Dorit Baumeister – Architektin, Kunstaktivistin und Citymanagerin aus HoyWoy im hermann-Gespräch

Sie ist Hoyerswerdaerin des Jahrgangs 1963, entwarf als Architektin u.a. die neue KuFa, ist als Stadtschrumpfungsexpertin und Künstlerin im Fachbeirat der Sächsischen Kulturstiftung und der AG Kultur des Tourismusverbandes Lausitzer Seenland gefragt und arbeitet zudem als Teilzeit Citymanagerin ihrer Heimatstadt: Dorit Baumeister im „hermann“-Gespräch über ihre Stadt im langwierigen Strukturwandel.

Wenn Sie Ihre Jugend in Hoyerswerda in drei Aspekten zusammenfassen sollten: Welche wären das?

Also Jugendzeit: viele Konzert- und Discobesuche samt 1., 2., 3. Liebe, stundenlang Radio Luxemburg hören, dann das Zeichenbrett meines Vaters, ein Architekt in meinem Zimmer. Ich schlief daher oft bis tief in die Nacht bei grellen Neonlicht, da mein Vater dort nachts arbeitete.

Dorit Baumeister

Dorit Baumeister: Architektin, Kulturaktivistin und Citymanagerin

Für ein neues HoyWoy?

Wir hatten schon Diskussionen über die Neustadt, mir war es zu monoton. Ich las „Franziska Linkerhand“ mit 14 das erste Mal und fand mein damals unreifes Stimmungsbild bestätigt. Aber an sich hatte ich eine gute Zeit in Hoywoy, aber meine Sehnsucht nach Mehr und Anderem machte mir früh klar: bleiben ist keine Option.

Sie haben sich intensiv mit der Schrumpfung von Städten befasst: Ist es nur Fluch oder kann es auch Segen sein?

Oh je, was für eine große, für mich fast zu komplexe Frage! Aus heutiger Sicht ein Segen, denn wo hätte ich hautnah über die Schrumpfungs- und Transformationsprozesse so viel erfahren und lernen können? Wo hätte ich mich so vielen, spannenden Herausforderungen im Umgang mit den Prozessen stellen können? Wo hätte ich meinem Beruf als Architektin den „Beruf“ einer Kulturaktivistin hinzufügen können? Wo hätte ich begleitend dazu so viele, spannende, unterschiedliche Menschen kennengelernt – und das nicht nur in Hoywoy sondern deutschlandweit. Mich hat diese Stadt gefordert und verändert. Komisch daran: Die Suche nach dem „Anderem“ in meiner Jugend scheine ich hier teilweise gefunden zu haben.

Wie denn das?

Mein 2003 injiziertes stadtsoziologisches Kunstprojekt „Superumbau“ stellt für mich dabei persönlich eine entscheidende Wende dar. Es war ein kraftvoller Impuls, wenn auch in Hoywoy damals stark pro und contra diskutiert wurde. Aber dies nur lokal, national wie international gab es dafür nur Anerkennung. Er verhalf Bürgern sich aus der sprachlosen Schockstarre als einer Art Scham über die Entwicklung zu lösen, welche durch die Deindustrialisierung, die hohe Arbeitslosigkeit, die enormen Wegzüge, die gebrochenen Biografien et cetera vor allem mental eingetreten war. Der Dialog in der Stadt, das Hinschauen der Stadtgesellschaft auf den realen Zustand war endlich eröffnet!

Aber wie pulste das dann denn nachhallend weiter?

Im Nachgang hat dieser Impuls eine unglaublich erfolgreiche Welle von künstlerischer und kultureller Auseinandersetzung aus den Reihen der KuFa mit angeschubst. Heute gehört diese Kultur des Umgangs zu unserem Selbstverständnis, sie hat sich verstetigt und sucht deutschlandweit ihresgleichen. Sie hat das Lebensgefühl, das Image der Stadt spürbar positiv mitverändert. Sie stiftet vielen Menschen soziale Nähe untereinander, Identität, Stolz und Selbstbewusstsein.

Naja, die Nachwendegeschichte von Hoyerswerda ist schon ein Wahnsinnsritt. Schaut man auf die harten Fakten, ist es kaum zu glauben. Die eigentliche Stadt hat drei Fünftel ihrer Einwohner verloren, wir sind grauhaarig geworden, hier wird mehr als dreimal so viel gestorben wie geboren, wir steuern auf eine hohe Altersarmut zu – und die gebrochenen Biografien gehen in die Rente.

Aus Dresdner Fernsicht empfinde ich HoyWoy eher als progressiv?

Ja, das Klima der Stadt fühlt sich in vielen Bereichen mobil, kreativ, neugierig, anpackend, hoffnungsvoll an. Viele Menschen geben ihre Stadt nicht auf. Warum auch? Sie verfügt über großartige weiche Standortfaktoren von ungewöhnlicher Vielfalt und Qualität. Sie hat Potentiale, welche sich nicht zuletzt aus dem Engagement vieler Menschen in ganz unterschiedlichen Bereichen speisen.

Daher ist Ihr Verhältnis zur Stadt als Architektin ist garantiert ein ambivalentes …

Als Jugendliche zog mich die Sehnsucht nach einer „richtigen“ Stadt weg – vor vor allem meine Berliner Jahre haben mich sehr geprägt. Nach knapp elf Jahren kam 1992 der Rückzug nach Hoywoy und der Einstieg ins Architekturbüro meines Vaters. Ich legte die Vorbehalte teilweise ab und erkannte den Pilotcharakter der Stadt – in der Hoffnung auf Mitgestaltung der Neustadt im Geist der Moderne, welche sich bis Anfang der 2000er Jahre nicht erfüllte. So blieb die Beobachtung und die kritische Begleitung der Stadtentwicklung, aber mein Verhältnis zur Stadt und ihren Menschen wurde deutlich intensiver. In der Kulturfabrik fand ich und meine Familie das soziale, kreative, verrückte, freiheitsliebende und progressive Umfeld, hier bot sich Raum für Bewegung und eigenverantwortliches Handeln als aktives Mitglied.

Was umfasst alles Ihre Arbeit als Citymanagerin?

Dorit Baumeister und Meisterschülerin Wiebke Herrmann

Dorit Baumeister lockt auch Künstlerinnen wie Meisterschülerin Wiebke Herrmann mit „Flügge“ in „ihre“ Kulturfabrik
Foto: Andreas Herrmann

Mit meinem Mitstreiter Frank Graumüller kommen wir zusammen auf eine ganze Stelle. Unsere Arbeit beschränkt sich fördertechnisch bedingt auf die Zentrallage der Altstadt. Man könnte kurz sagen, wir sollen für die Vitalisierung des Altstadtzentrums als Handels- Gastronomie und Dienstleistungsstandort sorgen. Wir entwickeln dafür temporäre, größere, ziemlich umfangreiche Rahmenprojekte, welche die Attraktivität, die Aufenthaltsqualität, die Vielfalt der Angebote in der Innenstadt deutlich anziehender für mehr Besucher erhöhen. Wir bilden dafür komplexe, kommunikationsintensive Netzwerke. Wir nutzen dabei die Potentiale der Akteure vor Ort und erzeugen mit ihnen einen gemeinschaftlichen Auftritt für ein Handeln aus eigener Kraft und Verantwortung. Wir sorgen für eine ordentliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Wir werben um neue potentielle Partner für belebendes Gewerbe indem wir uns interessantund aktiv aufstellen. Nach dem Motto: hier geht etwas!

Außerdem betreuen wir einen Verfügungsfond für investive und nicht investive Maßnahmen zur Belebung der Innenstadt. In Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung betreuen wir zudem das Projekt „Testladen“ zur Leerstandsbelebung.

Reicht das auf Vereinsebene oder sehen Sie da andere noch mehr in der Pflicht?

Meinen Sie das Citymanagement? Die Trägerschaft durch den Gewerbering Stadtzukunft e.V. finde ich richtig und gut. Dadurch können wir neutraler zwischen den Interessen der Gewerbetreibenden, der Kulturpartner, der Stadtverwaltung, der Politik vermitteln. Entscheidend dafür ist die Bildung und Pflege eines sehr umfangreichen, belastbaren Netzwerkes, die Entwicklung einer funktionierenden Kommunikationskultur. Perspektivisch wäre natürlich eine Ausweitung auf die Neustadt wünschenswert.

Was sind denn Ihre nächsten konkreten Ziele?

Als Citymanagerin: Erfolg unseres dreimonatigen Sommerprojektes „Boulevard Altstadt“. Nach einem kleinerem Vorläufer 2018 haben wir dieses Jahr das Gebiet ausgeweitet. Durch die Einpflege des niederländischen Stadtplanungsmodells „share space“ begibt sich das Geschäftsleben samt Handel und Gastronomie wieder nach draußen, neue Angebote kommen hinzu, so eine Strandbar vor einem Friseursalon, ein Biergarten vor einer Fleischerei, Sommerlounge auf einem unbelebten Platz. Viele Gewerbetreibende steuern Sonderaktionen und kleine Kulturbeiträge zu. Das Citymanagement steuert eine übergreifende Straßendekoration mit Pflanzbotschaftern, Straßenhängern, einheitlichen Sonnenschirmen dazu bei. Es organisiert kulturelle Begleitungen wie Straßenmusik, musikalischen Schaufensterrundgang, kulturelle Belebung eines historischen Postschalterraumes und übernimmt die Öffentlichkeitsarbeit. Besonders hervorzuheben ist die Aktion „Neue Stadtmöbel“ zur funktionalen und ästhetischen Aufwertung der Innenstadt. Die Finanzierung von 22.500 Euro erfolgt je zur Hälfte durch Spenden aus der Stadtgesellschaft und aus Fördermitteln.

Kann man den Neubau der Kulturfabrik als echtes soziokulturelles Zentrum als eine Art Vermächtnis für Ihre Heimatstadt sehen?

Ja, es ist für mich und meinem Team der wichtigste Bau, den wir in der Stadt realisiert haben. Neben der architektonischen Fassung ist es die inhaltliche Antwort auf die Bewältigung des Strukturwandels. Ein Bürgerhaus für Alle – zur kulturellen Bildung, gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Platz für soziale Begegnungen sowie als Denk-, Experimentier- und Handlungsraum.

Sie sehen HoyWoy als Avantgarde für den nächsten Strukturwandel?

Ausstellung

Dorit Baumeister stemmte als Architektin mit ihrem Team den Neubau der KuFa.
Foto: Andreas Herrmann

 

Wenn man 30 Jahre Erfahrungen mit radikalen Transformationsprozessen hinter sich hat, ist man automatisch besser aufgestellt und durchtrainierter für weitere große Herausforderungen. Viele Ostdeutsche erkennen sich heute mit Stolz und Selbstbewusstsein als entscheidendes Potential für eine nachhaltige Option auf Zukunft an. Vieles von dem, was hier aus eigener Kraft experimentell entstanden ist, kann Vorbild sein für andere Gebiete.

In HoyWoy haben wir zum Beispiel neue, erfolgreiche, ungewöhnliche Formen von Bürgerbeteiligung entwickelt. Darüber werden nicht nur viele Bürger erreicht, sie bringen sich darüber vor allem ein und nehmen Einfluss, Und das zwischen den Wahlurnen und ohne sich in Parteien zu organisieren. Das sind für mich zeitgemäße Formen einer demokratischen Teilhabe für eine moderne Stadtentwicklung, welche das kreative, vielschichtige Potential einer Gemeinde gewinnbringender nutzen. Gebiete, denen nach jahrzehntelanger verstetigter Entwicklung ebenfalls existenzielle Grundlagen wegbrechen. Und ja, die Ostdeutschen kann man nur als Avantgarde im Umgang mit radikalen Veränderungen bezeichnen!

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten …

Mehr Zeit für Privates, mehr junge, kreative Leute für Hoyerswerda und Hoywoy bleibt spannend …

Interview: Andreas Herrmann

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