Die Geheimnisse meiner Frau

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Meine Frau arbeitet an ihrem Fahrtenbuch. Das macht sie einmal im Jahr, wenn die Steuer fällig ist, und man sollte sie dabei nicht stören. Sie versucht, Fahrten von vor anderthalb Jahren zu rekonstruieren, nicht mehr nachvollziehbare Touren zwischen in Vergessenheit geratenen Orten, sie addiert  Kilometer, entstehende Summen kombiniert sie mit Tankquittungen. Sie ist seit einer Woche gereizt, heute ist der Tag, an dem sie abgeben muss. Sie ist um drei Uhr aufgestanden.

Jetzt knetet sie das Fahrtenbuch in ihren Händen, hier und da knickt sie Eselsohren in die Seiten. „Es muss stark benutzt aussehen“, erläutert sie und ich biete an, ein bisschen Kaffee drüberzugießen – vor Jahren hatte meine Frau unseren Esstisch zu ihrem Büro erklärt, anderswo könne sie nicht arbeiten. Sie beugt sich über ein Knäuel von Rechnungen und flüstert: „Ich müsste wirklich mal ein Haushaltsbuch führen – was ich alles für die Lebensmittel ausgebe!“. „Die sind alle noch da“, liegt mir auf der Zunge, „geh einfach in den Hauswirtschaftsraum.“  – „Wehe, du sagst jetzt irgendetwas“, droht meine Frau, die mich gut kennt und weiß, dass ich lieber einen guten Freund verliere, als einen Gag auslasse, „Wer“, fragt sie, „ist denn derjenige, der immer jammert ,Ist noch Joghurt da? Sind noch Snacks da? Ist noch Mundwasser da?‘“ Dabei äfft sie meine Stimme nach, denn ohne Zweifel bin ich gemeint; in solchen Momenten schleiche ich dann in den Hauswirtschaftsraum, wo ich mir Nachschub von den Paletten der nachgefragten Produkte nehme. Als im Sommer 2016 die Bundesregierung die Bevölkerung zur Bevorratung mit Lebensmitteln für den Fall eines Anschlages aufrief, hatte meine Frau längst aufgerüstet. Während der Corona-Krise verteilte sie Toilettenpapier im Dorf.

„Guck doch mal bei Deinen Fahrten fürs Fahrtenbuch, ob in den Orten, an die Du Dich nicht mehr erinnern kannst, ein ,Lidl‘ oder ein ,Netto‘ war. Vielleicht fällt es Dir dann wieder ein …“, rate ich vorsichtig.

„Oh“, sagt meine geheimnisvolle Frau und schaut mich entrückt an, „manchmal bist Du gar nicht so dumm.“

 

Hellmuth Henneberg

 

 

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