„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders”

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Reformation Spezial

Luther war niemals in Cottbus, und doch kann man ihn sehen

Das Jahr 2017 ist das Jahr des Reformationsjubiläums. Vor 500 Jahren, am 31. Oktober 1517, verschickte Martin Luther in zwei Briefen seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel und andere rigide Finanzgebaren des römischen Papsttums, gegen die Entmündigung der Gläubigen und andere Auswüchse an maßgebliche Persönlichkeiten. Die Legende will sogar, dass er seine mutige Streitschrift an die Pforte der Wittenberger Schlosskirche genagelt habe. Wie allen Legenden mangelt es auch dieser an eindeutigen Belegen. Luthers Wirken hat die Kirche und die Welt verändert. Was ist davon heute noch spürbar, und welche Spuren hat diese weltgeschichtliche Person in Cottbus hinterlassen?

Antworten darauf suche ich bei Ulrike Menzel, der Superintendentin  des Kirchenkreises Cottbus, und bei Steffen Krestin, dem Leiter des Stadtmuseums Cottbus. Übereinstimmend erklären sie: Luther als Person ist definitiv niemals in Cottbus gewesen. Wer aber Luthers Ideen und Erinnerungen an sein Wirken sucht, wird fündig werden. Dann stelle ich selbst fest: Reformation ist sofort hautnah. Ulrike Menzel erklärt mir nämlich, dass ihr Amt auf die Lutherzeit zurückgeht und ihr Amtsurahn, also  der erste Superintendent in Cottbus, der Pfarrer und Reformator Johann Mantel war. Der hatte 1537 in der Oberkirche als Erster offiziell eine lutherische Predigt gehalten und das Abendmahl in beiderlei Gestalt mit Brot und Wein für jeden und jede gefeiert.

Luther aus Stein: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.”

Luther aus Stein: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.”

Allerdings war ihm ein anderer ein bisschen „zuvorgekommen”. Denn bereits 1522 hatte der wie Mantel in Cottbus geborene und einer angesehenen Familie entstammende Johannes Briesmann in der heutigen Klosterkirche auf lutherische Art Gottes Wort verkündet. Der ehemalige Franziskanermönch und Priester hatte in Wittenberg und Frankfurt an der Oder theologische Studien betrieben und gilt als ein treuer Mitstreiter Martin Luthers.

Der „heiße Draht” zu Gott

Reformation nochmals hautnah: Wo dieser Johannes Briesmann  (wahrscheinlich, denn es gibt auch eine andere Darstellung) das Licht der Welt erblickte, im Haus Altmarkt 15, gelangen einmal in der Woche der „Wochenkurier” und einmal im Monat der „Hermann” an die Öffentlichkeit. Wer heute in diesem Haus journalistisch arbeitet, hat also, ähnlich wie die Superintendentin, einen „Amtsurahnen”; denn Briesmann wandte sich in verschiedenen reformatorischen Schriften an seine Zeitgenossen, in denen er das Gedankengut Luthers vermittelte.

Ulrike Menzel nennt einige hehre Prinzipien: Glaube und Nächstenliebe gehörten für Luther zusammen. Ein Christ sei zugleich „ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan” (im Glauben an Gott) und „ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan” (in der Liebe zum Nächsten). Wer über die unverdientermaßen erlangte Liebe Gottes staunt, kann nicht anders, als seinen Mitmenschen Gutes zu tun. Briesmann war wie Luther der Ansicht, dass der Mensch den – wie wir heute sagen würden – heißen Draht zu Gott nutzen sollte. Luthers Bibelübersetzungen ins Deutsche, Übertragungen in das Sorbisch/Wendische und Gottesdienste in den jeweiligen Muttersprachen rückten Gott näher in den Alltag.  Ganz modern ist der Freiheitsbegriff der Reformatoren: Zur Freiheit gehört die Verantwortung, die im Auge hat, was andere neben mir brauchen.

Ein Cottbuser predigt Cottbusern

Wenige Meter von Briemanns Geburtshaus entfernt steht auf dem Altmarkt der Stadtbrunnen, der in Reliefs Szenen aus der Stadtgeschichte zeigt. Eine davon trägt die Inschrift: „1522 Reformator Johannes Briesmann  in Cottbus”. Briesmann – sozusagen der Botschafter des Reformators – inmitten einer Menschenmenge. Wenn man das Bild lange genug betrachtet, glaubt man, aus dem Stein leidenschaftliche  Sprache zu vernehmen. „Er predigte als Cottbuser zu Cottbusern”, erklärt Steffen Krestin. „Seine Rede war durchaus voller Lebensfreude und Humor. Den Leuten aufs Maul geschaut, wusste er, was den Ohren wohltat. Unter anderem attackierte er einen Prior (Klostervorsteher), der  seine Doktorarbeit oberflächlich und wohl mit seinen Augen in den Papieren anderer Autoren gefertigt hatte (auch das gab es damals schon!). Die Bürger brauchten und schätzten Worte, die Mut machten, denn das Leben in der Stadt mit ihren damals etwa 4.500 Einwohnern war durchaus nicht leicht.”

Brunnenfries – kraftvolle Sprache: Ein Cottbuser predigt zu Cottbusern.

Brunnenfries – kraftvolle Sprache: Ein Cottbuser predigt zu Cottbusern.

Wenn Briesmann sich Luthers  Sprache zu eigen gemacht hat, woran zu glauben ist, dann hat er sehr bildreich gesprochen. Denn die Bibelübersetzung des Reformators war zwar nicht die erste Übertragung ins Deutsche, aber eine sehr neuartige, die sich nicht allein am Ausgangstext, sondern auch am Sprachverständnis von Luthers Zeitgenossen orientierte. Es galt nicht „Wort für Wort”, sondern „Sinn für Sinn”. Ulrike Menzel: „So wurde aus Bibelwort Alltagssprache. Kaum jemand ahnt heute, wie oft er Luther zitiert.” Das sind Luther-Schöpfungen: „Perlen vor die Säue werfen”, „der Wolf im Schafspelz”, „sein Licht nicht unter den Scheffel stellen”, „seine Hände in Unschuld waschen”, Wortpaare wie „Rat und Tat”, „recht und schlecht”, „Fleisch und Blut”, „Mark und Bein”. Auch Feigenblatt, Sündenbock, Nächstenliebe und Gotteslästerung sind Wortkreationen des Reformators.

Ein Mönch hilft, die Welt zu verändern: Johannes Briesmann.

Ein Mönch hilft, die Welt zu verändern: Johannes Briesmann.

„Die Klosterkirche, in der Briesmann  1522 gepredigt hat, wurde später zur Pfarrkirche der Dörfer um Cottbus herum. Man nannte sie die ,Wendische‘, weil alle dort Wendisch sprachen”, erzählt der Museumschef. „Hierhin kamen auch Menschen aus zahlreichen umliegenden Dörfern. So hatte Luthers Konzept, der Mensch spreche mit Gott selbst, auch für Wenden und Sorben gute Bedingungen geschaffen. Nicht nur, dass sie nun verstanden, was in der Kirche gesprochen wird. Bald begann sich ihre Schriftsprache zu entwickeln. Das waren wichtige Stationen für die Herausbildung ihrer Identität.”

Wo ist der Hammer?

Bei einem Blick auf den Cottbuser Stadtplan sind Luther und seine Mitstreiter gegenwärtig. Es gibt die Lutherstraße, die Briesmannstraße, den Huttenplatz, die Melanchthonstraße und die Johannes-Mantel-Straße. Eine Kirche in Bahnhofsnähe trägt seinen Namen. Wenn Luther niemals in Cottbus war, so steht er wenigstens hier, seit über hundert Jahren an wechselnden Standorten. Vor dem Niedersorbischen Gymnasium scheint er uns, in der linken Hand die Thesenrolle, die rechte Hand ohne den mehrmals gestohlenen Hammer, seine Worte vom Reichstag zu Worms gegen die Willkür von Papsttum und Fürsten zitierend, zuzurufen: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.”

Klaus Wilke
Fotos: TSPV

Tipp
Am 8. November eröffnet das Stadtmuseum in Zusammenarbeit mit dem Wendischen Museum eine Reformations-Sonderausstellung „Vnd last euch nicht abwenden von dem rechten wege des Euangelions”.

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