Der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch im hermann-Interview
Bis voraussichtlich Ende Oktober soll in Brandenburg eine neue Landesregierung stehen – ein rot-schwarz-grünes Bündnis. Was erwarten Sie von „Kenia“?
Zunächst betreten ja alle Beteiligten Neuland, ein solches Bündnis hat es hier noch nicht gegeben. Zudem haben alle Parteien im Wahlkampf erklärt, dass es kein „Weiter so“ geben werde. Mal sehen, was daraus konkret gemacht wird.
Was sollte denn „gemacht“ werden?
Es liegen genügend Ideen auf dem Tisch, um den Strukturwandel zu gestalten. Es gibt eine Vielzahl von Ankündigungen zum Ausbau der Infrastruktur, zur Ansiedlung von Forschungsinstituten, zum Aufbau der Medizinerausbildung in Cottbus/Chóśebuz, zu „Smart City“ und „Digitaler Stadt“, dazu dem „Reallabor Lausitz“ und vielem mehr. Ich kann immer wieder nur fordern und betonen: machen, machen, machen. Wir reden zu recht viel über Dinge, die in den nächsten Jahrzehnten eine neue Lausitz ausmachen sollen, ohne die Wurzeln zu leugnen. Was wir ganz schnell brauchen, sind beispielsweise verlässliche Regelungen, dass Planungsprozesse tatsächlich beschleunigt werden können. Die Leute haben einen berechtigten Anspruch darauf, dass wir ihnen Perspektiven zeigen, die es lohnen, dafür hierzubleiben, sich hier eine Familie, ein Haus, eine Heimat aufzubauen oder einen gesicherten Lebensabend hier zu verbringen.
Den haben die Leute im ganzen Land…
Na sicher, und da muss das Land auch entsprechend leisten. Aber es ist speziell die Lausitz, neben den anderen Kohlerevieren, der politisch verordnet das wirtschaftliche Rückgrat gebrochen und die Arbeitsplätze weggenommen werden. Es geht ja nicht nur um Tagebaue, es geht um eine sichere, stabile und bezahlbare Energieversorgung, es geht um den wesentlichen Teil der wirtschaftlichen Wertschöpfung in der Region. Deshalb brauchen wir Instrumente, wie das Strukturstärkungsgesetz und die Milliarden, die uns versprochen worden sind.
Ist es mit Geld allein getan?
Das natürlich nicht, und das hat auch niemand gesagt. Ich denke aber, in der Region sind Ideen zuhauf vorhanden, die umgesetzt werden können. Und dazu braucht es wiederum das Geld. Politik kann immer nur den Rahmen schaffen für Ansiedlungen der Wirtschaft. Im Idealfall sind die Bedingungen so attraktiv, dass uns die Unternehmen die Bude einrennen. Wir sind aber keine Träumer. Das heißt in erster Linie, die heimische Wirtschaft, den Mittelstand, die Handwerker zu unterstützen, denn diese gestalten den Wandel und müssen auch von etwas leben können. Aber auch da müssen wir immer wieder erläutern, was in unserer Macht steht und was nicht, aber auch, was es heißt, als hoch verschuldete Kommune den Haushalt genehmigungsfähig zu gestalten. Ich würde auch lieber Steuern senken.
Als Stadt stehen wir ja immer vor der Aufgabe, die großen Würfe auf den Weg zu bringen, ich denke da beispielsweise an den Ostsee, und gleichzeitig die Schlaglöcher in den Straßen zu reparieren. Beides muss funktionieren, und für beides brauchen wir das nötige Geld. Denn die Leute messen Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der Politik an dem, was jetzt passiert, weniger an dem, was in 20 oder 30 Jahren in Cottbus/Chóśebuz und in der Lausitz entstehen könnte. Das heißt, wir brauchen eine solide Grundlage durch Finanzen, die der Kommune zur Verfügung stehen, ohne jedes Mal betteln zu müssen. Die Städte im Land brauchen schlicht mehr Geld, mit dem wir hier unser Zuhause weiter gestalten können. Es versteht ja niemand, dass Bund und Länder ständig auf hohe Steuereinnahmen verweisen, und wir jedes Mal sagen müssen, wir haben kein Geld für die vielen vermeintlich kleinen Dinge. Gerade werden wieder neue Wohltaten beschlossen, alle freuen sich darüber, und am Ende zahlt die Kommune drauf. Ich sage nur Stichworte wie Jugendhilfe oder die Kita-Finanzierung. Diese Sorgen treiben die Kommunen im Städte- und Gemeindebund um. Es läuft was nicht rund, und das merken die Leute. Hier kann, nein, hier muss ‚Kenia‘ neue Weichen stellen.
Vor der Wahl hatte die damalige Landesregierung angekündigt, dass das Ministerium für Wissenschaft und Kultur nach Cottbus/Chóśebuz umziehen soll. Davon ist nun nicht mehr die Rede. Wie enttäuscht sind Sie?
Die neue Koalition scheint nicht mehr an diesem Vorhaben festhalten zu wollen. Das müssen wir so hinnehmen, zumal es leider auch meine Partei war, die sich dagegen ausgesprochen und damit unserer Stadt einen Bärendienst erwiesen hat. Wir wollen aber nicht hinnehmen, dass das das letzte Wort sein soll. Ein Teil der Strukturstärkung besteht darin, behördliche Arbeitsplätze nach Cottbus/Chóśebuz und in die Lausitz zu verlagern. Da hapert es weitgehend an konkreter Umsetzung. Denn in erster Linie geht es hier um gut bezahlte Arbeitsplätze für unsere Stadt und die Lausitz, in zweiter Linie aber geht es um die Glaubwürdigkeit von Politik in diesen aufgewühlten Wochen und Monaten. Hier ist auch erkennbar, warum wir für alles, was uns angekündigt wurde, verbindliche vertragliche Regelungen bis hin zum großen Staatsvertrag für die Lausitz brauchen. Damit wir nicht abhängig sind von der jeweils nächsten Regierungsbildung, ob nun im Bund oder in den Ländern.
Was wünschen Sie sich von den Cottbuserinnen und Cottbusern?
Dass sie mit ein bisschen mehr Stolz auf ihre Stadt schauen und das auch lauter sagen. Dass wir keine Angst vor neuen Umbrüchen haben, sondern gemeinsam gestalten, was kommt. Dass nicht immer nur die Leute, die sich nach Cottbus/Chóśebuz „verirren“, von unserer Stadt und ihrer Schönheit schwärmen. Dass wir alle einen Schwapp mehr Lokalpatriotismus zeigen. Ich weiß, dass das nicht so leicht ist, wenn viele das Gefühl haben, dass es im Alltag nicht so läuft, wir aber große Visionen für die Zukunft haben. Viele sagen durchaus zu Recht, macht doch erst mal die Hausaufgaben, das Einmaleins, und repariert den Gehweg vor meinem Haus oder gebt den Vereinen mehr Geld. Ich wünsche mir, dass die Cottbuserinnen und Cottbuser weiter mit anpacken, so, wie sie es bisher auch getan haben, und deshalb stolz darauf sein können.
Interview: Robert Gordon