Quarantäne – das ist wie „lebenslänglich” Was für ein Roman. Jeder Satz verwandelt sich in Bilder unserer Tage! Der Leser ist gebannt. Hat doch der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk ein erstaunlich hellsichtiges Buch veröffentlicht: „Die Nächte der Pest” (Hanser, 694 Seiten, 30 EUR). Der Nobelpreisträger für Literatur 2006 erzählt von einer Epidemie auf der fiktiven Mittelmeerinsel Minger, die sich 1901 zugetragen haben soll. Er hatte es 2016 zu schreiben begonnen, als noch niemand unsre heutigen Pandemiesorgen und -probleme ahnen konnte. Was aber Leute, die sich – wie Pamuk – in der Geschichte und dem Wesen der Menschen auskennen, wissen, ist,…
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„Sie kamen wie ein Heuschreckenschwarm” Den Literatur-Nobelpreisträger 2021, den aus Sansibar stammenden Abdulrazak Gurnah, kannte hierzulande vor der Preisverkündung kaum einer. Zwar waren vor Jahrzehnten einige Romane von ihm veröffentlicht worden, aber sie hatten keinen Nachhall. Nun kann man „Das verlorene Paradies” (Penguin, 336 Seiten, 25 EUR) genüsslich lesen. Ja, genüsslich; denn die 1998er Übersetzung von Inge Leipold (1946 – 2010) weist den fernen Romancier als einen ausgezeichneten Stilisten aus. Der Roman erzählt von einem zwölfjährigen Jungen namens Yusuf, den sein Vater, um hohe Schulden abzutragen, bei einem Kaufmann als billige Arbeitskraft verdingt. Das war kurz vor 1900. Der Kaufmann…
Geschichten aus der Mitte der Welt Wer leidenschaftlich gärtnert, leistet seinen Beitrag, nicht nur aus dem Boden etwas hervorzuholen, sondern ihn zu gestalten; er bestimmt mit, wie unsere Umwelt aussehen soll. Eine gärtnernde Schreiberin, eine erfolgreiche Schriftstellerin ist Helga Schütz. Auch in ihrem neuen Buch mit stark autobiografischen Zügen ist das zu bemerken: „Heimliche Reisen” (Aufbau, 370 Seiten, 24 EUR). Ihre sprachlich glänzenden Miniaturen, die man einzeln als willkommene mehr oder weniger kurze Erzähltexte oder wie einen Roman lesen kann, lehnen sich an ihren eigenen Lebensweg von der schlesischen Abkunft, ihrem Geburtsort, über das brennende Dresden 1945, ihr Filmstudium in…
Hummer in Wasser, langsam erhitzt Ich bin ja kein ausgesprochener Thrillerfan, aber wenn der südafrikanische Kripo-Ermittler Bennie Griessel ruft, einen Buchdeckel zu öffnen, bin ich bereit. Nicht anders war es auch beim jüngsten Roman seines literarischen Schöpfers Deon Meyer „Todsünde” (Rütten & Loening, 474 Seiten, 20 EUR). Die Leidenschaft dieses Detektivs, mit der er die Tritte in unvermeidliche Fettnäpfchen seiner Vorgesetzten wagt, sein verbissener Widerstand gegen die verbreitete Korruption, aber auch der Kampf gegen seine trockengelegte Alkoholkrankheit machen ihn zu einem ganz andersartigen Teufelskerl als seine Kollegen in einschlägigen Romanen. Meyer ist wie immer ideenreich und spart nicht mit überraschenden…
„Ich sag’s ja, typischer Indianerhumor” Louise Erdrich erzählt in ihrem neuen Roman „Der Nachtwächter” (Aufbau, 488 Seiten, 24 EUR) von einer Vertreibungskampagne in den USA der 50-er Jahre, in der indigene Bevölkerung Grund und Boden und Existenz verloren. Sie nutzt dafür Archivüberlieferungen und schriftliche Dokumente aus der eigenen (deutsch-amerikanischen indianischen) Familie. Diese Authentizität ergänzt sie durch sensibel erfundene Figuren, die sind in eine Szenerie hineinsetzt, die die Lebenssituation dieser Randgesellschaft facettenreich und humorvoll abbildet. Das ist Erdrich so bewusst, sagt doch eine ihrer Figuren: „Ich sag’s ja, typischer Indianerhumor.” Man lasse sich von diesem Titel nicht irreführen; es ist kein…
Viermal gefesselt, das lässt einen nicht los. Diese Erfahrung kann man mit guter, eben „fesselnder” Urlaubslektüre machen. Das trifft – immer in irgendeiner Weise – auf die folgenden vier Bücher zu. Zum Beispiel auf „Die Linie zwischen Tag und Nacht” von Roland Schimmelpfennig (S. Fischer, 205 Seiten, 22 EUR). Roland Schimmelpfennig ist Deutschlands meistgespielter Theaterautor der Gegenwart, der immerhin zum dritten Mal auf Prosa umgestiegen ist. Im Landwehrkanal Berlin treibt eine junge Frau tot, im Brautkleide und mit Rosen im Haar. Tommy, ein suspendierter Polizist und einst erfolgreicher Drogenermittler, zieht sie aus dem Wasser. Ihm selbst steht das Wasser bis…
Die Erde einmal von außen sehen Landolf Scherzer ist 80 geworden. Vor zwei, drei Wochen. „Weltraum der Provinzen. Ein Reporterleben” (Aufbau, 280 Seiten, 22 EUR) heißt ein Interviewbuch von Hans-Dieter Schütt aus diesem Anlass mit ihm. Die Biografie des wunderbaren Reporters, der seit ein paar Jahrzehnten in Suhl seine Heimat gefunden hat, weist auch einige Anmerkungen zur Lausitz auf. Hier – in Forst – hat Scherzer einige Jahre mit seinen Eltern gelebt. Er hat in der Jugendredaktion der Lausitzer Rundschau volontiert. Nach seinem Studium, von dem er aus politischen Gründen entfernt worden war, und einer kurzen journalistischen Zeit beim „Freien…
Spannender Schachroman von Christine Gransalke Passionierte Schachspieler, die zugleich eine Leidenschaft zur Literatur pflegen, wissen, dass ihr Sport zum Beispiel durch Stefan Zweigs „Schachnovelle”, Icchokas Meras` „Remis für Sekunden” und Thomas Glavinics „Carl Haffners Liebe zum Unentschieden” hervorragende Gestaltung gefunden hat. Eine, die Schach und Literatur liebt, ist Christine Gransalke, Lausitzer Autorin aus Drebkau, die zuletzt mit „Ambrosia. Die Heimsuchung von Narrenstedt” den Roman einer gräßlichen, gefährlichen Unkrautpflanze veröffentlicht hatte. Wer den kennt, kann auch von einem Schachroman aus „ihrer Feder” nicht die behäbige Langsamkeit des königlichen Spiels erwarten. Wie man weiß oder leicht bei wikipedia nachlesen kann, ist die…
„Die Männer halten ja nicht so lange” Von ihrem Debütroman „Das Geisterhaus” an bis zu „Dieser weite Weg” hat Isabel Allende Romane geschrieben, die ihre Leserinnen und Leser begeistert haben. Ihre Finger gaben dem Computer Texte ein, die von sozialem und politischem Engagement geprägt waren und deshalb (oder trotzdem?) große Unterhaltungseffekte erzielten. Ihr neuestes Buch „Was wir Frauen wollen” (Suhrkamp, 184 Seiten, 18 EUR) ist kein Roman, sondern eine Sammlung von kurzen Texten über die Frauenbewegung und den Feminismus. Ein Thema, was sie seit frühester Jugend beschäftigt. So werden philosophische, politische und soziale Belange kurzweilig mit Erinnerungen, Erlebnissen, Episoden flankiert.…
Kristian Pechs „Platanenwolken” mit Grafiken von Hans Scheuerecker Gedichte haben eigentlich keine Konjunktur. Wo Verständigungen per SMS geschehen oder schaumfeuchte Hassparolen über Social Media versendet werden, da verschließen sich Ohren vor Rhythmus, Wohlklang, fantasievollem Bildreichtum. Verse gelten als altmodisch, anstrengend, abgehoben. Da regiert Heute-Ton: „Kann der nicht kurz und verständlich sagen, was er will?” Schade, sage ich. Anlass dafür ist Kristian Pechs neuer Gedichtband „Platanenwolken”. Es gibt darin einen Text mit dem Titel „Ermunterung”. Es geht darum, sich den schönen Dingen des Lebens zuzuwenden. Die das tun „sind auf den geruch vollblütiger frauen aus und frischer gemälde und druckfeuchter bücher”.…