hermann- und radioeins-Filmkritiker berichten vom 27. FilmFestival Cottbus

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Samstag, 11. November

Außerhalb des Spektrums wachsen Wilde Rosen
Heute war ich einmal außerhalb meiner Kategorie unterwegs und habe mir den polnischen Film “Wilde Rosen” angeschaut. Der Film spielt im ländlichen Polen, in dörflicher Idylle umgeben von weiten Feldern und Plantagen wilder Rosen. Aus der Sicht der Hauptfigur Ewa sieht die schöne Provinz jedoch wie ein Gefängnis aus. Als junge Mutter, deren Mann fernab des Dorfes arbeitet und nur selten mal für eine Woche vorbeischaut und deren zwei kleine Kinder sie zumeist überfordern, hat sie es bei Weitem schon so nicht einfach. Ihre vergangene Affäre mit einem minderjährigen Liebhaber treibt den Dorfklatsch an und lässt auch Ewa’s Mann misstrauisch werden. Und dann passiert etwas, dass das ganze Dorf, vor allem aber Ewa und ihre Familie, in Aufruhr bringt….
Ewa selber redet nicht viel in dem Film. Sie ist auch keine per se sympathische Hauptdarstellerin sondern eine sehr problematische Figur, und so mancher würde sie für ihre Affäre oder mangelnde Beachtung ihrer Kinder als „Rabenmutter“ bezeichnen. Ob das aber gerechtfertigt wäre, ist fraglich, denn der Film zeigt auch, welche Erwartungen von allen Seiten auf diese junge Frau herabprasseln und sie fast handlungsunfähig machen: die patriarchalische Ordnung in der Familie, die katholischen Sitten, die ungeschriebenen und doch festen Regeln, was es heißt, eine gute Mutter und Ehefrau zu sein…. Der Film problematisiert Ewa, macht sie aber weder zur glorreichen Heldin noch zum Instrument einer einseitig negativen Darstellung der Frau. Die Charakterstudie Ewas wird, statt durch Gespräche oder innere Monologe, mithilfe vieler Einzelaufnehmen und Close-Ups auf ihr Gesicht visualisiert- aber auch hier schaffen wie es nie ganz, in sie hineinzusehen oder sie zu durchschauen. Die vielen Aufnahmen der weiten Felder mit summenden Bienen und wilden Rosen erschaffen ein ganz besonderes Bild der polnischen Provinz, die so idyllisch und heimelig scheint, und trotzdem so erdrückend sein kann….
Wilde Rosen- Ein wirklich empfehlenswertes Psychodrama.

Judith Lippelt

 

Auf der Preisverleihung des 27. FFC. Foto: Henning Rabe

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