Aufeinander hören ist wichtiger als Notenlesen

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Lippen flattern, Kiefer und Zunge werden gelockert, Stimmbänder schwingen, der Körper wird abgeklopft, alle stehen fröhlich aufrecht und summen sich munter in unterschiedlichen Tonhöhen zu. Voller Elan wird ein hawaiianischer Kanon geschmettert. Dann finden sich alle in einzelnen Gruppen zusammen, die da heißen Alt, Sopran, Tenor und Bass. Nach dem Aufwärmen und Aktivieren von Körper und Stimme werden Lieder eingeübt wie: „Junimond“ und „Oh Happy Day“.

Dabei läuft ein junger sympathischer Mann auf der Gitarre spielend zu den einzelnen Stimmregistern und unterstützt die singenden Menschen darin, ihren Rhythmus und ihre Tonlage beizubehalten. Konzentrierte Gesichter, lachende Gesichter. Gesang geht durch die Augen. Der Mann mit der Gitarre hebt die Hände und sagt zum Finale: „Und jetzt richtig abgehen!“ Als Antwort ertönt lautstark: „Oh happyyy dahaayyy!“ Zu jedem Anfangsritual gehört auch ein Abschlussritual: zuerst Einsingen, zuletzt Aussingen. Alle singen freudig „Heididideida“, Füße wippen, Hüften schaukeln, Finger schnipsen, die Stimmung ist lebendig und ausgelassen. Zum Schluss applaudieren sich alle glücklich zu, schnappen sich ihr Bier und ihren Wein und setzen sich in die Kneipe. Dort wird gequatscht, gelacht, getrunken und weiter gesungen.

So verläuft ein typischer Abend beim Cottbuser Kneipenchor. Dieser ist vierstimmig, besteht aus 20 bis 30 Mitgliedern zwischen 20 und 60 Jahren. Einige sind lange befreundet oder verwandt, einige lernen sich gerade neu kennen. Eine bunte Mischung ganz unterschiedlicher Menschen. Manche mit Vorerfahrungen im Schul- und Kirchenchor, manche, die einfach nur leidenschaftlich gerne singen und Lust haben, das nicht nur für sich allein unter der Dusche oder im Auto zu tun. Alle vereint die Freude am Singen, der Genuss am Trinken und das Glück, beides miteinander zu verbinden. Das Musikgenre ist rockig, alternativ und durchaus vielfältig. Gesungen werden vorrangig deutsche Lieder, darunter welche von Gundermann und Rio Reiser, auch englische Songs sowie Kanons in verschiedenen Sprachen, neuerdings auch mal Gospel. Lieder, die alle mitsingen können, aber auch unbekanntere mit urigem Flair. Eben bunt durchmischt, wie die Gruppe selbst.

Gegründet wurde der Kneipenchor im Juni 2020. Katrin Noack, Inhaberin des Bekleidungsgeschäfts „FEINHERB“, initiierte das Ganze. Sie las damals hier bei uns im „hermann“ einen Artikel über den Berliner Kneipenchor. Dabei dachte sie sich: „Was in Berlin geht, geht auch in Cottbus!“ Gesagt, getan. Über Beziehungen wurde ein Chorleiter gefunden. Schnell fanden über Mundpropaganda Begeisterte den Anschluss. Die Idee besteht darin, mit dem Kneipenchor durch die Kneipen zu ziehen und die Menschen zum Singen und zu guter Laune anzustiften. Es soll eine Möglichkeit zum fröhlichen Singen und entspannten Beisammensein bei Bier und Wein angeboten werden. Der erste Auftritt war im Sommer vorvergangenen Jahres (also 2020, Anm. d. Red.) zum Familienfest im „Prima Wetter“ mit dem Song „Die Wüste lebt“ von der Cottbuser Clubkommission. Alle hatten Lampenfieber und waren anschließend erleichtert, denn das Publikum war begeistert. So sehr, dass es gerne eine Zugabe bekommen hätte, doch zu diesem Zeitpunkt bestand ihr Repertoire eben nur aus dem einen Song. Auch der nächste Auftritt im Rahmen des Gundermann Programms zum „Rio Reiser“-Abend bei der Eröffnung der Kultursiedlung „Bunter Bahnhof“ fand guten Anklang und das Publikum stimmte bei „Junimond“ mit ein. Mit dem „Randale Orchester“ fanden bereits musikalische Kooperationen statt. Bei der „Lesebühne Cottbus“ sind Auftritte in Planung.

Es geht darum, dass die Leute sich öffnen, das ist das Wichtigste. Sich öffnen dürfen, seinen Körper, seine Stimme hören und spüren dürfen, keine Angst haben, die Hemmung am Singen verlieren. Im Kneipenchor geht es nicht um Perfektion. Deswegen ist wirklich jeder herzlich willkommen, sich auszuprobieren, seine Stimme zu entdecken und seinen Körper, unser Instrument, zu spüren“, erklärt Mario Heß, musikalischer Leiter des Kneipenchors. Der gebürtige Cottbuser, Diplom Musikpädagoge, Gesangslehrer und Sänger genießt die Abwechslung zu seiner sonstigen Tätigkeit. Bei dieser steht die Vermittlung technischer Stimmbildungsmethoden im Vordergrund, doch hier darf er zum harmonischen, mehrstimmigen Gesang ermutigen. „Aufeinander hören ist wichtiger als Notenlesen“, sagt er. Insofern darf jeder, der gerne in Gemeinschaft singt, auch ganz ohne Vorkenntnisse einfach vorbeischauen. Besonders Verstärkung für Bass und Tenor wird gesucht.

Das Schöne am Chor: Der Druck auf den Einzelnen sei nicht so hoch, weil der Chor in der Gemeinschaft schon gut klinge, sodass einzelne Patzer nicht auffielen, meint Bianka Kanig, die seit Anbeginn dabei ist. „Wir machen das aus Spaß an der Freude, weil wir Lust haben zu singen. Jeder kann hier so sein, wie er ist. Man muss sich nicht verstellen, keine besondere Kleidung tragen. Es ist mega entspannt, unkompliziert und alle haben immer gute Laune.“ So beschreibt sie die Atmosphäre. Ideale Voraussetzungen, sich zu trauen, seiner Stimme Raum zu geben. Beim Cottbuser Kneipenchor kann man dem Alltag entkommen, Leute kennenlernen, zusammen singen und aufs Leben anstoßen – Prost!

/ Tracy Neumann

Wissenswertes:

Der Kneipenchor in Cottbus wurde im Sommer 2020 gegründet. Alles begann mit dem Song der Club Kommission Cottbus „Die Wüste lebt“. Auftritte waren u.a. im „Prima Wetter“ zum Familienfest, Eröffnung beim „Bunten Bahnhof“, beim Gundermann-Abend im „Scandale“ und geplant sind Auftritte bei der Lesebühne Cottbus. Reguläre Proben immer mittwochs von 19.30 bis 21 Uhr.

Anmeldung und Buchung: Kneipenchor-Cottbus@gmx.de

 

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