Vom FilmFestival Cottbus #FFC33 berichten unser Reporter HENNING RABE und HEIKO PORTALE
Tag 3
Großzügige Sonne beleuchtet die Cottbusser Innenstadt. Zum „Frühstück“ in der Mönchsgasse gibt es Steak au four, ein Gericht, das in der Berliner Gastronomie unbekannt zu sein scheint.
Doch dann gibt es einen echten Schlag in die Magengrube:
Libertate (Freiheit)
Sibiu, Rumänien, im Dezember 1989. Polizist Viorel soll mit seinen Kollegen das Hauptrevier gegen die Protestler verteidigen – ohne Schusswaffengebrauch. Doch dann stürmen die Massen das Gebäude, und die Uniformierten müssen fliehen. Schon nach wenigen Minuten entsteht ein Chaos sondergleichen. Mit Handkameras gefilmte Menschen eilen durch Gänge, wollen ihre Waffen loswerden oder sie bekommen, schon sind erste Schuldige an der Ceaușescu-Diktatur ausgemacht. Überall wird geschossen, aber man weiß nicht, wer auf wen, und auch überhaupt nicht, wer zu welcher Organisation gehört.
Viorel und seine Kollegen werden vor dem Gebäude von Militär gestellt. Entweder gleich erschossen oder in ein öffentliches Schwimmbecken gebracht. Irgendwann wird klar, dass das auf die Seite des Volkes übergelaufene Militär einen Sündenbock braucht, und die Polizei deswegen zu den gesuchten Mördern stempelt. So finden sich in dem menschenrechtswidrigen Bassin echte, willkürlich aufgegriffene Regime-Gegner, Spitzel der Securitate, sowie Polizisten, die nur ihre Arbeit gemacht haben.
Drei Jahre hat Regisseur Tudor Giurgiu aufgewendet, um die Geschehnisse mit Zeitzeugen aufzuarbeiten – wohlgemerkt als erster. Herausgekommen ist ein erschütterndes und Adrenalin-treibendes Dokument rumänischer Geschichte, das auch zeigt, wie schnell es gehen kann, dass man gegen den eigenen Freund und Nachbarn die Waffe richtet.
Anschließend läuft im Wettbewerb:
Imago
Gdańsk, 1987. Ela hat es nicht einfach mit acht älteren Brüdern. Und wenn sie ihre „Zustände“ bekommt, wird sie von ihren Eltern schon mal kurzerhand in eine Psychiatrie überwiesen. Ihre Situation verbessert sich mit einer Liebe auf den ersten Blick – und vor allem mit ihrem Einstieg in einer psychedelischen Punkband. Doch bleibt ihr Glück nicht lange ungetrübt …
Olga Chajdas’ Porträt einer jungen polnischen Frau, die gegen ihre Lebensumstände aufbegehrt und um Glück ganz nach ihrer eigen Fasson kämpft, vermag mich indessen nicht so richtig mitzureißen. Die Musik ist ganz wunderbar; es handelt sich um Post-Punk irgendwo zwischen Joydivision und frühen Cabaret Voltaire. Doch gerade ihr überproportionaler Einsatz offenbart ein gewisses Manko an Dramaturgie, Verdichtung. Auch bei der Ausstattung, der Atmosphäre, dem Ausformulieren als Zeitbild hätte ich mir mehr vorstellen können. (Hierbei sei an den Litauer Šarūnas Bartas erinnert, bei dem das Szenenbild allein die Zeitreise veranschaulicht hat; z. B. in „Drei Tage“ oder „Korridor“). So bleibt der Beitrag vergleichsweise blass.
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Einklinker:
Im Weltspiegel läuft zum ersten Mal unter der Rubrik Heimat/Domownja/Domizna „Die Lange Nacht der Kurzen Lausitzer“ in zwei Teilen. Sie ersetzt künftig die bis zum 32. FFC erfolgreich laufende Lausitzer Filmnacht, die immer einen Abend vor dem Beginn des offiziellen Teils lief.
Damals konnte, jeder, der wollte, einen Film einreichen und am Ende des Abend wurde der beste Jury-Film, der sorbischste/wendischte Film und der im Publikum beliebteste Film mit einem Preis geehrt. Problematisch war hier durchaus, dass ein Film, der mit großem Fankreis angereist war auch meistens den Publikumspreis mitnehmen konnte.
Mit dem 33. FFC ist in diesem Bereich alles anders, die Lausitzer Filmschau von einst ist in die „Lange Nacht der Kurzen Lausitzer“ gewandert. In dieser Kategorie gibt es nur noch den Sorbenpreis, der von einer Jury aus den sorbischen Beiträgen ausgewählt wird. Am Kinosaal-Eingang wurde zwar ein Flyer verteilt, der den Publikumspreis küren soll – 3.000 Euro gibt es dafür, immerhin. Allerdings ging es dabei „nur“ um Langfilme, ab 50 Minuten. Lange Gesichter bei den mitgereisten Fans verschiedener Lausitzer (Kurz-)Filme.
Man konnte gut beobachten, dass des Öfteren „Langfilm“ durchgestrichen wurde und der Lieblingsfilm des Abends benannt wurde. In zwei Blöcke geteilt sahen wir Filme, die irgendwie mit sorbischem/wendischen Leben zu tun hatten oder in der Lausitz spielten.
Mich hat der Film über die wendischen/sorbischen Bescherkinder/Dźěćetko „Ankleidezimmer/ Hoblekarnje“ beeindruckt. Ohne groß Worte zu verlieren wurde gezeigt, wie groß der Aufwand der Verwandlung in das sorbische Christkind ist. Nix für ADHS-Verdachtsfälle.
Ebenso sehenswert fand ich den Cottbuser 30-Minüter „Baden gehen“, der übrigens raus ist aus dem Rennen um den Sorbenpreis, da er keinen sorbischen Bezug hat. Wo, muss man an dieser Stelle auch mal fragen, sollen solche Filme denn in Zukunft laufen?
Heiko Portale
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Im Obenkino mit den charmanten Seitensitzen läuft zu späterer Stunde dann in der Rubrik Spectrum der Film
MMXX
Das Jahr 2020 ist damit natürlich gemeint, und jeder weiß, was uns damals blühte. So gelangt man in den ersten beiden der vier Episoden zu der Annahme, dass Cristi Puiu veranschaulichen will, dass viele damals über viel zu viel Zeit verfügten, in der sie viel zu viel redeten und am Telefon hingen.
Der Haken an der Theorie ist nur, dass der Rumäne eigentlich immer etwas längere Filme mit wenigen Schnitten und sehr viel Dialog dreht. Insofern wäre der Streifen mit einer Länge von 160 Minuten mutmaßlich auch ohne Covid so entstanden, auch wenn das Trauma mehrfach am Rande auftaucht. (z. B. fragen zwei Protagonisten: „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich meine Maske absetze?“) Insofern würde ich der Einschätzung von Joshua Jádi aus dem Programmheft nicht folgen.
Die Echtzeit-Aufnahmen mit einer sich nur unmerklich bewegenden Kamera sind wirklich eine teilweise herausfordernde Erfahrung. So verlässt der überwiegende Teil der Zuschauer den Film vor dem Ende; ich denke aber, dass da niemandem ein Vorwurf zu machen ist.
Die vier Episoden sind nur lose miteinander verbunden. So ist der Bruder einer Psychotherapeutin (auf deren Behandlung der Zuschauer gut und gerne verzichtet) aus dem ersten Teil eine der Hauptfiguren des zweiten. Der ist aber auch wirklich schmerzhaft: Dieser Bruder, eine weitere Schwester und ihr Geliebter sitzen die ganze Zeit in der Wohnung und verweigern Aktivität. Sie schanzen sich gegenseitig die Aufgaben zu, faseln die meiste Zeit aber am Telefon.
„Mutter, ich kann jetzt nicht so lange sprechen, ich muss noch so viele andere Anrufe machen. Mihaj (der Bruder) wird es dir genau erzählen, er ruft dich gleich an.“
Zu hören ist also ein Haufen Redundanz, der an Hirnrissigkeit grenzt, dabei aber auch nie aufhören zu wollen scheint. Und da ist der Film doch ziemlich nah an unserer Realität dran … MMXX ist ein zeitlupenhaftes Zeitbild einer Gesellschaft, deren Erosion auch nach Corona nicht verschwunden ist. Bemerkenswert.
Henning Rabe
Programm und mehr: