Intendant Stephan Märki über die Corona-Defizite und die künftigen Vorhaben des Staatstheaters Cottbus
Seit August 2020 ist Stephan Märki Intendant und Operndirektor im Staatstheater Cottbus. Der 66-Jährige kam vom Konzert Theater Bern, das er von 2012 bis 2018 geleitet hatte. Er brachte von seinen Tätigkeiten als Intendant des Hans-Otto-Theaters Potsdam und als Generalintendant des Nationaltheaters Weimar ostdeutsche Erfahrungen mit. Im Gespräch mit dem „Hermann” zieht er Bilanz und gibt einen Ausblick für das Cottbuser Theater.
Vorbereitungs- und Übergabephase einberechnet, beginnt für Sie jetzt die dritte Spielzeit in der Lausitz. Corona machte eine planmäßige Bespielung unmöglich. Haben Sie es da nicht gelegentlich bereut, dem Ruf nach Cottbus gefolgt zu sein?
Nein, nie. Natürlich war dieses eine Jahr für Theaterleute das „unalltäglichste”, obwohl Theater nie alltäglich ist. Aber Corona hat ja nichts mit Cottbus zu tun. Das Staatstheater hat ein fantastisches Haus, tolle Ensembles und engagierte Mitarbeiter. Ich entdecke bei ihnen eine Demut vor der Kunst und einen Geist, der Widersprüche lösen und fruchtbar machen will. Darüber hinaus gibt es in Cottbus wahrlich eine Besonderheit, und das ist das Publikum. Die Bürgerschaft hat sich diese Stätte vor über hundert Jahren selbst geschaffen, es gibt also eine ganz andere historisch verankerte Identifikation mit dem Theater. Und natürlich spielt die DDR-Tradition eine Rolle, weil es damals eine gesellschaftliche Relevanz von Theater gab, wie sie im Westen nicht vorkam.
Wo immer Sie zu Worte kommen, reden Sie über das Publikum. Da denken Sie gewiss nicht (nur) an den Wirtschaftsfaktor, die Auslastung des Hauses und die Umsätze. Was bedeutet es Ihnen?
Die Identifikation mit dem Theater, die wir in der Coronazeit erlebt haben, war sensationell. Wir haben zwar alles versucht, um mit unserem Publikum in Kontakt zu bleiben, aber das war ja nicht leicht. Und doch ist niemand aus dem Förderverein ausgetreten, selbst die Zahl der gekündigten Abonnements hielt sich in Grenzen. Das hat uns ein ums andere Mal bestätigt, dass die Hälfte von Theater das Publikum ist, mindestens.
Wie verlief der Theateralltag unter Pandemiebedingungen, und was bedeutet Homeoffice für Künstler?
Theater ist das Gegenteil von Homeoffice. Es braucht das Miteinander, die interaktive Handlung, die Kommunikation. Theaterspielende müssen sich auseinandersetzen können. Da blieb in vielen Fällen nur das Instrument der Kurzarbeit. Für die Künstlerensembles erübrigt sich Homeoffice, weil sie üben, Texte, Partituren, Schrittkombinationen usw. lernen müssen. Viel davon geschieht laufend zu Hause, auch wenn kein Lockdown herrscht. Künstlertum ist wie Hochleistungssport: Training, Training, Training, das Talent und das Geniale ist die Voraussetzung dafür. Die Olympiade ist für uns die Premiere, und die fiel immer aus. Unter diesen Bedingungen die Motivation zu erhalten, war sehr schwierig.
Wie konnten Sie da überhaupt planen?
Wir haben in einem Jahr sieben Mal den Spielplan erstellt. Wir mussten Verträge mit Regieteams, Gastauftritte, Bauproben, Probenplänen berücksichtigen. Die Politik öffnete uns ständig nur Vier-Wochen-Fenster, wir planen jedoch zwei bis drei Jahre voraus. Wie man dabei ein Vier-Sparten-Haus führen soll, das steht in keiner Verordnung.
Der „Hermann” ist eine Art Kronzeuge für das unermüdliche Schaffen der Theaterkünstler. Wir stellten Monat für Monat geplante Inszenierungen vor, denen dann die „Olympiade”, die Premiere, (vorerst) versagt war. Wie viel davon konnte gerettet werden?
Ungefähr 80 Prozent. Dabei sind einige Inszenierungen in der Stille des letzten Jahres gewachsen und finden nun in veränderter Gestalt den Weg auf die Bühne. Die stellvertretende Operndirektorin Jasmina Hadžiahmetović nimmt den Titelhelden von Giuseppe Verdis vorletzter Oper „Otello” neu in den Blick und zeichnet eine ergreifende Seelenstudie des Menschen in Krieg und Frieden. Aber wir konzipieren und inszenieren noch immer mit Einschränkungen und versuchen, sie künstlerische zu nutzen. So agiert in „Otello“ das Orchester auf der Bühne, und der Chor nimmt wie schon in der Tschaikowski-Oper „Mazeppa” im 1. Rang Platz. Auch die Oper „L’Orfeo” von Claudio Monteverdi fand ihren Platz im neuen Spielplan, nachdem sie coronamäßig angepasst und deshalb von der Kammerbühne ins große Haus getragen wurde, um Abstände zu gewährleisten. Das Schauspiel „Umkämpfte Zone” von Armin Petras nach dem gleichnamigen Roman von Ines Geipel und „Mazeppa”, die wegen Lockdown und Platzbeschränkungen bisher nur wenige Zuschauer sehen konnten, werden wieder aufgeführt.
Gibt es aus dieser „unalltäglichen Zeit” etwas, was bleibt, neue Ideen, Vorhaben, Formate?
Wir haben eine Reihe von Online-Formaten kreiert, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Wir haben auf diesem Gebiet getan, was uns möglich war. Damit die Zeit überbrücken zu können, war uns immens wichtig. Es ist jedoch ein Spezialgebiet, das großen technischen Aufwandes bedarf. Aber Theater ist nun mal analog, funktioniert nur in der persönlichen Begegnung zwischen den Akteuren auf der Bühne und den Zuschauern im Theatersaal. Der digitalen Darbietung fehlt die dritte Dimension. Natürlich werden wir als Ergänzung weiterhin Online-Auftritte haben, aber nicht mehr mit der Bedeutung wie in der Corona-Zeit.
Schluss mit dem Rückblick. Nehmen wir die neue Spielzeit ins Visier. An anderer Stelle finden unsere Leser eine vollständige Premierenliste. Nennen Sie bitte aus Ihrer Sicht ein paar Höhepunkte, ein paar Appetitmacher aus den Spielplänen aller Sparten!
Sie werden verstehen, dass mir das schwerfällt. Es könnte leicht ungerecht wirken, die eine Inszenierung zu nennen, die andere nicht. Ganz privat und nicht als Intendant und Operndirektor: Ich bin gespannt auf die polnische Oper „Król Roger” von Karol Szynamnowskis großer Musik. Der polnische Regisseur Krystian Lada inszeniert dieses Stück, das in einer Umbruchszeit spielt, in der verschiedene Glaubenssysteme um Freiheit, Selbsterkenntnis, Toleranz und Glauben streiten. Ballettfreunde fiebern mit mir schon lange dem Abend „Strawinsky” entgegen, der nun endlich, nach dreimaligem Anlauf kommen kann. Die beiden Shakespeare-Inszenierungen im Schauspiel mit dem Lausitz Festival, der „Unendliche Falstaff” im Hangar 5 und „Richard 3” in einer Neufassung als Ein-Personen-Stück, sowie die „Dämonen“ des russischen Regisseurs Boris Yukhananov sind besonders, und auch Gerhart Hauptmanns „Der Biberpelz” in der Regie von Hausautor Armin Petras. Ich freue mich auch auf unsere Kooperation mit rbbKultur und Lausitzer Rundschau, die Gesprächsreihe „Brandenburgische Gespräche“, mit Jörg Thadeusz als Gastgeber und illustren Gästen, und last but not least im Konzert besonders auf einen kompositorischen Schwerpunkt: Wir spielen im dritten, fünften und sechsten Philharmonischen Konzert jeweils Stücke von der wahrscheinlich bedeutendsten Komponistin ihrer Generation, Sofia Gubaidulina – das erwarte ich mit großer Spannung und Vorfreude.
Das Theater hat sich nach einem Jahr einvernehmlich von seiner Schauspieldirektorin getrennt. Wann kommt endlich Ruhe in diese Sparte? Was sind die nächsten Schritte?
Wir haben die Nachfolge zusammen mit dem Ensemble gesucht und sind fündig geworden. Noch ist die Tinte unter den Verträgen nicht trocken. Deshalb nur so viel: Ein großartiges Dreierteam wird demnächst an die Arbeit gehen und die Schauspieldirektion übernehmen.
Vielen Theaterbesuchern war in den letzten Jahren der Spielplan des Schauspiels zu sehr von Experimenten, Stückentwicklungen, Performances und dgl. geprägt. „Alte und moderne” Klassik kamen zu kurz. Wird diese Sparte einmal zu einer Ausgewogenheit zurückfinden, wie sie im Musiktheater gang und gäbe ist?
Das Schauspiel unterscheidet sich da vom Musiktheater. Es sehnt sich oft nach einer anderen politischen, fast tagesaktuellen Heutigkeit. Das hat dann Auswirkungen auf die Form und ist manchmal etwas experimenteller und schwerer zugänglich. Das ist sehr wichtig, wenn auch vielleicht mehr aufgewendet werden muss. Ich sehe das Schauspiel aber ebenso in der Verpflichtung, mit klassischen Texten zu zeigen, dass wir jeden Tag Ideen verhandeln, die, eben weil sie nicht neu sind, noch immer mit unserer Welt und unserem Leben zu tun haben. Das wichtigste ist mir aber, die Einzigartigkeit des Mehrspartentheaters auch mit Produktionen zu zeigen und spartenübergreifende Arbeiten zu ermöglichen, weil auch am Theater gilt, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist.
Mit großer Einsatzbereitschaft wirkt seit langer Zeit der vom Schauspieler Michael von Bennigsen gegründete und mit Können und Leidenschaft geführte BürgerSprechChor. Wie steht es angesichts der Vakanz an der Spitze des Schauspiels um dessen Zukunft?
Würde es ihn nicht geben, müsste man den Bürgerchor gründen. Er wird in dem neuen Team noch größere Bedeutung gewinnen. Der Sprechchor ist eine effektive Form, die Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort auf die Bühne zu bringen. Die Spielfreude und die Kreativität dieses Chores sind ein Glücksfall für dieses Theater und er wird schöne neue Herausforderungen erleben.
Zwei Konzerte und drei Inszenierungen entstanden in Zusammenarbeit mit dem Lausitz Festival. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit ihm?
Das ist ja ein junges Festival, das sich seinen Platz erst noch erobern muss. Für uns ist es eine Chance, große Projekte auf die Bühne zu stellen und namhafte Künstlerinnen wie die Mezzosopranistin Elīna Garanča oder die Pianistin Martha Argerich auf die Bühne zu holen. Das und auch die zwei Shakespeare-Inszenierungen sowie die Dostojewski-Adaption „Catabasis Dämonen“ wären uns ohne die Kooperation mit dem Lausitz Festival nicht möglich.
Eine sehr aktuelle Frage: Kann Theater zum so dringend notwendigen Strukturwandel in der Region etwas beitragen, und wie?
Um keine Luftschlösser zu bauen, sollte man die Kultur in ihrer gesellschaftlichen Wirkung nicht überbewerten. Theater schafft nun mal keine neuen Arbeitsplätze in einer durch eine gewaltige Umbruchssituation gebeutelten Region. Aber es bewirkt anderes, was diesen jahrzehntelangen Prozess unterstützt: Theater zieht Leute an und begeistert sie. Es nimmt immensen Einfluss auf das Lebensgefühl der Menschen und trägt zur Lebendigkeit und zum Selbstbewusstsein der Region bei.
Angenommen, Sie hätten drei Wünsche für das Theater frei. Für welche würden Sie sich entscheiden?
Ich wünschte mir, dass jetzt das Theater zu seiner alten (Zahlen-)Stärke zurückfindet. Zur Wendezeit agierten das Nationaltheater in Weimar z. Bsp. und das Cottbuser Theater, was finanzielle Ausstattung, Gagen und künstlerische Möglichkeiten betraf, auf Augenhöhe. Inzwischen wurden die Ensembles im Schauspiel, der Oper und im Ballett fast halbiert. Es wäre wichtig, diese Gleichwertigkeit wieder zu erreichen. Und so wäre drittens meine Hoffnung, dass sich die Landesregierung in Potsdam der Bedeutung des Staatstheaters und seiner Wichtigkeit im Zentrum des Strukturwandels der Lausitz mehr als bisher bewusst wird.
Der „Hermann” wünscht Ihnen, dass sich diese Wünsche erfüllen mögen und uns jetzt eine störungsfreie großartige Spielzeit 2021.22 erwartet.
Interview: Klaus Wilke