EDITORIAL – Oktober 2016

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„Wir sind Papst“, titelte eine große deutsche Tageszeitung vor einer ganzen Reihe von Jahren bei gegebenem Anlass. Bei einer anderen Gelegenheit schlagzeilte das gleiche Blatt: „Wir sind Weltmeister“. Daran erinnere ich mich, wenn ein Niederlausitzer Theater, die neue Bühne Senftenberg, jubiliert: „Wir sind 70“. Abgesehen davon, dass ein Siebzigjähriger jubilieren kann, wenn er gesund und fit ist, starten doch die wenigsten HERMANN-Leser in dieser Altersklasse. Aber viele von ihnen sind, wobei ich keine Statistik bemühen muss, Theatergänger.

Die Bühnenlandschaft ist hierzulande ja auch dichtmaschig aufgestellt. Da ist wieder an die neue Bühne zu denken, die einst aus einer ehemaligen Schulturnhalle herauswuchs und sich merklich erweiterte und die Bretter, die die Welt bedeuten, sogar bis an den Senftenberger See trug. Einen attraktiven Neubau erhielt das Cottbuser Piccolo Theater. Das Große (Jugendstil-)Haus des Staatstheaters und der mediterrane Innenhof der TheaterNative C sind weitere beliebte Spielstätten, die Unterhaltung und Genuss bereiten.

Viele wollen aber mehr: mitmachen, spielen, sich ausprobieren. Piccolo, neue Bühne und Staatstheater bieten dafür viele Gelegenheiten. Das Bürgertheater dns (Die nicht schlafen), das sogar Flüchtlinge in seine Arbeit einbezieht, und das 1996 gegründete StudentenWerkTheater Bühne 8 (seine Mitglieder könnten im November sagen: „Wir sind 20“, obwohl sie bis zu 65 sind) warten mit interessanten Projekten auf; Kreativität steht hoch im Kurs.

Keiner erwartet, dass aus diesen Aktivitäten Hunderte SchauspielerInnen, SängerInnen und TänzerInnen hervorgehen. Auch wird nicht jeder zum regelmäßigen Theatergänger. Aber er wird für Sprache sensibilisiert und für gemeinsame Problemlösungen befähigt. Noch etwas anderes, worauf Piccolo-Chef Reinhard Drogla hinweist, ist wichtig. Jeder, der so ein Hobby pflegt, stellt sich die Frage nach seinem Platz in der Gesellschaft, nach seinem Anteil an der Gestaltung des öffentlichen Lebens, nach seiner Haltung gegenüber bestimmten Problemen. Theaterspielen bildet Charaktere, und das nutzt künftigen Lehrern, Ingenieuren, Technikern, Ärzten, Architekten genauso wie Künstlern.

Nein, HERMANN-Leser sind zumeist nicht 70. Der HERMANN wird im nächsten Monat 20 Jahre. Aber 70-Jährigen zusehen, zuhören und lernen, das kann ganz schön spannend und nützlich sein.

Klaus Wilke

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