„Wir haben uns an unserer Musik selbst aufgerichtet“

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David und Rachel Hermlin sind Mitglieder von The Swingin’ Hermlins, das in der Pandemie globale Bekanntheit erlangte. Im Interview erzählen die Kinder des kenianisch-deutschen Ehepaars Joyce und Andrej Hermlin darüber

The Swingin‘ Hermlins sind seit dem März 2020 global ein Begriff durch die täglichen Livestream-Konzerte. Wie kam es dazu?

Rachel: Wir hatten am 10. März 2020 einen Auftritt in der Berliner Philharmonie, nach dem wir erfuhren, dass wegen eines Lockdowns bald alle Clubs und Konzerthäuser schließen würden. Obwohl sich das abgezeichnet hatte, waren wir geschockt.

David: Ich hatte am 14. März ein letztes Konzert zusammen mit meinem Vater und einigen anderen Musikern in einer Musikkneipe. Das war so fantastisch, dass wir sagten, wir müssten das in irgendeiner Form weiterführen. Zunächst dachten wir an Hauskonzerte mit wenigen Gästen, aber die wären natürlich nicht erlaubt worden. Unsere Mutter hatte dann die Idee, warum nicht einen Livestream mit dem Handy machen. Am 15. März haben wir begonnen und gleich 15.000 Zuschauer erreicht. Mit dabei waren auch ein paar Musiker, die wir kurz zuvor bei einen Konzert kennengelernt hatten. Unter anderem ein Rapper aus Burundi, der durch den Lockdown in Berlin fest saß.

Wollten Sie mit den Konzerten ein paar Euro dazu verdienen oder vor allem gegen die eigene Langeweile anspielen?

Rachel: Die Streams sind generell kostenlos, aber die Zuschauer dürfen auch etwas spenden. Uns ging es darum, Freude zu bereiten und die Leute bei Laune zu halten, uns eingeschlossen. Wir dachten ja anfangs, das dauert alles nicht lange. Da haben wir uns getäuscht. Nun sind wir wohl die einzige Band in Deutschland mit so vielen Auftritten. Wenn wir reguläre Auftritte hatten, haben wir die ja auch immer mit dem Streaming verbunden und das Publikum einbezogen.

Zu Beginn Ihrer Hauskonzerte haben Sie gesagt: „Wir blühen in der Krise auf“. Erleben Sie die Krise als Fluch und kreativen Segen zugleich?

David: Wir haben schnell gemerkt, dass die Krise lange anhalten wird und wollten nach vorne schauen. Einfach nicht in Schockstarre verharren. In der Krise habe ich zum Beispiel so viele Songs gelernt wie nie zuvor. Wir hatten über die Jahre ja immer die gleichen Stücke gespielt, nun hatten wir jeden Tag ein paar neue eingeübt. Es herrscht ja kein Mangel an Swingtiteln aus der Zeit zwischen den 20er und 40er Jahren. Dazu habe ich erstmals auch eigene komponiert. Auch meine Musikerkollegen haben eigene Arrangements geschrieben, jeder in unserem Team war sehr motiviert.

Klingt fast euphorisch, gar nicht nach Krisenstimmung.

David: Bitte kein Missverständnis: Die Beschränkungen haben gerade die Musiker und Künstler extrem getroffen. Aber „Hätte hätte Fahrradkette“ hilft uns ja nicht. Wir haben uns lieber an unserer Musik selbst aufgerichtet. Swing ist zeitlos, mit ihm kann man jeden erreichen. Das war ja schon in der Weltwirtschaftskrise in den Dreißigern so, wo die Swingmusik vielen verzweifelten Menschen Hoffnung gab.

Rachel: Wir haben für alle möglichen Leute gespielt, für Obdachlose in einer Suppenküche und für Menschen im Altersheim. Ich finde, wir müssen in der Krise füreinander da sein, sonst stehen wir die nicht durch.

Welches Publikum haben Sie bei Ihren Livestreamkonzerten?

David: Da hat sich mittlerweile eine feste Communitiy gebildet. Sie reicht von Amerika bis China, von Kenia und Uganda bis Venezuela und Zypern. Die Leute schreiben sich untereinander, kommentieren unseren Auftritt, tauschen sich aus. Es ist eine richtige Swinggemeinde, die sich sogar einen eigenen Namen gegeben hat: Hermlinville, das Hermlindorf. Das hat uns veranlasst, monatlich eine „Hermlinville Times“ herauszugeben. Die Zeitung verkaufen wir unter anderem bei unseren Konzerten.

Was steht in der Zeitung?

David: Texte von Freunden. Zum Beispiel von Erik Kirschbaum, einem Autor der Los Angeles Times, oder vom Schriftsteller Volker Braun. Es gibt Artikel über historische Gebäude, die mit Swing zu tun haben, Bilder von unseren Konzerten oder es werden Musiker unserer Band The Swingin’ Hermlins vorgestellt.

Sie sind beide früh im Swing Dance Orchestra Ihres Vaters aufgetreten. Warum haben Sie sich darauf eingelassen, wo sich Künstlerkinder normalerweise eher von den Eltern emanzipieren wollen? Sie pflegen sogar die Swingmode nach dem Vorbild Ihres Vaters.

Rachel: Bis zu meinem 14. Lebensjahr konnte ich mit Swing nicht viel anfangen. Als ich mal bei meinen Verwandten Kenia war und mich zu Hause sehr langweilte, habe ich mir notgedungen DVDs mit Filmen aus den 30er Jahren angeschaut, darunter „Swing Time“ mit Ginger Rogers und Fred Astaire. Ich fand total cool, wie sie tanzten, auch die Outfits. Ich fing vorm Fernseher gleich an zu steppen und kam auf den Geschmack. 2018 hat mich mein Vater gefragt, ob ich nicht mit dem Orchester „I Saw Mommy Kissing Santa Claus“ singen würde, was zuvor immer David als kleiner Junge machen musste. Danach habe ich auch in der Schule immer mal gesungen und Swing hat mich in seinen Bann gezogen. Vor allem dieses irre Gefühl auf der Bühne zu stehen und eine Big Band im Hintergrund zu haben.

David: Bei mir fing es sehr früh an. Wenn wir lange Strecken in den Urlaub fuhren, habe ich im Auto Benny Goodman mit gehört oder die Soulsängerin Mahalia Jackson. Bereits als Dreijähriger war ich von unserem Bandschlagzeuger fasziniert und die Tanzszenen in den Fred-Astaire-Filmen haben mich ebenfalls begeistert. Später habe ich Michael Jackson entdeckt und mir selbst das Tanzen beigebracht. Songs schrieb ich dann auch noch.

Ihr Vater sagt, Sie seien inzwischen so was wie der musikalische Direktor bei The Swingin’ Hermlins. Darüber hinaus leiten Sie noch Ihr eigenes David-Hermlin-Trio. Dabei hätten Sie vor zehn Jahren sogar als Popsänger in Kenia Karriere machen können. Warum wurde nichts daraus?

David: Ach, das war eine lustige Episode. Der kenianische Produzent Dr. Eddie war an mich herangetreten. Er hat mir Songs geschrieben und ich habe zum Video die Choreografie gemacht. Das war eher so lustiger African Beat und lief auch im Radio. Plötzlich wurde ich in Kenia bekannt, auch durch Interviews. Wenn ich mich auf eine Popkarriere dort konzentriert hätte, wäre vielleicht was gegangen, aber ich habe mir meine Zukunft nicht in Kenia vorgestellt. Ich wollte wieder Schlagzeug spielen und das hat mich mehr zum Swing geführt. Auch modisch, weil alle meine Swinghelden immer auch elegant gekleidet sind.

Mit Swing verbinden sich Eleganz und Stil, seine Geschichte ist aber auch geprägt von schlimmen Dingen. Bei den Nazis galt die Musik als entartet. Beschäftigen Sie sich mit solchen gesellschaftspolitischen Hintergründen?

David: Man kann die Swingmusik nicht von ihrer Historie trennen. Mich hat immer interessiert, was hinter den Aufnahmen steckt. Wir haben ja auch ein Konzertprogramm „Bei mir bist du schön – Die Juden im Jazz“, das an jüdische Protagonisten des Jazz erinnert.

Auch im Ursprungsland Amerika ist Swing vielfach mit Diskriminierung und Rassismus verbunden.

Rachel: Manchmal kann man das gar nicht glauben. Swing hört sich so cool an und wirkt so glamourös, aber in der Realität sah das früher oft ganz anders aus. Als Billie Holiday 1938 von Artie Shaw als eine der ersten schwarzen Sängerin für eine weiße Band engagiert wurde, sorgte das für einen Skandal. Sie selbst erlebte große Demütigungen. Während die weißen Bandmusiker im New Yorker Lincoln Hotel zwischen dem Auftritt schön im Restaurant essen konnten, musste sie in der Küche sitzen und warten, bis sie wieder dran ist.

Interview: Gunnar Leue

Termin:

Konzert The Swingin’ Hermlins am 21. August, Senftenberg Amphitheater

 

David und Rachel Hermlin sind die Kinder des kenianisch-deutschen Ehepaars Joyce und Andrej Hermlin. Früh wirkten in dem von ihrem Vater gegründeten Swing Dance Orchestra mit, das momentan etwas abgespeckt als The Swinging Hermlins tourt.

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