Vom FilmFestival Cottbus #FFC33 berichtet unser Reporter HENNING RABE
Tag 5
Zum Auftakt gibt es heute ein Wiedersehen mit Viktor Tsoi. Das ist der sowjetische Kult-Sänger, um dessen Band Kino es in „Leto“ (FFC 2018) ging.
Die Nadel
stammt aus dem Jahre 1988 und wurde von Kasach-Film produziert. Tsoi verkörpert einen Moskauer Herumtreiber, dessen Freundin drogenabhängig ist. So bekommt er es in diesem leidvollen Zusammenhang auch mit allerlei gefährlichen Subjekten zu tun …
Wie bei „Imago“ schon erwähnt, ist ein beinahe durchgängiger Einsatz von Musik allzuoft ein Zeichen dafür, dass Drehbuch und Dramaturgie ein wenig dürr daherkommen. Das ist auch hier der Fall. Wir hören The Shocking Blue, Muslim Magumajew, Claudia Mori (Non succedera più!) und natürlich viel Kino, während die Handlung mitunter etwas hängt. Das ist hier aber weniger ein Problem: Die abgefahrenen Locations, verlassene Märkte, Gaststätten oder Schwimmbecken, dazu noch die „Küste“ des Aral-Sees zeigen den Willen, einen unkonventionellen und Underground-haften Film zu drehen. Uns teilt sich das Bild von aufmüpfigen jungen Leuten und Filmemachern mit, das vielleicht ein wenig Patina angesetzt hat, den formalen Aufruhr aber auch ins Heute mitnehmen konnte.
Anschließend gibt es einen anderen kasachischen Film zu begutachten:
Killer
von Dareshan Omirbajew. Der Film eines der bekanntesten Regisseure aus der Region gewann 1998 in Cannes den Preis in der Rubrik Un Certain Regard. Nach einer Viertelstunde habe ich das dringende Gefühl, dass ich diesen Film schon einmal gesehen habe – eine Bekannte hatte auch genau diesen Eindruck. Der kam daher, dass die Hauptfigur Marat (charismatisch: Talgar Assetow) in seine kleine Neubauwohnung in Alma-Ata kam, um seiner Frau mitzuteilen, dass er in größten finanziellen Schwierigkeiten stecke.
Diese Szene hat es nun tatsächlich in einigen kasachischen Filmen aus oder über die neunziger Jahre in Kasachstan gegeben. Allerdings waren sie nicht so philosophisch unterfüttert wie dieser: Marat ist der Fahrer eines Wissenschaftlers, der zu Beginn des Films ein Interview im Radio gibt. Dort sagt er (verkürzt): Wie kann eine Gesellschaft existieren, in der niemand etwas herstellt, sondern allein Handel und Betrug die Ursachen für Geldverkehr sind? Und später: Wenn du nicht stiehlst, tut es ein anderer.
Der Wissenschaftler gibt Marat nach dem Gespräch frei. Der baut einen Unfall. Um für den Schaden für beide Autos aufzukommen, muss sich Marat verschulden und gerät so in eine unheilvolle Spirale der Verschuldung … Bemerkenswert ist der Film vor allem durch seine Erzählweise. Sie lässt hier und da Dinge weg, der Zuschauer sieht Ereignisse nicht, sondern erschließt sie aus dem Zusammenhang oder hört nur von ihnen. Insofern ist der Verweis auf Robert Bresson im Programmheft stimmig. Falsch ist allerdings die Behauptung, dass der Film auf Dostojewskis „Schuld und Sühne“ zurückzuführen wäre. Die mittelbare Vorlage ist nämlich „Der gefälschte Kupon“ von Tolstoj, und das ist wohl mehr als ein marginaler Unterschied. Aber wir wollen die Kirche im Dorf lassen und wenden uns dem dritten Film des Tages zu:
Between Revolutions
Dieser wundervolle, herzenswarme Streifen von Vlad Petri ist einer der besten Beiträge des gesamten Festivals. Er besteht nur aus Found Footage-Aufnahmen, d. h. aus vorgefundenen Dokumentar-Aufnahmen. Diese zeigen das sozialistische Rumänien, schließlich den Umsturz und münden dann in Aufnahmen der Proteste gegen das Mullah-Regime im Iran. Daher der optimistische Titel, optimistisch, weil wir inzwischen wissen, dass die Hoffnungen der Demonstranten sich nicht erfüllt haben.
Über die Bilder wird der Briefwechsel zweier Frauen gelesen, einer Rumänin und einer Iranerin, die zusammen in Bukarest Medizin studierten. Die Briefinhalte sind so rührend. Und zu schön, um wahr zu sein. Sie sind tatsächlich fiktiv, was ihnen aber nichts von ihrem Zauber nimmt. Echtes Herz-Kino und ein wunderbarer Abschluss des diesjährigen Festivals.
Ich möchte mich noch herzlich bei Heiko Portale bedanken – für alles – und bei Ben und Mighty vom Shuttle-Service, die mir eine Zugfahrt nach Berlin über Frankfurt oder Doberlug-Kirchhain ersparten!
Henning Rabe