„Besser als alle YouTube-Dokus”

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Mitglieder des BürgerSprechChores über ihre Stückentwicklung „Fluchtpunkt” / 3. Folge

 Die Mitglieder des BürgerSprechChores am Staatstheater Cottbus sind an einer Stückentwicklung beteiligt, die unter dem Titel „Fluchtpunkt” am 25. Juni 2020 ihre Uraufführung erleben wird. Der hermann begleitet das Entstehen. Heute folgt nach Artikeln in den Heften von August und November der dritte Teil der Serie, in der Chormitglieder zu Wort kommen. Sie erzählen von ihren Gründen, sich im SprechChor zu engagieren, der seit mehr als einem Jahr besteht, von der Freude am Theaterspiel und am Entstehen eines Stücks, in dem ihre Erlebnisse um Heimat und Flucht verhandelt werden.

 Karin Gewand, Rentnerin, in der Lausitz geboren, hat von 1990 bis 2015 im bayrischen Franken gelebt. „Trotz sehr guter Lebensbedingungen dort hat das Heimweh immer wieder geschmerzt, und unser Theater habe ich besonders vermisst“, erinnert sie sich. Bei der Rückkehr nach Cottbus wurde sogar die Wohnungswahl durch Theaternähe bestimmt. „Ich liebe das Theater, weil man dort mit Sehnsüchten, Träumen und Visionen konfrontiert wird und wertvolle Anstöße zum Nachdenken und Handeln erhält.“ So ist sie auch von Anfang an beim Bürgerchor dabei und bestätigt: „Den Bürgerchor zu gründen war eine tolle Idee, und dass daraus jetzt ein eigenes, neues Stück entwickelt wird, finde ich sehr spannend und freue mich, dass ich dabei sein kann.”

Als Pfarrer war er immer das Gemeindeoberhaupt. „Jetzt im SprechChor kann ich einer von vielen sein, habe nichts mehr zu sagen, nur zu sprechen”,  freut sich Christian Doerfel (66), der gleich bei „1984”, dem ersten Einsatz der Gruppe, mit auf der Bühne gestanden hat. „Sprechunterricht, und das noch dazu umsonst. Auf der Bühne stehen, der ich schon im Konfirmandenunterricht in der DDR Bekanntschaft mit dem BE und der Staatsoper (Walter Felsenstein!) schließen durfte.” Nun ein Stück über den Heimatbegriff. „Da bin ich vorbelastet”, sagt er. Er hat viele Menschen bestattet, die Leid durch Heimatverlust erfahren haben, weil ihre Dörfer der Industrie weichen mussten. Als Kirchenmann hat er gleich ein Bibelzitat parat. Hebräerbrief 13: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.”

Als Schreibende Zeitzeugin hat Irina Lehmann (63) Erfahrungen mit dem Vorlesen und ärgert sich bei Lesungen über Rufe wie „Lauter!” Da kamen ihr die Proben und Vorstellungen mit dem Chor gerade recht. „Interessant, alles interessant: Stimmschulung, Gesichtsgymnastik, das Darstellen von Gefühlen und Stimmungen, die Arbeit am Text. Ich glaube, dass sich viele in der Chorgemeinschaft zutrauen, wozu sie allein nicht fähig gewesen wären. Lampenfieber? Warum denn, wo doch so viele mitwirken und dir Sicherheit geben? Sicherheit gibt auch die Atmosphäre, die im Chor herrscht. Es darf gelacht werden.” Irina Lehmann findet es richtig Klasse, dass nun ein Stück entsteht, in das die Erlebnisse und Erfahrungen der Chormitglieder einfließen. „Ich hoffe, dass es genauso aktuell, brisant und spannend wird wie jüngste Schauspielinszenierungen: gegenwartsbezogen, wenn sie auch in anderen Zeiten spielen, voller Action und das Denken herausfordernd.” Jo Fabian wird’s freuen.

„Lebende Menschen sind besser als alle YouTube-Dokus”, sagt Ann-Cathrin Melcher (17). Die Schülerin des Niedersorbischen Gymnasiums liebt es zu erfahren, was und wer hinter den Menschen steht. Dies dann noch auf die Bühne zu bringen bereichere andere Menschen. „Wir stehen dann auf der Bühne und 700 sitzen, hören und schauen zu. Ich habe mal im Publikum gesessen. Es haut einen um, wenn 30 dasselbe sagen. In unserem Stück werden das Worte sein, die uns bewegen und die andere bewegen wollen.” Was in den Zusammenkünften geschähe, motiviert wohl alle. Für Ann-Cathrin hat das Mittun im BürgerSprechChor den Berufswunsch geweckt, der unbedingt ins Theater führen soll.

So ist ein Jahr lang eine feste Gemeinschaft gewachsen, die offen ist für viele weitere Mitstreiter. Derzeit werden vor alle Kinder und Jugendliche gesucht, aber nicht nur. Willkommen ist, wer Freude am Sprechen und  Theaterspiel hat. Interessenten wenden sich an: m.vonbennigsen@staatstheater-cottbus.de

Klaus Wilke

 

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