Mehr rheinischen Frohsinn für die Spreewaldgurke

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Das große Interview mit Konrad Linkenheil vom Spreewaldhof in Golßen

Konrad Linkenheil. Foto: Nils Hasenau

Konrad Linkenheil. Foto: Nils Hasenau

Das vor fast 130 Jahren gegründete Familienunternehmen Spreewaldhof Golßen – Obst- und Gemüseverarbeitung Spreewaldkonserve Golßen GmbH – wird in dritter Generation von den Geschwistern Karin Seidel und Konrad Linkenheil geführt. 1991 übernahmen beide die Firma, in der seit 70 Jahren Obst-, Gemüse- und Sauerkonserven hergestellt werden. 200 Festangestellte und bis zu 220 saisonale Arbeitskräfte sind im Unternehmen beschäftigt. Die Produkte können in über 30 Ländern gekauft werden. Hermann sprach mit Konrad Linkenheil.

Herr Linkenheil, warum haben Sie sich vor 28 Jahren für die Lausitz entschieden und haben das Unternehmen Spreewaldhof übernommen?

Als ich 1989 von Freiwalde nach Golßen fuhr war ich begeistert von der fantastischen Landschaft. Auf einer gigantischen Wiese fuhr ein einsamer Trecker, hinter dem 10-20 Weißstörche flogen und die Insekten aufpickten. Ich bin ein absoluter Naturmensch und was ich hier vorfand, kannte ich nicht mehr vom Niederrhein. Ich war 38 Jahre alt, voller Tatendrang und bereits mit meiner Schwester in der dritten Generation unserer Familie Obst-Konserven-Fabrikant am Niederrhein. Direkt nach dem Mauerfall startete ich eine Erkundungstour durch die ehemalige DDR, dabei habe ich die Konservenfabrik in Golßen gesehen. Der Zustand war alles andere als ermutigend, aber ich habe schon damals ein großes Potential erkannt. Ich bin aus folgenden Gründen geblieben:

Der Betrieb hatte tolle Mitarbeiter, die sehr gut ausgebildet waren und alle Fachkräfte inkl. der Techniker. Alle zusammen hatten eine enorm positive Erwartungshaltung. Was aber fehlte war die Ausstattung, hier haben wir über die Jahrzehnte viel investiert. Die Betriebsfläche war ca. 45.000 qm und dahinter endloses Feld: also beste Voraussetzungen für eine notwendige Erweiterung (heutige Betriebsfläche ca. 185.000 qm). Ich kannte mich mit Obst aus, doch in Golßen wurden auch Gurken verarbeitet. Die waren für mich neu aber für mein Unternehmen im Rheinland eine enorme Produkterweiterung und Diversifizierung. Aber das Beste war, dass es nicht nur einfach Gurken waren, sondern Spreewälder Gurken. Aus Bekanntheitsgrad ließ sich eine Premiummarke „Spreewaldhof“ aufbauen. Hier erkannte ich das Potential für die Konservenfabrik, für die es enorm wichtig, ist ein breites Produktspektrum für eine ganzjährige Auslastung zu haben. Die Gurkenernte dauert leider nur ca. zehn Wochen, doch das Jahr hat 52. Da ist Fantasie erforderlich. Nur die Kombination aus Gurken, Obst und Gemüse weitet den Produktionszeitraum auf das ganze Jahr aus, sodass ich 250 Dauerarbeitsplätze entwickeln konnte.

Warum ist Ihnen Golßen noch immer wichtig?

Die enorm positive Entwicklung vom Standort Golßen hat dazu geführt, dass ich meinen Stammbetrieb in Wegberg schließen musste, um die gesamte Produktion in Golßen zu konzentrieren. Diese Entscheidung war richtig. Wir haben über die letzten Jahrzehnte 120 Mio. Euro in das Unternehmen investiert. Zusätzlich haben wir uns mit der Eintragung des EU-Qualitätssiegels geschützte geografische Angabe „Spreewälder Gurke“ dazu verpflichtet, den Anbau und die Herstellung ausschließlich in der Wirtschaftsregion Spreewald zu realisieren. In Golßen haben sich weitere Lebensmittelhersteller angesiedelt, sodass alle zusammen eine Vollbeschäftigung im Ort erreichten.

Worin besteht Ihrer Meinung nach das Potential dieser Gegend?

Fangen wir ganz vorn an. Golßen ist ein Grundwasserstandort. Das schafft die Voraussetzung für Landwirtschaft und Industrieansiedelung. Dieses Potential haben wir zusammen mit einem besonderen Produkt der Region genutzt, der bekannten Spreewälder Gurke. Mit dem Alleinstellungsmerkmal, für das wir zusammen mit dem Spreewaldverein hart gekämpft haben, erzielten wir 1999 die Eintragung als geschützte geografische Angabe. Mit diesem EU-weit besonderen Qualitäts- und Herkunftssiegel wurde ein Gurkenanbau in der Form, wie wir ihn heute kennen, erst möglich. Es war auch das Ziel, die Spreewälder Gurke stark mit dem Tourismus für die Region als ein Produkt zu vermarkten. So entstand bspw. der Spreewälder Gurkenradweg, der das Naturerlebnis der Region mit dem besonderen Produkt der Region verbindet.

Spreewaldhof Golßen Foto: Nils Hasenau

Spreewaldhof Golßen Foto: Nils Hasenau

Wie hat sich Ihr Betrieb in den vergangenen Jahren verändert?

Der Betrieb hat sich stark verändert, er ist erwachsener geworden.Die Strukturen gleichen mittlerweile denen eines Konzerns. Unsere Produktpalette ist ebenfalls gewachsen und wurde den veränderten Kundenbedürfnissen angepasst. Technologisch haben wir mit der Pouch-Produktion einen ganz neuen Markt erschlossen, so z.B. Obst- und Gemüseprodukte wie Rotkohl oder Sauerkraut im wiederverschließbaren Standbeutel. Mit dem Wunsch nach mehr Bio-Produkten wuchs auch unser Angebot in diesem Bereich. Ähnliche Entwicklungen sind auch in der Gemüseproduktion zu verzeichnen. Neu sind auch Frischeprodukte, die wir ausschließlich im Kühlregal der Supermärkte anbieten. Jetzt verstehen Sie wahrscheinlich auch besser, was ich mit Fantasie für die ganzjährige Auslastung meinte.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Strukturwandel in der Lausitz und im Spreewald gemacht?

Leider ist die Region Spreewald bis auf touristische Zentren immer dünner besiedelt. Menschen ziehen weg, Bäcker und Metzger „sterben aus“ und die Dinge des täglichen Bedarfs erfordern immer längere Wege. Sie können sich vorstellen, dass die Rekrutierung neuer Mitarbeiter aus der Region immer schwieriger wird. Die Attraktivität der Region als Ort zum Leben ist gesunken und die von Berlin ist im Vergleich leider immer noch größer.

Jetzt steht wieder ein Wandel an, wie bereiten Sie sich darauf vor?

Ich freue mich auf den Wandel, denn in jedem Wandel steckt auch eine Chance. Ich bin ein positiver Mensch, der gern Dinge anpackt und bewegt, doch schön ist es immer, wenn man nicht allein ist. Wir sollten den Wandel alle zusammen gestalten.

Allerorten ist vom Fachkräftemangel die Rede. Betrifft das auch Ihr Unternehmen?

Natürlich, das betrifft uns auch auf allen Ebenen. Am stärksten spürbar ist es sogar in gelegentlichen Produktionsengpässen, die durch den Mangel an geeigneten Mitarbeitern verursacht werden. Die Jungen aus der Region sind alle weg Richtung Berlin. Wir hatten mal zehn Auszubildende pro Jahr, aktuell ist es nur einer. Seit der Wende haben viele Menschen die Region verlassen, da nicht genug Arbeitsplätze vorhanden waren. Wir haben durch unser Unternehmen und die Investition am Ort viele Arbeitsplätze geschaffen, sodass Familien bleiben konnten und – darauf bin ich stolz – auch für einen Rückzug nach Golßen begeistern konnten. Es zeigt, wie wichtig die Ansiedlung von Industrie für die Ansiedelung der Menschen in der Region ist. Wenn dann die Rahmenbedingungen wie in Golßen mit Kita und Schulen stimmen, haben wir schon viel gewonnen.

 Während Städte, wie Weißwasser, Spremberg, Forst und Guben wenig bis keine Industriearbeitsplätze vorweisen können, sucht Ihr Unternehmen händeringend Arbeitskräfte. Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit junge Leute Ihr Unternehmen als Chance begreifen?

Sie müssen verstehen, was die Spreewaldkonserve heute ist: Kein kleiner Handwerksbetrieb, sondern ein hoch technisiertes Unternehmen mit Organisationsstrukturen, die unterschiedlichen Arbeitnehmern einen vielseitigen Arbeitsplatz bieten. Wir arbeiten mit einem Maschinenpark bestehend u.a. aus Robotern und viel IT, mit einer modernen Lagersteuerung, zeitgemäßem Marketing und versiertem Vertrieb und Einkauf. Wir haben also für den IT-Techniker bis Mechatroniker genauso viel zu bieten wie für den Gabelstaplerfahrer bis Betriebswirt. Ein unschlagbares Argument für alle, die sich für das Arbeiten bei uns entscheiden: Wir arbeiten in der konjunkturunabhängigen Lebensmittel-Branche. Bei der prognostizierten Rezession ist das ein wichtiges Argument.

Welche Voraussetzungen müsste die Politik schaffen, um Golßen für Arbeitnehmer aus anderen Gebieten interessant zu machen?

Das Wichtigste sind Industrieansiedelungen, so dass vernünftige Arbeitsplätze geschaffen werden, von denen man leben kann. Damit beginnt alles. Nur durch den bundesweiten Aufbau der Marke „Spreewaldhof“ konnten wir unabhängig von Schwankungen einen gesicherten Absatz organisieren, denn der Verbraucher bestimmt den Absatz. So haben wir im nächsten Schritt Landwirte verpflichtet, die dann mit Verlässlichkeit arbeiten konnten. Alle kleineren Betriebe haben von dieser Entwicklung profitiert, denn das Rohwarenpotential reichte für alle und die geschützte geografische Angabe „Spreewälder Gurken“ hat  positiv zu dieser Entwicklung beigetragen. So entwickelte sich diese Branche von spontan zu verlässlich.

Damit sollte die Infrastruktur wachsen, niemand müsste noch zum Spezialisten-Arzt nach Berlin. Die Verkehrsanbindung muss die Ansiedelung unterstützen. Nach Golßen kommt man aktuell am besten mit dem Auto. Alle anderen Möglichkeiten sind unattraktiv und umständlich. Hier besteht Nachholbedarf zum Wohle der Region.

Die Politik entscheidet auch über die Fördermittelpolitik, die aktuell nicht rosig aussieht. In der EU sind Fördermittel vorwiegend auf kleine Unternehmen und den Mittelstand konzentriert. Hier entscheiden Anzahl der Arbeitskräfte, Bilanzsumme und Umsatz. Nach einer Änderung dieser Vorgaben ist der Spreewaldhof seit zehn Jahren nicht mehr förderfähig. Und doch mussten wir weitermachen und haben dann aus eigenen Mitteln investiert. Das sollte sich schnell ändern, denn kleine und mittelständische Unternehmen führen keinen Strukturwandel herbei, dass schaffen nur die größeren Betriebe. Die Rahmenbedingungen dafür kann aber nur die Politik ändern.

Welche Chancen hat Ihrer Meinung nach Golßen, langfristig betrachtet, als Industriestandort und als Lebensmittelpunkt für die Menschen?

Die Aussichten sind positiv. Wir haben sichere Arbeitsplätze. Die Region generiert zusätzliche Einnahmen aus dem Tourismus. Die Metropole Berlin wächst und rückt näher an den Spreewald, das hilft beiden Regionen. Und der neue Berliner Flughafen und die Touristen sowie Unternehmer werden positive Auswirkungen auf die gesamte Region haben.

Was würden Sie sich für Golßen, für die Region wünschen, wenn Sie es könnten?

Ich würde den Spreewald-Krimi abschaffen, denn er erzeugt ein Bild vom Spreewald und seinen Bewohnern, das nicht mit meinem täglichen Erleben übereinstimmt. Ich komme aus dem Rheinland und bin mit viel positivem Denken sehr weit gekommen. Manchmal wünsche ich den Menschen hier etwas mehr von meinem rheinischen Frohsinn, denn wir haben gute Voraussetzungen, um aus dieser wunderbaren Region noch mehr zu machen und dies auch zu zeigen.

Interview: Heiko Portale

 

 

 

 

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