der Medizin: Nicht jeder spricht auf ein Medikament/sprich: einen Namen an. Ich bin gegen Geniekult und -verehrung. Nicht jeder muss Goethe lieben. Die Weltliteratur hält ja so viele Geschenke bereit. Da es uns um den Raum für eigene Gedanken, die eigene Stimme, die eigene Sicht auf die Welt geht, brauchen wir auch die eigenen Lieblingsautoren, Vorbilder, Wegweiser.

Reden wir zum Schluss noch mal vom eigenen Lesen. Welche Bücher lassen Ihnen gegenwärtig keine Ruhe, bevor Sie sie zuklappen können?
„Zwei Herren am Strand“ von Michael Köhlmeier über die wunderbare, wahrscheinlich fiktive Begegnung von Winston Churchill und Charlie Chaplin; „Wer die Nachtigall stört“, das ergreifende Südstaaten- und Kindheitsepos der Amerikanerin Harper Lee; die Schiller-Biografie von Rüdiger Safranski, die erfreulich wenig von Denkmal an sich hat; Durs Grünbeins interessantes Dresden-Buch „Die Jahre im Zoo“ und einige Bücher über Yoga.

Das Gespräch führte Klaus Wilke

Foto: © Kulturwerkstatt P12

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Ein Kommentar

  1. Sie haben die Fragen im Gespräch sehr beeindruckend beantwortet. Danke für die schönen Impulse.
    Angesichts Ihrer Buchinteressen möchte ich einen Tipp abgeben: ein Buch, das Ihnen bestimmt gefallen wird; scheinbar harmlos, doch mit großem Tiefgang. Philosophisch, märchenhaft, leicht verdaulich und doch anspruchsvoll für Menschen, die auch zwischen den Zeilen zu lesen verstehen.
    Man könnte sagen, es ist ein Chamäleon-Roman, der sich perfekt an seinen Leser anzupassen scheint, Romantic-Fantasy oder literarisches Märchen, philosophische Grundmotive oder andere Wirklichkeiten. Frauenroman oder Gesellschaftskritik. Jeder findet darin, was er sucht oder zu finden bereit ist.
    Das Buch heißt: „Das Geheimnis der verschwundenen Frauen“ – von der Autorin: Mara Stein
    Trauen Sie sich einen Blick hinter die Fassade dieses harmlos daherkommenden Romans, der es dann doch mehr und mehr in sich hat.
    Weg-weisende Grüße
    vom Navigator

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