Gipfelsturm bei Kulturkonferenz

0

Liberec 2028 statt Zittau 2025 – die Kulturhauptstadtidee lebt im Dreiländereck weiter.

Wagen wir kurz einen Blick zurück – auf den 26. Mai 2019, ein denkwürdiger Tag in vielfacher Hinsicht: Es war der Sonntag der Kommunalwahl in Sachsen wie Brandenburg und gleichzeitig Tag der Europawahl in vielen Republiken. Zittau hatte sich zudem auferlegt, ausgerechnet da die eigene Kulturhauptstadtbewerbung per Bürgerentscheid zu untermalen. Eine durchaus mutige Entscheidung, die noch nie eine Bewerberstadt zuvor wagte.    

Im Theater ging derweil das trinationale Theaterfestival J-O-Ś in den letzten Tag – eigentlich sonntags immer mit Picknick am Dreiländerpunkt gekrönt. Genau dort, wo seit der feierlichen EU-Osterweiterung mit etlichen Staatschefs anno 2004 immer noch die damals versprochene dreibeinige Brücke fehlt. Doch das fiel wegen der Wahl aus, die Macher der Kulturherzstadt hatten auf dem Markt geladen, konnte doch ihre Vision in der kommenden Nacht durchaus abrupt basisdemokratisch enden.

Ein denkwürdiger Tag 

So konnte, wer wollte und schon gewählt hatte, zwischen Kinder- und Abschlussvorstellung im Theater, mal schnell per Zug zum Bergduell am Fuße des Ješted düsen: FK Jablonec versus Slovan Liberec – es ging neben der Vorherrschaft im Isergebirge durchaus um mehr: einen Europacup-Qualifikationsplatz zwischen demj 4. und dem 5. der tschechischen Liga. Und um die Ehre im Derby. 

Mit Neißeticket ist dies in der Euroregion gar kein Problem – auch zwanzig deutsche Slovan-Fans aus der Oberlausitz waren vor Ort, zweimal eine halbe Stunde Bahnfahrt mit Umstieg in Liberec – und sie waren beim Auswärtsspiel. Eine herrliche Strecke, im zweiten Teil rings um den Berg, immer an der Lausitzer Neiße entlang. Ein müder Kick bei herrlichen Wetter und Ausblick ging echt friedlich 1:0 für Jablonec aus. Gleichzeitig lief bei großer Hitze der letzte Tag der Eishockey-WM in der Slowakei – Finnland gewann abends das Finale gegen Kanada, doch während des Fußballspiels duellierten sich Russland und Tschechien in Bratislava um Bronze bis ins Penaltyschießen – von hunderten Fans in den Kneipen mitfiebernd und -verlierend beäugt. Sport verbindet ohne Sprache. 

Auf der Rückfahrt gen Zittau, im Rücken Riesengebirge und Raketenberg, sah man schon in der Ferne das andere herrliche Bergpanorama der Oberlausitz und weithin das Rathaus in gleisender Abendsonne mit trotzig wehender blauer EU-Flagge auf dem Turm, wo schon fleißig ausgezählt ward und das große Bangen spürbar war. Die Party auf dem Marktplatz hielt sich in Grenzen, denn der Bürgerentscheid ward ganz zum Schluss ausgezählt. Und siehe da – weitweit nach Mitternacht gab es ein dann doch kräftige Aufschreie: 74,2 Prozent für die Bewerbung, bei der Juniorwahl unter Schülern sogar 84,5 Prozent – die Zittauer wollten Europa. Die anderen Wahlergebnisse, zuvor ausgezählt, ließen daran Zweifel, aber unterstrichen die Unterstützung umso mehr.

Kulturherz- statt -hauptstadt

 Ein halbes Jahr später – nach einem klaren Punktsieg bei einer sachseninternen Bühnenpräsentation im Februar in Brüssel – kam trotz einer überaus gelobten Präsentation – wie das Bidbook unter dem Titel „365° Life – Zittau für die 3Länderregion“ firmierend aus Berlin die Absage für die so genannte Shortlist. Neben Zittau ereilte dieses Schicksal auch Gera und Dresden, aus Sachsen blieb immerhin Chemnitz im Rennen, aus dem Osten noch Magdeburg, aus dem Westen schied keiner aus. Eine großartig-emotionale Meldung über die Social-Media-Kanäle, der man den vorherigen Tränenfluß ansah, symbolisierte rund eine Stunde nach der Entscheidung die Enttäuschung.

Doch noch bevor das Team in Zittau zurück war, ist im Schaufenster des Büros die Vorsilbe „Haupt-“ durchgestrichen und durch „Herz-“ ersetzt worden – die Zeit der Nachbereitung begann. Im Januar sagte der Freistaat je 200 000 Euro für die beiden Ausgeschiedenen zu – für die Stadt Zittau zum Aufbau einer „Stadtwerkstatt Zittau“, die als Vernetzungsstelle, Bürgerbüro und Ideenplattform dienen solle und „Modellcharakter für die Stadtentwicklung und die Kreativwirtschaft im ländlichen Raum“ aufweise.

Projektleiter Kai Grebasch, im normalen Berufsleben Stadtmarketingchef und schon bei der deutschen Vizemeisterschaft von Görlitz für die Kulturhauptstadtbewerbung 2010 im Boot, zog mit dem Team Ende Mai im Stadtrat Bilanz – Motto „365° Rückblick – 365° Ausblick“ – viele Einzelprojekte sind in der kurzen Zeit der Bewerbung angeschoben worden, die überregionale Resonanz von 1076 Beiträgen in 171 Medien hat eine (theoretische) Reichweite von 27 Millionen Lesern. Immerhin 14 von 36 Investmaßnahmen bekamen einen grünen Punkt: also Weiterverfolgung als Ziel. Darunter das benannte europäische Kreativzentrum, dazu ein trinationales Kulturmagazin samt -kalender und eine jährliche euroregionale Kulturkonferenz.

 Enge Kooperation in Sichtweite

Die erste Ausgabe dazu ward am 9. September 2020 in Liberec ausgetragen – ganz und gar auf die Zukunft ausgerichtet. Diese heißt: eine Bewerbung der viertgrößten Stadt als tschechischer Part für 2028 (just Mitte März 2021 durchs Stadtparlament auf dem gebracht).  Fulminant kam dort zur Sprache, was die Region bietet und was alles neu entsteht – neben dem Rückblick auf die Zittauer Selbstbesinnung durchaus auch ein mutiger Blick übers Riesengebirge hinaus gen Niederschlesien als Wojewodschaft – und in die vielen kleinen Hochburgen von Glasmachern, bis hoch gen Laubn und Bunzel in berühmte keramische Gefilde. Denn die kulturelle und soziale Brisanz, die Zittau in der Dreiländerregion anbot, ist in der ganzen Euroregion Neiße von Reichen- bis Hirschberg virulent.

Oberbürgermeister Thomas Zenker („Zittau kann mehr“) und Jenny Böttcher präsentierten eine langwierige Gratwanderung mit beeindruckenden Bergfotos: Ihre Anregung – durchaus reflektiv gedacht: Eine klare Vision, eine klare Finanzierung, starke Partner, ein striktes Zeitmanagement und nachhaltige Leuchtturmprojekte. Und vor allem: ein früher Start. 

Nun, am 28. Oktober 2020, dem Tag, als von einer Berliner Nachsitzung der jüngste Coronakotau ausging (und seit 2. November die gesamte Kultur, die Touristik und die Gastronomie in unfreiwilligen Winterschlaf versetzte) und Chemnitz mit großem, nahezu unhygienischen Jubel genau um 13:27 Uhr jener begehrte Titel durchaus nicht unverdient zugesprochen ward, dachte man in Zittau natürlich zurück. Und voraus. Denn das prosperierende Liberec direkt vor der Haustür hat natürlich intern echt gute Karten für 2028, nachdem Prag (2000) und Pilsen (2015) schon durch sind. Und – so  erlaubte sich Zenker zum Abschluss noch einen kleinen Scherz – denn 2029 ist Polen dran: Warum dann nicht das berühmte Bunzlau, heute Bolesławiec?

Andreas Herrmann

 Netzinfos: zittau2025.de/

 

 

 

 

Teilen.

Hinterlasse eine Antwort