Der stille Zuhörer kann auch gern laut werden

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Uwe Müllers Platz ist am Krankenbett – aber auch im Stadion

Offenbar ist es gut und hilfreich, wenn Menschen gleich zwei entgegengesetzte Fähigkeiten in sich vereinen. Ein Uwe Müller ist dazu in der Lage. Der 55-Jährige kann als Seelsorger den ans Krankenbett gefesselten Menschen, die ihn in all ihrer Sorge und Ohnmacht zu sich rufen, zuhören und ihnen Zuspruch erteilen. Er kann aber auch laut sein, dabei seinem Ärger lauthals Luft machen. „Wenn Schiedsrichter die Spiele meines Vereins Energie Cottbus ohne jedes Maß von Neutralität begleiten, kann man schon mal aus der Haut fahren. Beleidigend dabei zu werden ist allerdings nicht mein Ding“, sagt der frühere Sitzvolleyballer von sich selbst.

Wohl ist der Besuch von Sportveranstaltungen sein Hobby, bestimmt wird sein Alltag allerdings doch überwiegend von seinen Wegen ins Carl-Thiem-Klinikum. Schon 22 Jahre ist er in dieser Dienstbarkeit unterwegs, mehr als zwei Jahrzehnte wird er dort auch immer wieder mit traurigen, oft sehr tragischen Schicksalen konfrontiert. Durchaus möglich, dass er sich auch deshalb sehr gut in die Rolle der Leidenden versetzen kann, weil er selbst im Jahr 1983 einen Schicksalsschlag erlitten hat. Beide Unterschenkel mussten ihm nach einem Unfall in traumatischer Verfassung amputiert werden. In der Zeit seiner Genesung hat der heutige Krankenhausseelsorger nicht nur zum Glauben, sondern auch seine Berufung gefunden, anderen in gesundheitlichen Nöten befindlichen Menschen beizustehen. „Dabei geht es nicht zuerst darum, den Kranken durch das Vorlesen von irgendwelchen Bibeltexten Mut zuzusprechen. Weit wichtiger ist es, sich die Ängste, oft auch die Verzweiflung der Betroffenen anzuhören. Wobei es nebensächlich ist, ob da ein Christ unterschiedlicher Konfession oder ein Ungläubiger vor mir im Bett liegt“, erzählt Uwe Müller, der für die Unterstützung seiner Tätigkeit seitens der Klinik dankbar ist. Wird doch jeder Patient schon bei der Aufnahme in die stationäre Behandlung befragt, ob er während seines Krankenhausaufenthalts Kontakt mit einem Seelsorger haben möchte. Diese Kontakte stellten sich in der Anfangszeit seiner Tätigkeit viel schwieriger als heute dar. Fehlte da doch in den Vier- oder gar Sechsbettzimmern jede Privatsphäre. „Da die aber absolut wichtig ist, bin ich heute sehr dankbar, die Kontakte in den eher kleinen und nur minimal belegten Zimmern  pflegen zu können. Außerdem steht den Menschen, die nicht permanent ans Bett gefesselt sind, der Weg in den Raum der Stille offen, in dem man sich absolut ungestört unterhalten kann“, zeigt sich der Seelsorger zufrieden mit den aktuellen Bedingungen im Carl-Thiem-Klinikum, der aus der jahrelangen Erfahrung sehr wohl weiß, dass ein jeder Patient der Meinung ist, dass gerade sein Schicksal das schlimmste ist.

Eine Wertung, welches Leid nun das größere ist, mag er in seiner Funktion nicht vornehmen. Vielmehr ist für ihn jeder Mensch gleich, jeder verdient die gleiche Zuneigung. Wobei er zugibt, dass ihn in den ersten Jahren seines Berufes viele Schicksale tief bewegt haben. Damit umzugehen, war und ist ein Lernprozess. In Fällen, in denen unheilbare Krankheiten diagnostiziert wurden oder das Lebensende unaufhaltsam näher kommt, ist er gefordert. „Aber auch ich kann mir bei Gott Zuspruch holen, um in diesen Fällen die gerade dafür tauglichen Worte parat zu haben oder auch schweigend da zu sein. Deshalb sage ich voller Überzeugung, dass ein Seelsorger nur dann den anderen eine Stütze und Entlastung sein kann, wenn er über das Gebet sein eigenes Seelenleben im Gleichgewicht hält.“

Müller

Foto: Georg Zielonkowski

Eine sehr große Zerreißprobe für diese Ausgewogenheit hatte Uwe Müller im letzten Jahr zu bestehen. Wurde doch  2016 sein Bruder Detlef nach langer Krankheit heimgerufen, nachdem er über Monate in Uwe einen Begleiter an seiner Seite wusste, der trotz seiner eigenen Fragen nach dem „Warum?“ stets eine willkommene Stütze in der letzten Halbzeit des früheren Oberliga-Kickers der BSG Energie war. „Der Kampfeswille, der in seiner aktiven Zeit als sein Markenzeichen galt, war bis zuletzt spürbar. Doch hatte auch ich neben ihm einen Kampf zu bestehen. Was man auf dem Fußballplatz nie einsehen mag, mussten wir dann beide erkennen. Dass mitunter die eigene Kraft nicht reicht und man sich geschlagen geben muss“, zeigte sich Uwe Müller damals mit dieser schlimmen Erfahrung einverstanden.

Er hat sich in diesen Wochen seiner persönlichen Trauer allerdings auch immer wieder selbst Mut gemachtt, indem er sich in Anlehnung an seine Fußballleidenschaft sagte, dass unschöne Ergebnisse wohl immer wieder auch von weit besseren abgelöst werden: „Der FC Energie hat uns vor eineinhalb Jahren viel Kummer gemacht. Dass man aber selbst nach einem bitteren Abstieg und furchtbaren Niederlagen wieder aufstehen kann, erleben wir gerade in dieser aktuellen Saison. Dieses Beispiel kann ich zum Mutmachen durchaus meinen Patienten in der Klinik nahebringen!“

Georg Zielonkowski
Titelfoto: AZ Publica

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