Die Galerie Haus 23 öffnet am 15. September zum letzten Mal ihre Pforten.
Schön war die Zeit. Es waren aufregende 30 Jahre mit vielen Höhen und Tiefen. Es gibt sicherlich reichlich Phrasen, die man als Worte des Abschieds nutzen könnte. Doch wie verabschiedet man sich aufrichtig von etwas, das man kaum kannte und erst in seinen letzten Zügen kennen und schätzen gelernt hat? Die Galerie in der Marienstraße 23 war mir schon ein Begriff, ich habe auch die eine oder andere Ausstellung besucht, habe aber sonst wenig Gedanken daran verloren. Jetzt soll sie schließen. Im Zuge dessen habe ich mich tiefergehend mit der kleinen Galerie beschäftigt. Ich unterhielt mich mit Matthias Körner und Manfred Reuter, die mir viel über die letzten 30 Jahre erzählten. Beide waren von Anfang an, also seit 1989, dabei. Ich glaube, man könnte ein Buch mit den Geschichten füllen. Noch besteht die Gelegenheit, die Galerie ein letztes Mal zu erleben. Ich bekam diese Gelegenheit. Zusammen mit Matthias Körner, der mir ein bisschen was über die 33 Künstler der 180. und somit letzten Ausstellung erzählte.
Anfang
Ich gehe die Treppe des Hauses hinauf und drücke die schwere Holztür auf. Links, direkt neben dem Stromkasten, zwei Schwingtüren. Hier ist der Eingang. Drinnen erwarten mich drei riesige extraterrestrische Wesen von Willi Selmer. Ihre Haut ist ganz aus Blech. Die unterschiedlichen Formen und Größen ergeben ein faszinierendes Muster, von denen man seinen Blick kaum lösen kann. Dahinter eine Fotografie von Alexander Janetzko. Er war 2006 der Gewinner des Jugendförderpreises für bildende Kunst. Dieser Preis wurde 13 Jahre lang vom Kunst- und Kulturförderverein Cottbus e.V. und der Sparkasse Spree Neiße vergeben. Die Sieger durften ihre Werke im Haus 23 ausstellen. Das war für viele ein Sprungbrett. Der begabte Fotograf war der Galerie von da an treu verbunden und hat hier mehrfach seine Werke präsentiert. Seine Fotos sind unbeschreiblich kraftvoll und ziehen einen aus der Gegenwart direkt zu dem Moment der Aufnahme. Sie sind emotional, lebensnah und häufig mit einem Hauch Melancholie. Dieses Werk zeigt die Aussicht aus dem Fenster eines Zuges. Gegenüber ein Güterwagon? Alles ein bisschen verschwommen. Man eilt vorbei, nimmt die Umgebung im Vorbeifliegen nicht klar war. Es regt zum Nachdenken an.
Unten
Im Rest des Raumes ist es ein bisschen bunter. Es findet sich ein farbenprächtiger Oktoberregen, die eher ins bräunliche gehende „Letzte Hilfe“ (der Besucher möge hierzu unbedingt die Beschreibung vor Ort lesen) und ein in unterschiedlichen Tönen schimmernder Adam und eine gleichermaßen kolorierten Eva. Ein näherer Blick lohnt sich, denn in den beiden verbirgt sich ein ganzer Kosmos. Wem der Künstler Dieter Zimmermann ein Begriff ist, kennt vielleicht seinen Detailreichtum. 2012 hatte er eine Ausstellung im DKW mit dem vielsagenden Titel „Grübelzwang“ für die er über 600 Leinwände mit zahlreichen kleinen Bildern produzierte. Auf dem Boden des Raumes ist ein orange-rote Linie. Sie sieht ein bisschen aus wie vergessen. Folgt man dem kleinen Pfeil, erreicht man die zweite Etage.
Oben
Wieder die Linie. Sie wurde nicht vergessen. Sie erinnert an eine Ausstellung vor knapp zwei Jahren. Henry Wegener ließ zu diesem Zweck die Galerie einfach für sechs Wochen zumauern. Inmitten des Raumes, sowohl oben als auch unten stand eine Wand in knalligem Orange. Von den Räumlichkeiten blieb jeweils nur ein schmaler Gang. Diese Wände sorgten natürlich für Irritation, dasselbe Gebäude, doch alles ist fremd. Zurück bleibt der Gedanke „da war doch mal was anderes“.
Links
Links folgt ein Bild, das beim ersten Vorbeigehen ein bisschen albern wirkt. Es sieht aus wie eine Fotomontage, auf der ein Mensch umherfliegt. Doch dem Fotografen Thomas Kläber ist es gelungen, einen artfremden Moment auf die Linse zu kriegen. Keine Fotomontage. Hinten an der Wand hängt eine unglaublich schöne Aquatinta von der polnischen Professorin und Künstlerin Alina Jackiewicz-Kaczmarek. Sie lässt ihre Vorliebe für die Arktis erkennen.
Zwei Installationen von Chris Hinze befinden sich hier noch neben einigen anderen Werken. Eine mit dem Titel „Ton“, die andere trägt die Bezeichnung „Aufgabe“. Sie laden zum Reflektieren und Sinnieren ein. Was hat es damit auf sich? Gedrechselte Milchkanister in einer Fleischerkiste. Darunter ein Stecker? Die zweite zeigt aufgebockte Holzscheite auf einer Art Gummi. Vielleicht sind es suizidale Holzscheite, von denen einige hernieder stürzen und den Titel des Werkes eher im negativen Sinne verstehen. Andere ragen in die Höhe. Hier kommt der positiv konnotierte Aspekt des Wortes zutage. Etwas bewältigen. Vielleicht ein Boot bauen oder so. Gleich dahinter hängt ein Konterfei einer schönen Frau. Der Macher Philippe Gerlach tapezierte 2017 die Wände der Galerie mit Portraits seiner damaligen Partnerin Talin Seigmann. Der Fotograf hatte auch schon Größen wie den GoT-Star Maisie Williams abgelichtet.
Rechts
Im rechten Teil gibt es auch einiges zu entdecken. Direkt an der trennenden Wand drei Zeichnungen von Thomas Herrmann, ein wichtiger Mitbegründer des Hauses. Er war nicht ganz 30, als er sich gegen das Leben entschied. Seine Bilder zeigen Zerrissenheit, etwas Verletzliches. Dickere und dünnere Striche, die an den Enden ausbrechen. Dazwischen feine zittrige Linien und unfertige Kreise. Alles wirkt instabil. Das Bild in der Mitte wirkt so, als ginge davon ein Echo oder Schall aus. Wie ein Schrei. Auch in ihnen kann man sich verlieren. Sie gehen unter die Haut.
Weiter findet man in dem Raum Werke von Cottbuser Größen wie Mona Höke oder Hans-Georg Wagner. Außerdem eine kleine Ode an die räumliche Distanz. Wer findet sie?
Ende
Die letzte Galerie ist eine wundervolle Retrospektive der letzten 30 Jahre. Bis zum 15. September hat ein jeder noch die Chance, dem Haus 23 in der jetzigen Form die letzte Ehre zu erweisen und sich von dieser emotionalen Werkschau in den Bann ziehen zulassen.
Am 15. September, ab 11 Uhr wird die Galerie verabschiedet.
Wieder schließt sich eine Tür in Cottbus, eine weitere Cottbuser Perle verschwindet von der Bildfläche. Vielleicht öffnet sich eine neue Tür und eine ähnlich wunderbare kulturelle Institution bereichert diese Stadt und erzeugt neuen künstlerischen Nachwuchs, der sie bunt und lebendig erhält.
Lena Bange