Von Bäumen auf Reisen, einer Zwangsräumung und Ordensrittern

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Unser Reporter Henning Rabe berichtet vom 32. FilmFestival Cottbus. Heute: Der letzte Tag.

Der Festival-Ausklang beginnt mit erfreulich spröder Kost: Dem georgischen Dokumentarfilm Taming the Garden von Salomé Dshaschi.

Eine alte Frau hat einen riesigen Baum im Garten, der ihr Leben lang mit seinem Schatten ihre Ernte im Obstgarten schmälerte. Eines Tages kommt ein Mann und fragt, was sie für den Baum haben will, er will ihn kaufen. 140 Euro, sagt sie. Antwortet er: „Also 140.000 sind doch viel zu viel, ich gebe ihnen 14.000.“ Was der Fremde tatsächlich tut.

Seine Identität und sein Plan werden, wie es sich für eine heutige Dokumentation gehört, erst nach und nach enthüllt. Iwanischwili heißt der Mann, der durch ganz Georgien zieht und dort Bäume einkauft, die er beschneiden und schließlich am riesigen Stück durch das Land transportieren lässt. Dass der Milliardär der ehemalige Präsident des Landes und immer noch einer der größten politischen Strippenzieher der Politik ist, wird nicht erwähnt. Das ist aber auch nicht das Thema, denn das sind einzig und allein die Jahrhunderte alten Bäume, die er im Dendrologischen Park von Schekwetili nahe der Schwarzmeerküste versammelt.

Vor dem georgischen Film FOTO: Henning Rabe

In stumpfen, leicht gebleichten Farben zeigt der Film eine erfreuliche Nähe zu den Waldarbeitern und den Leuten, denen er die alten Baumkolosse abkauft. Bei letzteren tritt viel Misstrauen zutage. Am Ende wird er sie doch betrügen, nehmen einige an. Andere können sich von den Bäumen, die sie seit Jahren keines Blickes mehr gewürdigt haben, nun auf einmal nicht mehr trennen, wo sie doch nun etwas Besonderes sind. Teilweise müssen für die Reise der Bäume andere Artgenossen weichen und Straßen gebaut werden, was mitunter auch Unmut in der Bevölkerung hervorruft. Von diesen Gesprächs-Beobachtungen und ungewöhnlichen Bildern (z. B. von der Umsetzung der Holzgiganten) lebt dieser lakonische Streifen, der ganz ohne erklärenden Off-Kommentar auskommt.

Ich dachte eigentlich, der guckt von oben zu. Und Karel kann ja nun nicht mehr gemeint sein FOTO: Henning Rabe

 

Danach zieht es mich wieder zu den Hits. Der erste Kassenschlager kommt wie gestern aus Ungarn: Eviction. Eine alte Frau hat ihre Bank-Schulden nicht bezahlt, ihr Haus wurde verkauft und soll nun geräumt werden. Junge Aktivisten sitzen davor und protestieren. Doch die Alte wehrt sich: Mit zehn ziemlich wütigen Hunden, außerdem schießt sie mit Pfeilen auf den Gerichtsvollzieher. Schließlich droht sie, das Haus in die Luft zu sprengen.

Wegen der gesetzlichen Vorschriften und da die Situation verfahrener nicht sein könnte, werden ständig neue Organe angefordert. Zunächst eine zusätzliche Polizeitruppe, dann eine spezielle Eingreiftruppe, später Hundefänger, ein Zoologe, eine Unterhändlerin bei Geiselnahmen und als Krönung noch der Katastrophenschutz. Das Witzige ist, dass dieses Wirrwarr an Personal und dessen Kompetenzen komplett der Realität entnommen worden ist, Regisseur Máté Bence Fazekas hat einen authentischen Fall erzählt und ihn mit ansprechenden Seitensträngen dramaturgisch aufgepeppt.

Hoffnung macht im Geschehen, dass der Gerichtsvollzieher bei dieser seiner ersten Zwangsräumung eine Wandlung vollzieht und sich auf die Seite der Seniorin schlägt. Da wird allen im Saal wohl ums Herz – aber wird es etwas nützen?

Gute Unterhaltung mit zeitkritischem Hintergrund.

Regisseur Máté Bence Fazekas FOTO: Henning Rabe

Das gelungene Filmfest beschließt für mich in diesem Jahr der estnische Hit Melchior, der Apotheker von Elmo Nüganen. Im mittelalterlichen Tallinn wird der Ordensritter Klingenstein ermordet. Sein Kopf wurde mit einem Streich vom Rumpf getrennt, in seinen Mund hat man gotländische Münzen gestopft. Sofort wird der titelgebende Apotheker zum Stellvertretenden Ermittler ernannt, denn seine Fähigkeiten, Tatorte, Opfermerkmale und Zusammenhänge zu deuten, sind ihrer Zeit weit voraus. Ohne die seit einiger Zeit populären True Crime-Programme mit Fokus auf den forensischen Wissenschaften wären die in Estland erfolgreichen Roman-Vorlagen von Indrek Hargla vielleicht auch nicht direkt so entstanden.

So kommt der Apotheker denn auch dem Manne auf die Spur, der noch drei weitere Morde begeht – und das alles, um an den „Gefangenen von Tallinn“ heranzukommen. Der einzige Gefangene in der Burg ist allerdings der Lepröse, der den Vater von Melchior getötet hat. Um den kann es nicht gehen. Ist aber der Gesuchte vielleicht gar kein Mensch?

Griffige Genre-Unterhaltung, von der es übrigens noch zwei weitere Fälle/Teile gibt. Einen mehr hätte ich mir gern noch ‘reingezirkelt. Vor allem gefiel mir, dass man das Mittelalter und seine dunklen und unhygienischen Seiten auch ganz ohne aufwendige Computer-Animationen und -verfremdungen darstellen kann.

Die besten Sitze beim Festival gibt es hier im Saal 2 des Weltspiegels FOTO: Henning Rabe

So bunt war es dieses Jahr, dass ich mich schon auf den nächsten November freue, wo ich hoffentlich wieder bei lieben Leuten zu Gast sein darf. Und jetzt – stecke ich endlich den Brief ein, den ich seit Dienstag mit mir herumgetragen habe.

Das Gold der späten Monate FOTO: Henning Rabe

 

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