Allein unter Trainern

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Es passiert nicht allzu häufig, dass ich mich an einem für mich ungewohnten Ort befinde und meine Gedanken immer wieder bei dieser einen Frage ankommen: Was mache ich hier eigentlich? Nicht im Sinne einsetzender Demenz oder als Quittung eines viel zu langen Abends. Sondern in jenem Sinne, der selbst mich als bekennender Agnostiker beten lässt: Bitte lass es schnell vorbei sein.

In den letzten Wochen habe ich mir diese Frage mehrmals stellen müssen. Es ist eine schwierige Beziehung, die mich und den Fußball verbindet. Ich bin wahrlich kein Fußballexperte. Genau genommen beschränkt sich mein Wissen auf die notwendige Anzahl an Spielern auf dem Feld und die geometrische Form des Balles. Damit geht es mir wie vielen anderen auch, aber: Zur Europameisterschaft keine Ahnung vom Lieblingssport der Deutschen zu haben, kommt einer sozialen Ächtung gleich, weshalb die Wenigsten mit ihrer Ahnungslosigkeit so offen umgehen. Stattdessen: Frontalangriff statt Defensive. Alle zwei Jahre steigt die Dichte an Nationaltrainern im Land sprunghaft an, geradezu inflationär wird mit Worten wie „Abseits“ oder auch mal ganzen Sätzen wie „Mann Junge, nu loofe doch ma!“ um sich geworfen. Alles in der Hoffnung, diejenigen mit echtem Fußballfachwissen stimmten überschwänglich nickend und vor Wut schäumend mit ein. Gefährliches Halbwissen wird zum Motor der Anerkennung in der Gruppe. Und so sitze auch ich am Abend vor dem Fernseher oder im Garten, nicke scheinbar wissend und verstecke die Fragenfalten auf der Stirn unter einer selbst gemalten Deutschlandflagge. Denn erst mit den notwendigen Utensilien wird das Mimikry perfekt.

Trillerpfeifen, die schon von weitem einen giftigen Plastikgeruch verbreiten  und schwarz-rot-goldene Fettfarben für die landestypische Kriegsbemalung im Gesicht, die sich erst nach einem speziellen Metallschwamm-Peeling wieder von der Haut löst. Ein ganzes Land verfällt in einen Rauschzustand, eine Farben betreffende Intoleranz, die alles in schwarz-rot-gold leuchten lässt. Ungeachtet der schmalen Gratwanderung zwischen „Fan“ und „lächerlich“ werden Autos entweder mit Motorhauben-Überzieherli oder Fähnchen geschmückt, Klobrillen mit flauschigen Deutschlandfahnen überzogen und Getränke so lange mit Chemikalien malträtiert, bis auch das Glas von innen in den Farben der Nation leuchtet. Ein aus meiner Sicht verstörendes Ritual, ungeachtet der ganzen Nationalismus-Debatte.

Augen zu, tief durchatmen, bald ist der ganze Spuk wieder vorbei, stimmt’s? Weit gefehlt. Denn wenn der letzte Ball im Netz gelandet und der letzte Spieler auf dem Rasen von links nach rechts und zurück gehechtet ist, dann – steht schon das nächste sportliche Großereignis bevor: Die olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Was mache ich hier eigentlich?

Sebastian Schiller

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