Ob Eastclub oder Kesselhauslager – die subkultanen Klubs der Oberlausitz locken mitten in der Peripherie erstaunliche Bands an
„Musik zwischen den Welten“ heißt eine verdienstvolle Dresdner Musikreihe, die sich um Weltmusik dreht. Musik zwischen den Städten könnte man hingegen unseren kleinen fortschrittlichen Ausflug zu den beiden subkultanen Klubperlen der Oberlausitz heißen, heute gen Bischofswerda und Singwitz führt, nennen. Dabei übersehen wir die vier (teilweise über- bis nahezu lahm geförderten) sogenannten Soziokulturellen Zentren mal glatt und kümmern uns um die, die ihr Engagement jenseits öffentlicher Anbiederung samt förderungsfordernden Handaufhalten pflegen und sich dafür ihre Freiheit via Risiko per Unabhängigkeit erkaufen. Und umgekehrt. Oder wie nennen es:
Die Kraft der alternativlosen Alternativen.
Der erste Club ist gleich neben dem Bahnhof mit dem witzigsten ganzheitlichen Tunnelgrafitti der Lausitz, da wo sich die abends die Expresse aus Dresden teilen, um als Solo Dirty Diesel geradeaus gen Görlitz oder Breslau (noch bis 8. Dezember) weiter zu brausen oder rechts hoch ins Bergland via Zittau oder gar Liberec abzubiegen. Hier im Schiebocker Eastclub, der sich selbstbewusst als „Heimstadt des Rock’n Roll im ostsächsischen Niemandsland“ betrachtet, spielten wirklich schon viele, die man genau da nicht vermutet: Die ewig lange „Hall of Fame“ beginnt mit Placebo, Kraftklub und Anne Clark, reicht über Gunter Gabriel bis Monokel, verweist darüber hinaus auf Element Of Crime, Culcha Candela oder Los Banditos als Ehrenmitglieder. Jüngst waren erst Phillip Boa & The Voodooclub oder Keimzeit hier zu Gast.
Die Stadt Bischofswerda ist (wie Singwitz) wegen der einstigen Mähdreschermassenproduktion unter dem hinweisenden Kombinatstitel „Fortschritt“ immer noch weltbekannt. Passend dazu auch das Programm, kuratiert und verantwortet von Geschäftsführer Heiko Düring: So gastieren am 30. November die harten US-Amerikaner von Pro-Pain, als echte Hardcore-Pioniere angekündigt. Das Quartett um Frontmann Gary Meskil an Mikro wie Bass kommen mit dem aktuellen, dem 13. Studioalbum namens „Straight To The Dome“, wobei sie als Vorband Escape The Madness eine Chance geben. Dass sie auf ihrer dichten Europatour nach Konzerten in Prag, Budapest und Wien und genau zwischen Nürnberg und Berlin mal rasch einen Zwischenstopp im Eastclub einlegen, verwundert nur Unkundige.
Schon eine Woche darauf, am 8. Dezember kommen Manos als Trio der morbiden Generation aus Querfurt angefahren, um im 35. Bandjahr „True Life“ per akutem Album anzubieten. Mit dabei beim flotten Ostdreier auch Abjured aus Halle und Pikodeath aus Zittau und Liberec. Wir zitieren mangels besserer Note unredigiert aus dem Pressetext des Clubs zu letzteren: „Von ein wenig eitriger Fäulnis eingehüllt in herzhaft butansäurehaltige Noten in der Nase, vielleicht mit ein klein wenig Vanille rechts hinten, von einem robusten, aber schwammig weichen und mit rostigen Nägeln gespickten Körper, der sich angenehm im Gaumen einschmeichelt, schließlich dort verhakt und erst nach Einsetzen geschmacklich intensiver Verrottungsvorgänge wieder leidvoll zu lösen weiß, und von ein wenig zu viel mit Zahnbruch vermengtem Granitkies im Abgang bei einer Wahrung lückenhafter Vollmundigkeit würde der Genießer jetzt künden. Und, was soll man sagen, Recht hätte er.“ Dem ist nichts hinzufügen, aber auch nichts wegzulassen.
Mit Zugkraft gen Hauptstadt
Eine weitere Eigenart des Eastclubs ist die markante Plakatwerbung in seinem Revier: Ab Wilthen ist eisenbahnabwärts gen Dresden keiner der meist von der Bundesbahn verlassenen und verfallenden Höfe unbeleckt, in der Dresdner Neustadt die Werbung für die großen Gigs omnipräsent – und das Lokal von der Hauptstadt auch gut per Zug erreichbar. Neben etlichen Ticket-Vorverkaufsstellen in der Lausitz ist man auch drei Mal in Dresden präsent (unter anderem im Sax-Ticket in der Schauburg), aber auch bei Eventim ist man netzartig gelistet, so dass auch Pendler und Heimkehrer die Chance auf Karten haben.
Schön dicht wie herzlich auch das ostclubige Weihnachtsprogramm: Dem heiligen Spätabend, als „Café der einsamen Herzen“ betitelt und angekündigt als das „alljährliche Gipfeltreffen der Weggezogenen und Daheimgebliebenen unserer Lausitz“ und als der wohl „geselligste Fluchtort vorm heimischen Weihnachtswahnsinn“, folgt am ersten Weihnachtsfeiertag die wilde „24 Jahre Eastclub Party“, am Abend darauf folgen sofort „100 Jahre Rock’n Roll“. Man feiert dabei neben Jesus auch andere zu früh Verschiedene: Lemmy Kilmister, Kurt Cobain, Jimmy Hendrix sind da unter vielen genannt, aber auch John Lennon, James Dean, Joey Ramone und der Marlboro-Mann. Als Liveband konnten die Belgier von The Rawönes als Ramones-Revival verpflichtet werden, danach huldigt DJ Mäc den Genannten. Auch 2019 fängt gut an: Am 12. Januar gastiert die Goitzsche Front, am 18. Januar Westbam und am 1. Februar De/Vision. Frühe Würmer haben sicher auch dann bessere Karten am lauten Lausitzer Gleisdreieck.
Eastclub Bischofswerda (Neustädter Straße 6)
Netzinfos: www.east-club.de
Flickingersound in Singsongwitz
Ein Ausverkauft-Problem hat das Kesselhauslager Singwitz, idyllisch am Spreeufer und im Schatten eines recht großem Industriegeländes rund ein Dutzend Kilometer weiter südostöstlich gelegen, welches heute zum Großteil brach liegt oder sich neu erfindet und neuerdings mit einem Industriepfad der Veteranen und vielen Gedenktafeln die Treuhandsegnungen jenseits des gesellschaftlichen Fortschritts preist, eher selten.
Hier gastieren am Tag nach Pro-Pain aus New York (also am 1. Dezember) deren landsmännliche Kollegen namens The Trongone Band aus Richmond in Virginia. Die wurde von den Brüdern Andrew und Johnny Trongone und derem Vater namens John sen. am Bass gegründet, ward aber durch Keyboarders Ben „Wolf“ White und dem neuen Bassisten Todd Harrington welttourneetauglich und spielen einen warmen, expressiven Sound. Fürs Debütalbum „Keys to the House“ gingen sie eigens ins Montrose Recording Studio um dort an eines der letzten Old-School-Flickinger-Mischpulte zu geraten, worauf sie nun mit Grateful Dead verglichen werden.
Auch hier ist (wie beim Eastclub) die Netzpräsenz ohne Schnickschnack klar strukturiert – hält aber den passenden Anfahrtsplan für jedermann hinreichend parat: Das Navi-Ziel heißt Obergurig, ist ein kurzes Stück südlich von Bautzen gelegen. Hierher lockt in der Regel ein Konzert pro Woche, meistens am Samstag, und zieht Leute von Görlitz im Osten bis Dresden im Westen. Im Süden begrenze das Oberlausitzer Bergland, genannt Oberland, im Norden Hoyerswerda und Spremberg, aber hin und wieder Berlin das Einzugsgebiet. Das alles erklärt Andreas Greiner-Bär. Er stammt aus Erfurt, arbeitet als Diplom-Sozialarbeiter, hört gern Musik, ist verheiratet, Vater und Großvater. Auch bei ihm macht die Mischung den Reiz, es sind immer wirkliche Perlen dabei, die ein Stammpublikum anzieht, was auch offen für neues ist. In Dresden gibt es nichts Vergleichbares.
Warum er sich das antut – hier immer wieder ehrenamtlich und auf eigenes Risiko Konzerte zu veranstalten, wobei er neben Vorverkauf und Booking – was heute vor allem viele Absagen bedeutet – auch noch Licht- und Tontechnik und bei Not am Mann auch noch den Einlass regelt? „Einfach aus Liebe zur Livemusik. Und für all jene, die jene nicht nur streamen, sondern ganz hautnah erleben wollen“, sagt er im Interview. Und wie geht das? „Na nur mit Verrücktheit, Enthusiasmus, Idealismus und vor allem mit etlichen lieben und ebenso tickenden Helferinnen und Helfern, ohne die das so nicht möglich wäre“, verweist er auf den Teamgeist seiner Brigade.
Mit Startnote aus Pankow
Das hat nicht zuletzt Gründe in der urigen Einmaligkeit des breiten, nett besäulten Saales, bei dem man sowohl gemütlich in den Ecken als auch an Fässern als Stehtisch vor der Bühne lümmeln kann – und in der dynamischen Vergangenheit: Denn das Gebäude stammt aus dem vorletzten Jahrhundert ward einst als Kohlenlager für das Kesselhaus der Königlich-Sächsischen Pulverfabrik erbaut und wurde später auch als Möbellager genutzt. Nach dem Umbau 1996 gab es ein erstes Freiluftkonzert – so mit der irischen Band Reckless Pedestrians und deren Frontman Freddy Reamonn Garvey. Als „KesselhausLAGER“, der Nachsatz ist dem Besitzer wichtig, eröffnete es im Mai 1998: mit Pankow aus Pankow.
Ohne direkte Anbindung an die sogenannte Infrastruktur kann man sich nun im 21. Lebensjahr aufgrund treuer wie „lieber“ Kundenkraft ein grandios-simples Vorverkaufssystem leisten: Wer vorher bestellt, spart zwei Euro pro Karte. Die Bestellungen gehen übers Netz gehen bis 13 Uhr am Veranstaltungstag, danach nur noch telefonisch – aber das nahezu bis zum Veranstaltungsbeginn! „Es sagt kaum mal einer ab“, erklärt Greiner-Bär schmunzelnd. „Und wenn doch, dann wird sich vielmals entschuldigt.“
Aber selbst dieser Bonus ist ein guter Indikator – in größeren Städten ist der Sparwert weit höher, oft bezahlt man hier Spontaneität sogar mit Verzicht dank Schlange oder Ausverkauf. Dass kann in Singwitz, wochenendabends nahezu abgeschirmt von öffentlichen Nahverkehr und befreit von Gastronomie- oder Beherbungsgewerbe nicht passieren – es wirkt auch die Kraft der alternativlosen Alternative.
Lockerheit und Vielfalt verheißt auch der weitere Plan: Mit Red Beard (15. Dezember), The Travelin Band (29. Dezember) geht das Jahr 2018 zu Ende, mit Bluespile (12. Januar), Band of Rascals (25. Januar) und Samantha Martin & Delta Sugar (8. Februar) beginnt auch das Musikjahr 2019 überaus veritabel in jenem mit dem Kesselhauslager gesegneten Singsongwitz.
Kesselhauslager Singwitz (Industriestraße 4)
Netzinfos: www.kesselhauslager.de
Andreas Herrmann