Ermutigende Begleitung des Herzens

0

Ludger Engels‘ „Alzheim”-Musiktheater führt ins ferne Thailand

 Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen steht im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Thematisierung auf Theaterbühnen. Aber die Kammerbühne des Staatstheaters Cottbus lädt demnächst zu einer Inszenierung mit dem Titel „Alzheim” ein. „Ein Druckfehler?”, fragt der Uneingeweihte. Darauf gibt Regisseur Ludger Engels Antwort. Engels (*1963), dessen derzeitiges Wirken in Cottbus kein Zufall ist, wie wir weiter unten sehen werden, hat zwischen Aachen und Zwingenberg viele Opernwerke von Strauss‘ „Arabella bis zu Mozart „Zaida” auf die Bühne gebracht: „Der Titel will darauf hinweisen, dass Alzheimer- und andere Demenzpatienten Umgebung und Atmosphäre brauchen, in denen sie sich daheim fühlen.” Dann erzählt er die Geschichte dieses Musiktheaters: „Als die Mutter des Schweizers Martin Woodtil an Alzheimer erkrankte und der Vater deshalb aus dem  Leben schied, ging er nach Thailand und gründete die Demenzstation Kamlangchay.”

 Warum nach Thailand? „Weil dort die Demenz nicht als Krankheit,  sondern als eine Phase  des Lebens gilt. Das Heim kennt keine Patienten, sondern nur Gäste. Und die bekommen alle Zuwendung, die sie brauchen, und Körperkontakte, die ihnen, die an die Vergangenheit verloren sind, das Erleben von Gegenwart ermöglicht. Der Begriff Lebensabend gewinnt wieder an Poesie und Schönheit.”

Das Pflegeheim ist gegründet, aber der Weg zur Bühne ist weit, wie weit? Ludger Engels: „Der Journalist und Theaterkritiker Jürgen Berger, der schon des öfteren Geschichten, die das Leben schrieb, auf die Bretter, die die Welt bedeuten, brachte, führte dort Interviews, die er zu einem Theatertext formte. Musik schenkt Glück, ist eine wichtige Erkenntnis, auch wenn sie die Demenz nicht aufhält. Der Komponist Xavier Dayer bettete diese Beobachtungen und Erlebnisse in einer ,anderen Welt‘ in Klänge einer neuen Musiksprache, die in die Psyche der ,Gäste‘ hineinleuchtet und anheimelt. Ich hatte dann im Dezember 2017 die Freude, das Berger/Dayer-Werk im Konzert Theater Bern, das damals der heutige Cottbuser Intendant Stephan Märki leitete, zur Uraufführung zu bringen. Nun stehen wir – das ist also kein Zufall – vor der deutschen Erstaufführung in Cottbus, einem Haus, das keine sturen Spartengrenzen kennt.”

Was will dieses Musiktheater „Alzheim” sein, reine Unterhaltung oder Ratgeber, Lebenshilfe? „Natürlich wird es Sachen zum Schmunzeln geben, aber ohne dass die Heimgäste vorgeführt werden. Der Abend zeigt verschiedene Möglichkeiten, wie man mit Betroffenen umgehen kann. Aber ein Ratgeber wird er nicht sein. Diese Kompetenz maße ich mir nicht an. Wer gut beobachtet, kann sicher Impulse empfangen. Immer geht es um Menschlichkeit mit Mitmenschen. Mit diesen Anregungen ist uns das ferne Thailand ganz nah.”

Musiktheater lebt von Musik und Handlung. Aber Demenz und Action – wie geht das? „Demenz kennt keine Handlung”, erklärt Ludger Engels. „Das Stück ist ein Zustand, den man erlebt. Der Zuschauer ist zu vielen Beobachtungen eingeladen. Immerhin ziehen 50 Bilder in 80 Minuten an ihm vorüber. Es kommt ein früheres heimliches Liebespaar vor, das sich im Alter in der Station Kamlangchay wiedertrifft. Kamlangchay heißt übrigens ,ermutigend‘ oder „Begleitung des Herzens‘. Die Zuschauer sitzen  beiderseits der Spielfäche, auf der Orchester und Darsteller wirken. Sie sind durch eine hohe Folie vom Spiel getrennt, können die ,andere Welt‘ nicht betreten, aber aus ihrer Welt heraus beobachten.”

Ein Plädoyer für mehr Mitmenschlichkeit in der Dementenbetreuung scheint als Theaterabend zu uns zu kommen.

Klaus Wilke

Premiere: 8. April 2022, 19.30 Uhr, Kammerbühne

 

 

Teilen.

Hinterlasse eine Antwort